„In La Bohème, da klingt die Musik, als ob es süße Bonbons regnet“. Dieses, in Rezensionen stets beliebte Zitat von Erich Kästner, lässt sich bei der Neuinszenierung von Giaccomo Puccinis „La Bohème“ am Staatstheater Braunschweig mit fug und recht und begeisterter Überzeugung auch auf Regie, Bühnenbild und Kostüme übertragen. (Rezension der besuchten Premiere am 1.12.2018)
Der Erfolg, den Puccinis Oper heutzutage hat, war bei der Uraufführung am 1.Februar 1896 am Turiner Teatro Regio und der zweiten amTeatro dell’Argentina in Rom, drei Wochen später, ganz und gar nicht abzusehen, denn Presse wie Publikum reagierten eher verhalten. Erst die dritte Aufführung in Palermo im April 1896 brachten den Durchbruch für die Musik und die Geschichte der Pariser Künstlerfreunde, ihre Lebenslust, ihr Liebesleid, das sich von eifersüchtigen „Nichtvoneinanderloskommen“ bis hin zum Verlust durch tödliche Krankheit erstreckt.
Bühnenbildner und Regisseur Ben Baur, Kostümbildnerin Julia K. Berndt setzen zusammen mit Liliana Barros (Choreografie) und Frank Kaster (Licht) nicht auf moderne Interpretation oder das Geschehen im manchmal Übermaß untermalende technische Hilfsmittel, wie Videoinstallationen. Videos und ähnliches können durchaus reizvoll sein, doch hier wird gute alte Theaterarbeit geliefert mit schon kaum noch üblichen Umbaupausen, einem neuen Bühnenbild für jeden Aufzug. Nur vor jedem Akt, gibt es kurze Videoprojektionen,mit Text aus der Romanvorlage Scènes de la Vie de Bohème von Henry Murger, die Denkanstöße, Zusammenfassungen zu dem Inhalt der jeweiligen Szene geben.
Sie erzählen mit ihren Mitteln einfach die Geschichte, die Puccinis wunderbare Melodien und das Libretto vorgeben.
Ben Baur, der vor seinem Regiedebüt mit Donizettis „Lucia di Lammermoor“ am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken, ausschließlich Bühnenbilder schuf, entführt das Publikum hier in einer Doppelfunktion in das Paris der vorletzten Jahrhundertwende. Lernen Rudolfo und Mimi sich im ersten Akt auf einer Art Dachterrasse hoch über der Seine-Stat statt, so raubt die Weihnachtsabendfeier im zweiten Akt den Atem, da Momus hier einem damals typischen, Varieté gleicht, mit Can-Can-Tänzer/innen, Prunk, Flitter und sogar Feuerwerk. Im winterlichen dritten Bild dann, das Abschied und Ende vorwegnimmt, ist einzig ständig rieselnder Schnee, romantisches Moment, bis wir uns im letzten Akt, dann im Inneren der Dachwohnung befinden. Nach langer Zeit, denn die vier Freunde wirken nun gereift und etabliert.
Baur ist laut eigener Aussage ein Freund von Details und wirklich gibt es so viel zu entdecken, sein es kleine Gesten, die die Personenführung besonders machen oder auch stumme, passend eingeführte Personen, wie den Jungen im ersten Akt der, den neuen Wohlstand der Künstler verrät, um von ihnen dann doch ein Baguette abzustauben. Dann sind da die Jongleure und Clowns im Café Momus im zweiten Akt, wo Parpignol als Zauberer fungiert. Oder im dritten Akt die Dame vom horizontalen Gewerbe, mit der der Sergant, das Geld verprasst, das Mimi ihm gibt um Marcello von ihrer Anwesenheit zu informieren.
Ebenso schön und fantasievoll sind auch die Kostüme von Julia K. Berndt, die nach ihren Worten dem „Dresscode der Belle Époque“ entsprechen. Das Kostüm jeder Person ist individuell gestaltet und entspricht deren Charakter oder (im zweiten Akt) der Berufsgruppe und dennoch harmoniert alles perfekt. Besonders schön auch die kleinen Zugehörigkeitshinweise: Marcellos Schal, zumBeispiel hat dieselbe Farbe wie die Schleife an Musettas Kleid.
Alles in allem verlangt diese Produktion geradezu danach, das Staatstheater Braunschweig noch einmal zu besuchen. Zum einen, um weitere Kleinigkeiten zu entdecken, zum anderen, um in den Genuss einer großartigen Ensembleleistung zu kommen.
Das Staatsorchester Braunschweig unter der „musik-emphatischen“ Leitung von Iván López Reynoso, weist in den Bläsern zwar kleinere, doch verzeihliche, Schwächen auf, schafft es aber wunderbar, Puccinis schöne Melancholie zu Gehör zu bringen. Auch der Chor und Kinderchor des Staatstheaters Braunschweig überzeugten mit Sanges- und Spielfreude.
Doch neben dem Produktionteam, haben sie, den Jubel und die Standingovation am Ende am meisten verdient, die durchweg jungen Sänger des Ensembles. Nur Michael Eder als Benoît / Alcindoro, hebt, rollengemäß den Alterddurchschnitt ein wenig. Überzeugt jedoch ebenso durch subtilen Humor in Darstellung und Stimme, wie es sein Kollege Steffen Doberauer als Parpignol tut und auch der Sergeant von Ross Coughanour ist der Erwähnung wert.
Aber natürlich liegen das Hauptaugen- und Ohrenmerk auf den Hauptdarstellern der Handlung, dem Künstlerquartett und seinen beiden Damen.
Jisang Ryu als Colline besticht durch einen warm tönenden Bass und besonders bei der „Mantelarie“ “Vecchia zimarra” im vierten Bild ,durch ernsthafte Innigkeit.
Bariton Julian Younjin Kim als Schaunard gelingt mit Schmelz in der Stimme und Spielfreude ein wunderbares Rollendebüt.
Auch Anat Edri und Vincenzo Neri brillierten bei ihrem ersten Auftritt, als das durch eine Amor fou aneinander gebundenes Paar, Musetta und Marcello. Beide besitzen Stimmen von Wiedererkennungswert. Edris Timbre ist zart rauchig in den mittleren und tiefen Lagen, in denen eine Entwicklung des Stimmvolumens sicher noch zu erwarten ist und sicher geführt raumfüllend und kristallklar in den Höhen. Ihre Arie “Quando m’en vò” geht ihr ebenso leicht und doch voll klingend von den Stimmbändern, wie sie anfangs herrlich kokett und leicht zickig, schließlich aber reif und mitfühlend zu überzeugen weiß. Möge man ihr die Zeit geben Ressourcen nach und nach zur Vollendung zu bringen, ohne all das Schöne, dass ihre Stimme schon jetzt hat zu zerstören
Vincenzo Neri, ist,ebenso wie Anat Edri, ehemaliges Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Und bewies schon damals, wie gut und augenscheinlich mühelos er mit dem ihm gegebenen Stimmmaterial umzugehen weiß. Inzwischen hat sich sein Stimmumfang erweitert und bekommt mehr und mehr „Gänsehautpotential“ und auch er versteht es seiner Rolle darstellerisch ein authentisches, sich entwickelndes Profil zu geben.
Kwonsoo Jeons als Rodolfo straft, die immer noch verbreitete Ansicht Lügen, Sänger asiatischer Abstammung würden mehr Wert legen auf perfekte Technik, als auf berührende Darstellung. Sein Rudolfo vielschichtig in Gesang und Spiel. Sein „Che gelida manina“ geht ebenso unter die Haut, wie sein Finalton von „O, soave fanciulla“ beeindruckt.
Er hat stimmlich alles, was für einen Tenor des italienischen Faches wichtig ist: Schmelz und auch Kraft, strahlende Höhen und stimmliche Wandlungsfähigkeit, die unerlässlich ist um nicht nur zu durch Töne zu faszinieren, sondern dazu noch zu berühren.
Jeons gelingt beides und ebenso die Veränderung vom jungen Verliebten, bis zu gereiften“ Erwachsenen, der statt, der sterbenden Mimi seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, deutlich macht, dass sie zwar immer noch seine große Liebe ist, doch auch ein großer Teil einer vergangenen Zeit: der Jugend. Umso mehr rührt es zu Tränen, das er nicht erst bei den berühmten „Mimi! Mimi!”-Rufen weint, sondern schon sein: „Che vuol dire? Quell’andare e venire…“ eher schluchzend schreit, als ruhig fragt.
Ivi Karnezi als Mimi ist die vierte großartige Debütantin an diesem Abend. Sie wirkt weniger schüchtern und mädchenhaft, als bekannte Mimis längst vergangener Tage. Sie ist eine für die damlaige Zeit selbstbewusste Frau, auf jedoch viel subtilere Art als Musetta. Am Ende dann klammert sie sich mit jeder Geste, jeden Ton ans Leben und vielleicht auch an die damaligen glücklichen Zeiten. Ihr Umgang mit ihrer wunderschön lyrisch angehauchten Stimme, spiegelt von Anfang an die Persönlichkeit, die Emotionen und den Werdegang Mimis wider. So dass man gar nicht anders kann, als zu Beginn, selbst bei ihrem „Mi chiamano Mimi“, berührt zu schmunzeln, um später in ihrer Sterbeszene hemmungslos die Tränen fließen zu lassen.
Fazit: Ein wunderschöner Abend für alle die italienische Oper und insbesondere Puccini und seine verfeinerte Art des Verisimo lieben, aber auch für jene, die zum ersten Mal eine Oper besuchen.
- Rezension der besuchten Premiere am 1.12.2018 von Birgit Kleinfeld/RED. DAS OPERNMAGAZIN
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- Titelfoto: Staatstheater Braunschweig/ LA BOHEME/ Foto ©Björn Hickmann / Stage Picture
Bonbonregen? Sicher für die Schreiberin dieses Textes.. Aber eigentlich ist die Handlung alles andere als süß und köstlich. Ob die Regie mit dieser Deutung zufrieden ist?
Da gebe ich Ihnen, für Ihre Meinung dankend, recht, die Handlung ist eher bewegend. Doch das Werk ist hier auf eine Art umgesetzt, die wie beschrieben, nicht nur akustisch, sondern auch optisch einen „köstlich berührenden“ Genuss bietet, Und wer kann nicht zufrieden sein mit einem Publikum, das genießt und dies auch ausgiebig zeigt?