Saisoneröffnung der Alten Oper Frankfurt: Jubiläumskonzert der Staatskapelle Dresden unter dem gipfelstürmenden Christian Thielemann

Sächsische Staatskapelle Dresden/14.09.2023/ Foto © Jörg Simanowski – Markenfotografie

Die Sächsische Staatskapelle Dresden feiert in diesem September ihren 475. Geburtstag seit  Gründung des Weltklasseorchesters. Zu solch einem festlichen Anlass ist neben Sonderkonzerten in der Heimatspielstätte des Orchesters, der Semperoper Dresden, eine umfangreiche Konzerttournee durch Europa angesetzt. Im Programm für die Alte Oper Frankfurt hat die Staatskapelle eine der beliebtesten Tondichtungen von Richard Strauss, Eine Alpensinfonie, op. 64. Wie kein anderes Orchester identifiziert sie sich mit den Werken dieses Komponisten, welcher auch durch sein Wirken als Dirigent dessen unverwechselbare Klangtradition geprägt hat. Diese Jubiläumsspielzeit wird zugleich auch die letzte von Christian Thielemann als Chefdirigent sein. Jedoch stellt sich nach dieser großartigen Saisoneröffnung der Alten Oper die berechtigte Frage: Hat die Staatskapelle Dresden in ihrem 475-jährigen Bestehen jemals derart großartig musiziert wie zuletzt unter Thielemann? Der Dirigent erstürmte mit seiner Staatskapelle in der Alpensinfonie den musikalischen Gipfel. Der Abend setzte nie geahnte Maßstäbe eines Strauss-Dirigats von allerhöchster Qualität. Wer vermag es, in Zukunft an solch grandiose Klangqualitäten anknüpfen? (Konzert vom 14.09.2023) 

 

Zunächst erklang mit Der Schwanendreher von Paul Hindemith ein für Christian Thielemann ungewöhnliches Werk. Denn Thielemann, der sich üblicherweise auf das Repertoire des großen romantischen Orchesterapparats fokussiert, musste in diesem Konzert für Solo-Bratsche seine kammermusikalischen Dirigier-Fähigkeiten unter Beweis stellen. Der Capell-Virtuos der vorletzten Spielzeit, Antoine Tamestit, kehrte für diese Jubiläums-Tournee als Solist an der Bratsche zur Staatskapelle zurück. Das ergänzende „kleine Orchester“ dieser Hindemith-Komposition „nach alten Volksliedern“ verlangt weder nach Geigen noch nach Bratschen, einzig einzelne Blasinstrumente dienen nebst Celli und Kontrabässen als Begleitstimme. Diese durchaus ungewöhnliche Solistenbegleitung ermöglichte eine Fokussierung auf die Virtuosität und Meisterschaft des Solo-Bratschisten. Tamestit verführte mit seinem großen, sinnlichen Bratschenklang in technischer Perfektion das Publikum. Thielemann dirigierte dabei außerordentlich angespannt und sichtlich konzentriert mit regelmäßigem Blick in die Partitur. Ihm oblag und gelang es, den kammermusikalischen Gesamtklang ausbalancierend, seinen Solisten zu führen. Mancherorts schien der Dirigent diesen mehr als Primus inter pares der Staatskapelle anzusehen, so dass die solistische Virtuosität von Tamestit erst im duettierenden Miteinander der Harfenistin — besonders charakteristisch im langsamen zweiten Satz — ihre Wirkung entfaltete. Hier zeigte Tamestit, welch Genialität sich Hindemiths Komposition verbirgt.

Sächsische Staatskapelle Dresden/14.09.2023/ Foto © Jörg Simanowski – Markenfotografie

Als letzte seiner großen Tondichtungen wurde Strauss‘ Alpensinfonie schon zur Uraufführung im Jahre 1915 von den Kritikern etwas abfällig belächelt, habe Strauss doch stellenweise arg plakativ und gefällig komponiert. Die musikalische Qualität, Innovationskraft und Geschlossenheit seines um die Jahrhundertwende komponierten Zarathustras oder der Salome erreiche Eine Alpensinfonie leider nicht. Und doch gilt diese — zum Kitsch neigende — Tondichtung geradezu als guilty pleasure von Christian Thielemann, der sie immer wieder auf die Konzertprogramme seiner beiden Stammorchester, den Wiener Philharmonikern und der Staatskapelle Dresden, setzt. Mit den „Wienern“ spielte Thielemann das Werk schon im Jahre 2000 auf CD ein und nahm es erst kürzlich auf Konzerttournee durch die USA. Mit dieser Tondichtung brillierte die Staatskapelle unter seiner Leitung auch schon bei den Salzburger Osterfestspielen. In diesem Jahr dirigierte Thielemann die Alpensinfonie gleich mehrmals mit den „Wienern“ als auch den „Dresdnern“ im Musikverein Wien.

Sächsische Staatskapelle Dresden/14.09.2023/ Foto © Jörg Simanowski – Markenfotografie

Im Gegensatz zu Hindemiths Schwanendreher dirigierte Thielemann die Alpensinfonie auswendig. Beim Manövrieren durch die Klangmassen des stark besetzen Orchesterapparats wirkte er sichtlich selbstsicherer und wagemutiger — stellenweise gar etwas angriffslustig —  als im minimalistischeren Solisten-Teil des Konzertprogramms. Zunächst interpretierte Thielemann das Werk im Sonnenaufgang und Anstieg noch in erfrischend, leicht abgeklärt anmutenden straffen Tempi. In den Naturmalereien des Wasserfalls und später auf der Alm legte er in ganz freier, intuitiver Gestaltung der Holzbläser das Sphärische der Partitur frei. Ab dem Gipfel und nochmal verstärkt in der Elegie verlor Thielemann sich, nach einer philosophischen Tiefe Nietzsches suchend, gänzlich und schuf so jene magischen Momente, für welche seine Interpretationen bekannt ist. Der Ausklang wirkte im breiten Streicherteppich schwerelos-ruhig und friedlich. In den Schlusstakten der Nacht ließ Thielemann die Sinfonie in einem trostlos abgeklärten, kühlen Nichts verenden. Das Publikum verharrte bis zum Applaus in lang anhaltender andächtiger Stille.

Als Zugabe entsandte die Staatskapelle Dresden das beglückte Publikum mit einer himmlisch- süßen Interpretation der Mondscheinmusik aus Strauss‘ Oper Capriccio auf den Heimweg.

In zwei Monaten werden die Berliner Philharmoniker mit Richard Strauss Ein Heldenleben, op. 40 eine weitere Tondichtung in der Alten Oper Frankfurt aufführen. Es wird sich zeigen, ob deren Chefdirigent Kirill Petrenko an die musikalischen Strauss-Qualitäten Thielemanns anzuknüpfen vermag.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Alte Oper Frankfurt
  • Titelfoto: Sächsische Staatskapelle Dresden/14.09.2023/ Foto © Jörg Simanowski – Markenfotografie
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