
Eigentlich sollte Angela Georghiou am 3. Mai 2025 in der Gala-Vorstellung von Puccinis „Tosca“ die Titelrolle singen, zusammen mit Ramón Vargas als Cavaradossi. Dazu kam es jedoch nicht, denn Georghiou hatte kurzfristig wegen der Erkrankung einer nahen Angehörigen abgesagt. Ihren Part übernahm Monica Conesa, die schon im Dezember 2024 einige Vorstellungen in Bonn gesungen hatte und mit der Inszenierung bestens vertraut war. Sie bezauberte das Publikum nicht nur mit ihrer jugendlichen Erscheinung im rosa Empire-Kleid, sondern auch mit ihrem hochdramatischen Sopran, der die ganze Gefühlspalette der unter Druck gesetzten Frau mit größter Dynamik zum Ausdruck brachte. (Besuchte Vorstellungen am 28.12.2024 und 3.5.2025)
Am 1. Dezember 2024 beging die Oper Bonn mit „Tosca“ das Puccini-Jahr anlässlich seines 100. Todestags in einer musikalisch hervorragenden Produktion unter der Leitung von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan. Die Bühnenbilder, die Manuela Gasperoni für die Inszenierung von Silvia Gatto in der Spielzeit 2023/24 am Teatro Comunale di Bologna entworfen hat, sind vielleicht etwas weniger aufwändig als das, was die Bonner Bühnenwerkstätten normalerweise liefern, aber durch packende Projektionen wie den beginnenden Sonnenaufgang im dritten Akt brachte sie die Atmosphäre der italienischen Hauptstadt nach Bonn und schuf ein visuelles Erlebnis, das Puccinis Liebe zum historischen Detail und zur topographischen Genauigkeit widerspiegelte.
Puccinis hochdramatische Oper „Tosca“ ist unbestritten ein Hit im Kernrepertoire, Platz 9 weltweit (Stand 2020). Anlässlich Puccinis 100. Todestag am 29. November 1924 kommen in Bonn weitere 14 Vorstellungen in verschiedenen Besetzungen dazu. „Tosca“ war seit der Uraufführung am 14. Januar 1900 in Rom ein großer Publikumserfolg, denn in dieser Oper wurde das erfolgreiche Drama „La Tosca“ von Victorien Sardou, mit dem Sarah Bernard weltberühmt wurde, durch Puccinis meisterhafte Musik noch weiter gesteigert. Wie Puccini hier die Musik des Gottesdienstes in Sant´ Andrea della Valle im ersten Akt als Hintergrund zu Scarpias Intrige und die Kantate, in der Tosca als Starsängerin in der Engelsburg auftritt, als Hintergrundmusik zum Verhör, das Scarpia mit Cavaradossi führt, verknüpft, ist große Kunst, die jeder versteht.
Die Ariosi: „Vissi d´ Arte“ der Tosca und „E lucevan l´Estelle“ des Cavaradossi sind Allzeithits und fokussieren sich auf Toscas und Cavaradossis Lebenshaltung: sie sind Künstler und Freigeister, die mit der französischen Revolution sympathisieren, und lieben das Leben, fallen aber der Intrige des römischen Polizeichefs Scarpia, die er spinnt, um den flüchtigen Revolutionär Angelotti zu fassen, dem Cavaradossi spontan Unterschlupf gewährt hat, zum Opfer. Baron Scarpia, der Polizeichef, und Spoletta, sein Adjutant, sind korrupte sadistische Machtmenschen, die die französische Revolution fürchten müssen, die ihre Stellung in Rom in Frage stellen würde. Napoleons Sieg in der Schlacht bei Marengo am 13. Juni 1800 hat die revolutionären französischen Truppen dem Sieg über das korrupte Regime in Rom erheblich nähergebracht, war also ein großer Rückschlag für Scarpia und ein Sieg der Revolution, der am Abend des 17. Juni während des erpressten Rendezvous Toscas mit Scarpia verkündet wird und Cavaradossi zu „Victoria“-Rufen hinreißt.

Puccinis „Tosca“ spielt exakt vom Morgen des 17. bis zum Morgen des 18. Juni 1800 und beginnt in der römischen Kirche Sant´ Andrea della Valle, wo Mario Cavaradossi ein Fresko malt. Die Regie orientierte sich am Libretto und an der Musik, wobei jeder Schritt und jede Geste von Puccini komponiert ist. Der Einsatz der Drehbühne im ersten Akt bei der Darstellung des Gottesdienstes war ein schöner Überraschungseffekt, der aus der ursprünglich leeren Fläche plötzlich einen Hochaltar mit dahinter liegendem Kirchenfenster macht. Der Chor der Oper Bonn, der Kinder- und Jugendchor als Messdiener haben hier prunkvolle liturgische Auftritte in katholischen Messgewändern. Der zweite Akt spielt im Palazzo Farnese in einem eleganten Speisezimmer, der dritte auf dem Dach der Engelsburg als Exekutionsort. Die meisten Opernhäuser mit Weltgeltung halten sich an diese Vorgaben des Komponisten, weil der Sieg Napoleons in der Schlacht bei Marengo in der Dramaturgie eine große Rolle spielt und die Fallhöhe steigert. Die Verfilmung von 1992 unter der Leitung von Brian Large mit Catherine Malfitano, Plácido Domingo und Ruggiero Raimondi geht sogar so weit, dass an den Originalschauplätzen zu den Original-Uhrzeiten gedreht wurde. Die Schauplätze hat Manuela Gasparone stark abstrahiert und zum Beispiel die frühe Morgendämmerung über der Engelsburg durch eine Videoprojektion dargestellt. Die Kostüme von Simone Bendacordone sind denen der „Tosca“ in der Londoner Inszenierung von Franco Zeffirelli nachempfunden, die Kleidung des Empire zitiert und in der Maria Callas am 24. Januar 1964 bei ihrem Comeback in London als Tosca Maßstäbe gesetzt hat.
Die junge kubanisch-amerikanische Sopranistin Monica Conesa hat bereits 2022 als 26-jährige in der Arena von Verona als Aida debütiert und gastiert weltweit im hochdramatischen Sopranfach, zum Beispiel bei vier Konzerten mit Plácido Domingo in Japan 2024 und als Norma. Sie gab ihr Deutschland-Debut in Bonn als Tosca, die ihre Frömmigkeit, ihre Eifersucht und ihre Panik beim Übergriff Scarpias ausdrucksstark vermittelte. Mit zarten Lyrismen, aber auch exponierten Spitzentönen eines hochdramatischen Soprans und trockenem Sprechgesang: „Quanto? Il prezzo!“ füllte sie die Rolle der jungen Diva, liebenden Frau und des bedrängten Opfers voll aus. Sie war eindeutig der Star der Produktion. Ihre Darstellung der Tosca zeigte eine junge, naive Künstlerin, die, mit dem Maler Cavaradossi liiert, die Aufmerksamkeit des überaus gefährlichen, weil mächtigen und korrupten römischen Polizeichefs, Baron Scarpia, erregt, der um jeden Preis den Aufenthaltsort des Revolutionärs Angelotti erfahren will und vor Folter ihres Geliebten Cavaradossi nicht zurückschreckt. Scarpia erpresst sie, ihm zu Willen zu sein, indem er im Nebenraum ihren Geliebten, dessen Schmerzensschreie zu hören sind, foltern lässt. Obwohl Cavaradossi sie beschwört, nichts zu verraten, gibt sie unter diesem Druck den Aufenthaltsort Angelottis preis, damit Scarpia die Folter zu beendet. „Vissi d´Arte“ („Nur der Schönheit weiht´ ich mein Leben“) ist die Arie, in der die unpolitische Sängerin beklagt, dass sie völlig unschuldig in diese Lage geraten ist. Sie bietet Scarpia für freies Geleit eine Liebesnacht an, ist aber von Scarpias Umarmungen so angewidert, dass sie spontan einen auf dem Tisch liegenden Dolch nimmt und Scarpia mit mehreren Stichen tötet. Als fromme Katholikin stellt sie noch zwei Kerzen auf und verzeiht ihm. Conesa erwies sich als Sänger-Schauspielerin erster Güte, die die Verzweiflung der Diva glaubhaft machte. Auch Claudio Otelli, als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper Gaststar (28.12.2024) und Giorgos Kanaris, Bonner Ensemblemitglied (3.5.2025) lieferten großartige Darstellungen des äußerlich charmanten und verbindlichen korrupten adeligen Polizeichefs, der sich als grausamer Sadist erweist. „Come tu m´odi! Cosi ti voglio!“ (Wie du mich hassest!, Ja, so will ich dich haben!“) Er missbraucht die Macht seines Amts, um sein Opfer Tosca einzuschüchtern. So krass und handfest ist sexuelle Belästigung selten auf der Bühne dargestellt worden.
Der dritte Akt ist stark stilisiert und erinnert optisch an die Erschießung von Aufständischen von Francisco Goya. Besonders hervorzuheben sind die junge Susanna Kilian (28.12.2024) und Clara Teschner (3.5.2025) aus dem Jugendchor der Bonner Oper als junger Hirte, die am Anfang des dritten Akts mit einer schlichten Melodie von der brutalen Folter- und Vergewaltigungsszene in die Morgendämmerung des 18. Juni 1800 überleiteten. Ramón Vargas als Cavaradossi zeigte in der sehr differenziert geführten Mittellage, dass er immer noch ein Weltstar ist und hat die Partie eher lyrisch gestaltet. „E lucevan le Stelle“, Cavaradossis Abschied vom Leben, sang er sehr anrührend. Ensemblemitglied George Oniani in der Rolle (28.12.2024) hat dagegen den heldischen Charakter Cavaradossis betont, da kamen die Spitzentöne sicher, kräftig und lang. Die übrigen Partien waren aus dem Ensemble typgerecht besetzt.

Dirk Kaftan erzeugte mit dem Beethoven Orchester strahlenden, satten Puccini-Klang. Der Chor der Oper Bonn unter der Leitung von André Kellinghaus und der Kinderchor unter der Leitung von Ekaterina Klewitz glänzten als Priester und Messdiener im ersten Akt und bei der Kantate im zweiten Akt, die im Hintergrund erklingt. Nach der Premiere am 1. Dezember 2024 im Puccini-Jahr mit den Stars des Ensembles hatte man für die 13 weiteren Vorstellungen in Bonn bewusst verschiedene Gaststars verpflichtet, um dem Publikum die Chance zu geben, die Rolleninterpretationen verschiedener Sängerinnen und Sänger im Vergleich zu sehen. Damit Weltstars sich auf solche Arrangements einlassen, muss die Inszenierung konventionell sein, wie der Studienleiter Igor Horvath erklärte. Hier war der besondere Glücksfall gegeben, dass Monica Conesa ihr Engagement in Bonn als Deutschland- und Rollendebut genutzt hat. Ein Besuch der Bonner „Tosca“ lohnt sich auf jeden Fall, egal, ob man die Oper schon kennt oder ob man „Tosca“ zum ersten Mal sieht.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Bonn / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Bonn/TOSCA/Chor, Kinder- und Jugendchor, Statisterie des Theater Bonn, Giorgos Kanaris/Foto:© Bettina Stöß
*Leider gibt es vom Galaabend keine Pressefotos (Anm. der Redaktion)