Staatstheater am Gärtnerplatz: „Le Nozze di Figaro“ – Ein Lustspiel, wie es im Buche steht

Staatstheater am Gärtnerplatz/ Le Nozze di Figaro/Ensemble/ Foto © Markus Tordik

2023 ist das Jahr der Nozze-Inszenierungen: Im März war Wien dran, im Herbst feiert Mozarts Opera buffa an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Dazwischen: Das Gärtnerplatztheater. Josef E. Köpplinger gelingt eine rasante Inszenierung, die doch nie übertrieben wirkt. Ein spielfreudiges Ensemble und musikalische Höchstleistungen sorgen für einen mehr als unterhaltsamen Abend. (Rezension der Vorstellung v. 2. Juli 2023)

 

Eine Sekunde dauert es, dann liegt der rote Vorhang auf dem Boden: Der dritte und vierte Akt von Mozarts Le Nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro) spielen in der Inszenierung von Josef E. Köpplinger nicht im Festsaal und im Garten, sondern im alten Schlosstheater des Grafen Almaviva. Das Wappen über dem Proszenium ist im spanischen Palast natürlich ein anderes als im Bayerischen Gärtnerplatztheater, der Vorhang aber ist eine Replik des Hauptvorhangs des Gärtnerplatztheaters. Und diesen Vorhang reißt Figaro im vierten Akt von der Decke. Er, der so viel Mühe investiert hat, Susanna doch noch heiraten zu dürfen, wähnt sich jetzt von ihr betrogen. Aber das Spiel ist aus, das Theater enttarnt, der Vorhang gefallen. Was Figaro nicht ahnt: Die wahre Komödie steht ihm zu diesem Zeitpunkt noch bevor, denn seine frisch angetraute Ehefrau bleibt ihm treu. Die Frau, die sich in Susannas Kleidern mitten in der Nacht mit dem Grafen ein Stelldichein gibt, ist dessen eigene Gattin. Verwechslungen, große Gefühle und noch größere Komik: Le Nozze di Figaro ist ein Lustspiel, wie es im Buche steht und als solches wird die Oper am Gärtnerplatztheater auch inszeniert.

Staatstheater am Gärtnerplatz/Le Nozze di Figaro/Anna Agathonos ( Marcellina), Reinhard Mayr ( Don Bartolo, Arzt)/Foto © Markus Tordik

Der Humor steht auf der Bühne an oberster Stelle. Eingestreute gesprochene Texte sorgen für lautes Lachen im Publikum: Ein kurzes „Hola!“ etwa, wenn Basilio auf der Suche nach Cherubino in Zimmer stürmt, in denen er nichts verloren hat, oder ein strenges „Figaro!“ von Susanna, wenn der Geliebte beim Ausstaffieren des Neuoffiziers Cherubino zu grob wird. Aber nicht nur durch solche Einfügungen werden lustige Situationen erzeugt, auch der in Lorenzo Da Pontes Libretto enthaltene Humor wird voll und ganz ausgekostet. Zum Beispiel im Fall von Marcellina und Bartolo: Großartig verkörpert von Anna Agathonos und Reinhard Mayr sorgen die beiden mit ihren Versuchen, Figaro zur Ehe mit Marcellina zu zwingen, für großes Amüsement. Als sich – Achtung, Spoiler – herausstellt, dass Figaro in Wahrheit der gemeinsame Sohn Marcellinas und Bartolos ist, hat sie gar kein Problem damit, ihre Heiratswünsche von ihm auf Bartolo zu übertragen, der aber ein Gesicht zieht, als wäre er am liebsten überall, nur nicht hier, und diesen Ausdruck den Rest der Oper über beibehält. Mit dem neu gefundenen Sohn fremdelt er, der neuen Verlobten würde er am liebsten aus dem Weg gehen. Sein grandioses Schauspiel ergänzt Mayr durch eine angemessene Prise an resignierter Ironie in der Stimme. Diese Unlust neben der Motivation Marcellinas – Herrlich.

Man merkt: Köpplingers Inszenierung überzeugt vor allem mit eindrucksvoller Personenzeichnung. Die fängt schon bei den Bühnenbildern Johannes Leiackers an: Die Handlung spielt, unverkennbar durch die hohen Decken und riesigen Fenster, in einem Schloss. Aber was für eines! Von den Wänden bröckelt der Putz, unter der Decke sind sogar riesige Löcher in der Wand, und die Fenster? Da hilft Putzen schon gar nicht mehr, die gehören ausgetauscht. Der heruntergekommene Palast beschreibt am besten den Zustand des Hausherren, Graf Almaviva. Es dauert einen ganzen Akt, bis der ein Hemd anhat, davor absolviert er seine Auftritte nur in Hose und im offenen Bademantel. Er glaubt, sich alles nehmen zu können, was er will, und jetzt gerade will er Susanna in sein Bett bekommen. Was seine Höflinge und das von Figaro eingeladene Volk von ihm denken, kümmert ihn genauso wenig wie der Zustand seiner Ehe oder der seines Palasts. Ludwig Mittelhammer spielt die Rolle des sich gehenlassenden Grafen hervorragend, zum Glück ohne dessen Haltung auf seine Stimme zu übertragen. Die ist von ungebrochener Strahlkraft und mit klar phrasierten Versen gelingt Mittelhammer eine auch musikalisch überzeugende Darstellung. Ihrem Bühnengatten in nichts nach steht Ana Maria Labin, die eine erfreulich dreidimensionale Gräfin Almaviva gibt. Besonders allein mit Susanna verleiht sie ihrer Trauer mit bezaubernd zerbrechlichen, aber niemals zu leisem Stimmklang Ausdruck, an anderer Stelle braust sie auf und macht klar: Traurig darf man sein, aber niemals resigniert. Diese Gräfin ist fest entschlossen, das Verhältnis zu ihrem Gatten wieder gerade zu bügeln, egal, was sie dafür tun muss, und egal, wie oft er sie bis dahin betrügt.

Staatstheater am Gärtnerplatz/Le Nozze di Figaro/Levente Páll ( Figaro), Anna-Katharina Tonauer ( Cherubino, Page), Sophie Mitterhuber (Susanna) /Foto © Markus Tordik

Wunderbar gestaltet sind auch Susanna und Figaro. Die Rollenverteilung ist klar: Susanna, gespielt von Sophie Mitterhuber, ist die kluge Zofe, nicht, weil es ihr spaßmacht, sondern weil der Haushalt Susanna-Figaro eine Person braucht, die mitdenkt. Denn Figaro ist, mit Verlaub, nicht der Hellste. Dafür ist er aber umso engagierter: Niemals gehen ihm die Ideen aus, niemals die Ausreden. Wenn sich zwischendrin die Umstände ändern und die Geschichte nicht mehr passt? Egal, dann fügt er eben schnell ein neues Kapitel hinzu. Levente Páll liegt das schnelle Parlando der ausschweifenden Erzählungen hervorragend. Da sieht man gern darüber hinweg, dass er in den Arien die ein oder andere Silbe vernuschelt. Genauso überzeugend wie sein Engagement ist Figaros Zorn. Páll gelingt es, seine eigentlich weiche Bassstimme wunderbar rau und fast schon aggressiv klingen zu lassen. Es macht Spaß, diesem Figaro zuzusehen, wie er gegen den Grafen grollt. Im vierten Akt ist Páll immer noch in Form, doch Figaro verlassen die Kräfte: Während Susannas verführerischer Rosenarie, von der er glaubt, dass sie an den Grafen gerichtet ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu weinen. Man kann es ihm nicht verübeln. Apropos Rosenarie: In der Interpretation Mitterhubers ist die einer der Höhepunkte des Abends. Am liebsten hätte man eine Zugabe.

Und dann ist da noch Cherubino, der, wie seine Darstellerin, die Mezzosopranistin Anna-Katharina Tonauer, in der Online-Stückeinführung feststellt, dem Grafen nicht ganz unähnlich ist: Auch er interessiert sich mehr für Frauen als für alles andere. Nur aus anderen, weniger perfiden Motiven. Als Hosenrolle ist Cherubino ein Junge vor dem Stimmbruch, dessen Hormone ihn fest im Griff haben. Er weiß nicht, was er tut, so singt er. In der Darstellung Tonauers, gesungen mit wunderschön leichten, jugendlichen Timbre und herrlich verträumt gespielt, kauft man ihm das voll und ganz ab. Dieser Cherubino hat keine Ahnung, was um ihn herum geschieht, er lebt in seiner eigenen Welt, die nur aus Liebe und Frauen als göttlichen Wesen besteht. Einziges Manko: Tonauers Cherubino wirkt so kindlich, dass es fast unangenehm ist, wenn Susanna und die Gräfin auf seine Flirts eingehen, oder sogar selbst die Offensive ergreifen. Darüber denkt man dann besser nicht zu lange nach, viel lieber schmilzt man bei Tonauers himmlischer Interpretation von Voi che sapete dahin. Daneben ist Cherubino auch stets ein Garant für Lacher. Sei es, wenn er beim Verkleidungsspiel plötzlich von seinen eigenen Brüsten fasziniert ist, oder wenn er versucht, sich vor dem Zorn des Grafen im Kühlschrank zu verstecken.

Staatstheater am Gärtnerplatz/ Le Nozze di Figaro/Ensemble/ Foto © Markus Tordik

Moment, ein Kühlschrank? Eigentlich spielt Le Nozze di Figaro ja im Sevilla des späten 18. Jahrhunderts, da hatten Bedienstete in der Regel noch keine eigenen Kühlschränke. Köpplinger verlegt die Handlung aber kurzerhand in die 1960er-Jahre. Die von der Mode der Zeit inspirierten Kostüme Thomas Kaisers sind ganz hübsch anzusehen, doch warum die Inszenierung zur Zeit der Franco-Diktatur spielen muss, versteht man nicht. Im Programmheft erzählt Dramaturgin Fedora Wesseler, dass die Atmosphäre Franco-Spaniens wohl irgendwie der des vorrevolutionären Frankreich ähnelt, in dem Pierre Augustin Caron de Beaumarchais die Figaro-Vorlage Le Mariage de Figaro veröffentlichte. Im Hinblick auf totalitäre Herrschaftsformen mag das ja sein, nur merkt man davon auf der Bühne nichts. Das Schloss des Grafen ist die ganze Welt von Le Nozze, was außerhalb passiert, spielt bis auf Cherubinos angedachten Militäreinsatz keine Rolle. Es gibt noch ein paar andere Elemente in der Inszenierung, die Fragen aufwerfen. Zum Beispiel, ob es denn wirklich keine andere Möglichkeit gab, den Umbau vom ersten zum zweiten Akt zu überbrücken, als Figaro sein Non più andrai vor einem schwarzen Vorhang singen zu lassen – eine andere, bessere Begründung, als dass das Publikum die Bühne nicht sehen soll, lässt sich für diesem Regieeinfall nämlich nicht finden. Auch fragt man sich, warum die Jagdhunde des Grafen denn unbedingt auf der Bühne präsent sein müssen. Im Libretto stehen sie nicht, in der Inszenierung lenken sie ab. Das Publikum lacht mehr über das eher mittelmäßige Schauspieltalent der gecasteten Vierbeiner – einer starrt sekundenlang nur in den Orchestergraben – als Almavivas Monolog zu lauschen. Doch nichts von all dem stört wirklich. Die Inszenierung bleibt eine rasante Nozze, die eben in den 60er-Jahren spielt. Ganz ohne eine revolutionäre Neudeutung – aber das muss ja auch nicht sein, solange es Spaß macht, und das tut diese Inszenierung auf jeden Fall.

Musikalisch ist die Produktion durchweg gelungen. Bis in die kleinsten Rollen ist sie hervorragend besetzt, hier sind vor allem Caspar Krieger als Don Curzio und Julia Sturzlbaum als herrlich blauäugige Barbarina zu nennen, aber auch Alexander Grassauer überzeugt als Antonio und macht schon neugierig auf einen möglichen zukünftigen Figaro. Juan Carlos Falcòn gestaltet einen souveränen Basilio.

Rubén Dubrovsky (Designierter Chefdirigent der Spielzeit 2023/2024)/ Foto © Jan Frankl

Am Pult steht Rubèn Dubrovsky, ab kommender Spielzeit Chefdirigent am Gärtnerplatztheater. Er legt ein recht zackiges Dirigat an den Tag. Damit ist weniger sein Tempo gemeint, das sich durchaus im für Le Nozze üblichen Rahmen bewegt, sondern der Stil. Schon in der Ouvertüre zeigt er, dass er für friedlich vor sich hin schwebende Melodien wenig übrig hat – die bleiben Cherubino und Susanna vorbehalten. Eher arbeitet er sich an Spitzen entlang, von Fortissimo zu Fortissimo. Das Ergebnis ist ein höchst spannendes Nozze-Dirigat, das man so eher selten hört. Das Publikum im Saal hält Dubrovsky vom ersten Ton an bei der Stange. Im weiteren Verlauf des Abends überzeugt er außerdem durch eine hervorragende Balance zwischen Sängern und Orchester. Dirigent und Solisten werden für ihre Leistungen mit Standing Ovations belohnt. Auf der Bühne und im Orchestergraben – Le Nozze di Figaro am Gärtnerplatztheater ist eine Produktion, die man gerne noch einmal sehen und hören will.

 

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