Wer schläft, sündigt nicht – wer träumt, manchmal schon
Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ bietet seit jeher Stoff für unzählige Adaptionen, ist sein Thema doch zeitlos: Streit, Intrigen, Irrungen und Wirrungen. Doch am Ende siegt, wie so oft, die Liebe. (Besuchte Vorstellung: 7. Juni 2017)
Der Feenkönig Oberon (Lawrence Zazzo) will seine Frau Titania (Ha Young Lee) bestrafen, weil diese sich ihm widersetzt, ihm nicht gibt, was er fordert. Also tröpfelt er ihr ein Zaubermittel auf die Augen als sie schläft, damit sie sich in den oder noch besser „das“ Erstbeste verliebt, das sie beim Erwachen erblickt: Den sterblichen Handwerker Bottom (Alin Anca), dem ein Eselskopf angehext wurde von Puck (Jesse Inman), Oberons neckischem Helfershelfer. Den zweiten Auftrag jedoch, nämlich ebenfalls mittels der Zaubertropfen dafür zu sorgen, dass Demetrius (Kartal Karagedik) von Hermia (Dorottya Láng) ablässt und sich Helena (Iulia Maria Dan) zuwendet, die ihm ganz verfallen ist. Zumal Hermia, die Liebe von Demetrius, auch wenn sie ihm versprochen ist, nicht erwidert. Ihr Herz gehört Lysander (Oleksiy Palchykov), der diese Gefühle erwidert. Zumindest bis Puck die beiden Männer verwechselt und damit noch vergrößert. Als er, wenn auch auf unlauterem Wege bekommen hat was er will, nämlich jenen Menschenknaben, um den sich der Streit drehte. Entwirrt Oberon alles, er erlöst seine Frau, die wahren Paare finden sich, Bottom wird seinen Eselskopf los, kann mit seinen Kollegen, das Stück, dass sie im Wald einstudieren wollten am Hof von Athen aufführen, und allen Träume bleiben wo sie hingehören: Im Feen/Traumreich.
Eine wirklich äußerst unterhaltsame, fantasievolle und schöne Umsetzung dieses Stoffes, ist die Fassung der Oper „A Midsummer Night’s Dream“ von Benjamin Britten an der Staatsoper Hamburg. Die Inszenierung von Simon Phillips, mit Bühnenbild und Kostümen von Es Devlin aus dem Jahr 2006, fordert viel von allen Darstellern, vor allem aber auch von den Damen und Herren der Technik, denen heute – endlich?- mein herzlichster und öffentlicher Dank gilt, denn von ihnen hängt hier noch mehr ab, als in vielen anderen Vorstellungen.
Bevor die Vorstellung beginnt, sind Bühne und Zuschauerraum durch einen Vorhang getrennt, auf dem in einem großen Kreis ein stahlblaues menschliches Auge zu sehen, das seinen Blick durch den Saal schweifen lässt. Es schließt sich, als mit der Ouvertüre Spiel und Traum beginnen. Titanias Elfen (Hamburger Alsterspatzen) sitzen auf Küchenstühlen, von denen auch der niedrigste in fast schwindelerregender Höhe vom Bühnenhimmel hängt. Später schwebt dann Titania in einem Bett, dessen Liegefläche dem Zuschauerraum zugekehrt ist, hinunter auf die Bühne. Und auch Oberon selbst ist nicht davor gefeit, hin und wieder den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Zwischendurch besteht der Bühnenhintergrund im ersten Akt immer wieder aus Gegenständen des alltäglichen Sterblichenlebens, die dann im zweiten Akt, wenn das Chaos für Sterbliche, wie auch für Feen seinen Höhepunkt erreicht hat, durch Spiegelscherben ersetzt werden. Erst im dritten Akt, zurück im urban-höfischen Leben, gibt es ein klassisches Bühnenbild. Denn nun hat, auch im übertragenen Sinne, jeder und alles seinen Platz gefunden. Die gedeckten, manchmal gespentisch beleuchteten Farben der Feenwelt, sind reinem Weiß gewichen. Alle Protagonisten, eben noch farbenfroh gewandet, so wie das weltliche Herrscherpaar Theseus (Ramaz Chikviladze) und Hippolyta (Katja Pieweck), sind in diese Sündenfreiheit verheißende Farbe gekleidet. Nur die Handwerker bleiben, wie sie waren.
Die Kostüme an sich, als optische Charakterisierung, sind passend zur soliden lebendigen Personenführung, frei aller Kitsches, wie Wallegewändern und „Elfenflügelchen“. Das Herrscherpaar trägt lange schwarze Mäntel über nackten Oberkörpern. Wobei wirklich nackt nur bei Oberon zutrifft, denn Titania trägt einen fleischfarbenen Body mit Blumentattoos. Beide wirken eher androgyn, denn extrem männlich oder weiblich sinnlich-erotisch.
Die fast knabenhaft zierliche Ha Young Lee trägt einen blauschwarzen Kurzhaarschnitt. Auch hier bleibt sie, wie so oft in der Darstellung, asiatisch zurückhaltend bis wenig überzeugend. Allerdings überrascht an diesem Abend, dass die Höhen der stimmtechnisch sonst so Versierten, es an Klarheit und Sicherheit fehlen lassen und spröde klingen. Die Erklärung mag darin liegen, dass sie augenscheinlich schon von Beginn der Vorstellung an nicht gut disponiert ist. Denn nach dem zweiten Akt, vor der Pause, bricht sie die Vorstellung ab.
Die männliche Kraft, die der hier glatzköpfige Lawrence Zazzo figürlich ausstrahlt, wird durch sein Stimmlage relativiert. Seinen Countertenor, von warmer, schmeichelnder Klangfarbe weiß er sicher zu führen und seine Darstellung fasziniert, ist sein Oberon auch nicht gerade von der sympathischen, sondern eher der egomanischen, herrschsüchtigen Art. Besondere Anerkenung jedoch gebührt ihm dafür, dass er sich bereiterklärt im dritten Akt für die erkrankte Kollegin auch die Rolle der Titania zu übernehmen. Eine interessante Lösung, die ihm, zusätzlich zur Begeisterung über seine Leistung, noch extra Applaus einbringt.
Die dritte große Rolle aus dem Feenreich, der schelmische Puck, ist mit Schauspieler Jesse Inman passend besetzt. Er wirbelt über die Bühne, hat sichtlich Spaß an dem Schabernack, den er, im feinsten Britisch-Shakespeare rezitierend, seiner Herrin, den Handwerkern und – wenn auch nur aus Versehen,- den beiden sterblichen Paaren, spielen darf.
Hier geben Mezzosopranistin Dorottya Láng und Tenor Oleksiy Palchikov als Hermia und Lysander, die spießig-gesittete Variante von Liebenden. Láng erinnert in ihrem rosafarbenen Kostümchen mit Bleistiftrock und in ihrer prüden Art irgendwie an Doris Day und reizt oft zum Schmunzeln. Palchikov, als zuerst nur ihr ergebener und dann unter Pucks Zauber frenetisch zum Kampf um Helena entschiedener Lysander, bringt sogar zum Lachen. Die stimmliche Leistung der beiden jedoch, schmeichelt den Ohren. Sofern es Brittens Musik, der es an Arien mangelt, es zulässt.
Ähnliches gilt für Sopranistin Iulia Maria Dan, als wunderbar hysterisch-verliebte Helena. Die in ihrem türkisen fünfziger-Jahre Kleid, an eine junge Lauren Bacall erinnert. Wie auch Bariton Kartal Karagedik, der schon durch seine schwarze Wallemähne unkonventionell künstlerisch wirkt, als auch ihr empörtes, genervtes Objekt der Begierde, Lysander. Dan betört durch kraftvolle Zartheit, besonders in den Höhen. Karagedik zeigt auch hier seine stets verlässliche stimmliche Präsenz.
Bleiben noch die Handwerker, die ja die Absahnerollen haben. Die Rollen, die humorvoll, tollpatschig und somit sehr menschlich konzipiert sind, das Publikum und dessen Sympathie sowie so auf ihrer Seite haben. Doch, Alin Anca, Alexander Roslavets, Denis Velev, Viktor Rud und Sascha Emanuel Kramer, haben diese Vorschusslorbeeren, darstellerisch ganz und gar nicht und stimmlich kaum nötig. Hat manch einer von ihnen auch noch etwas bis viel Platz nach oben zur Weiterentwicklung.
Last but not least trug auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Yves Abel zum Gelingen dieses kurzweiligen Abends um sündige Träume bei, der zeigt, wie unterhaltsam Regietheater sein kann.
*Weiterführende Informationen auf der Homepage der Staatsoper Hamburg
*Titelfoto: Hamburgische Staatsoper/A Midsummer Night’s Dream/@ Brinkhoff-Mögenburg
*Besuchte und rezensierte Vorstellung vom 7.6.2017 / Rezension von Birgit Kleinfeld, Hamburg