„REVOLUTION DER KÜNSTLER – GERECHTIGKEIT DER KUNST“

logo_artbutfair_beta1Ein Rückblick zum 75 jährigen Jubiläum von „Art but Fair“ und der „Revolution der Künstler“! 

VORWORT

„Seven-generation-sustainability“ nennt man das Prinzip, nach dem verschiedene indigene Stämme Nordamerikas ihre Entscheidungen getroffen haben und das unser Wirtschaftssystem sowie die Politik in den letzten Jahren mehr und mehr adaptiert hat. Jeder Entscheidung liegt der Blickwinkel zugute, wie sich diese bis in die siebente Generation auswirken wird. Sieben Generationen umfassen etwa 140 Jahre.

Wir haben daher nun etwa Halbzeit in diesem Prozess, wenn man die Stunde 0 im Jahr 2013 ansetzt. Also in jenem Jahr, in dem Johannes-Maria Schatz seine „Klagemauer“ auf Facebook (einem sozialem Netzwerk, das Anfang unseres Jahrhunderts recht bedeutsam war) gegründet hat, aus der dann bald die Organisation „Art but Fair“ hervorging sowie die Mezzo-Sopranistin Elisabeth Kulman die „Revolution der Künstler“ ins Leben gerufen hatte.

Am kommenden Samstag, dem 10. Juli 2088, findet zum 75 jährigen Jubiläum von Art but Fair und der Revolution der Künstler und aller daraus hervorgegangenen Initiativen, organisiert vom Europäischen Ministerium für Darstellende Kunst, ein großer Festakt statt, mit europaweiten Parallelveranstaltungen an allen Theatern und Sommerfestivals. Ich wurde beauftragt die Festrede für die Ministerin zu verfassen und habe mich entschlossen einen Rückblick auf die Geschehnisse der vergangenen Jahrzehnte zu gestalten, der die Entwicklung der darstellenden Kunst, deren Einfluss auf unsere Gesellschaft sowie deren Effekt auf die nationalen Staatshaushalte im Fokus hat, sodass wir uns an diesem Tag nochmals über den Wert von Kunst für eine funktionierende Zivilgesellschaft erinnern.

Wie die Chroniken und Archive zeigen, gab es Anfang unseres Jahrhunderts viele sehr festgefahrene Standpunkte sowie ideologische Grabenkämpfe in einer Schärfe und Verbittertheit, wie wir sie uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Bewusst inszenierte Wirtschaftskrisen dienten zur Untergrabung einer funktionierenden Zivilgesellschaft und auch wenn Zentral- und Westeuropa seit Jahrzehnten Frieden hatte, gab es zu keiner Zeit mehr bewaffnete Konflikte und höhere Militärbudgets. Zugleich wurde behauptet, dass kein Geld für Kultur, Bildung und Infrastruktur da sei und man daher vor allem hier einsparen musste.

Länder, Städte und Kommunen ließen sich unter Druck setzen, diese Vorgaben zu exekutieren. Man kaufte diese manipulierte Realität von jenen ab, die eine hidden agendahatten, deren Handlungsweise also von Dingen beeinflusst waren, die nicht offengelegt wurden.

Man hatte jedoch nicht mit dem massiven Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gerechnet. Vor allem die bis in das zweite Jahrzehnt unseres Jahrhunderts fast flächendeckende Verbreitung des Internets und die immer stärker greifende Repolitisierung unserer Gesellschaft trug dazu bei, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder ihrer Verantwortung für den Staat bewusst wurden. „Res publica“, die Sache des Volkes! Zu lange hatte man die Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft ausgelagert.

Auch war es für die informierten Bürger doch recht einfach zu argumentieren, denn Zahlen lügen nie. So kamen etwa Lokalpolitiker immer mehr in Bedrängnis Theater oder Spartenschließungen durchzusetzen, in Zeiten wo einzelne Banken mit Beträgen gerettet wurden, die den gesamten Jahreskulturförderungen für Deutschland entsprachen. Zudem deckten engagierte Bürgerinnen und Bürger Lügen und Halbwahrheiten zu den Zahlen der Haushalte von Städten und Kommunen auf. Politiker versuchten Sparvorgaben und ganze Theaterschließungen so zu begründen, indem sie suggerierten, dass etwa der Haushalt einer Stadt durch eine Theaterschließung saniert werden könnte. Die Aktivisten legten aber mittels Zahlen dar, dass etwa ein typisches deutsches Stadttheater, den Haushalt mit ca. 1% des Gesamtbudget belaste. Und jeder konnte sich nun selber ausmalen, dass eine Einsparung von 1% des Gesamthaushaltes – ganz zu schweigen von den Abwicklungskosten und den fortlaufenden Kosten für unkündbare Verträge, die teilweise noch über viele Jahre nachwirken würden – keinen Haushalt sanieren konnte. Zudem wurden jene Stimmen immer lauter, die rein steuermathematisch nachweisen konnten, dass Kulturförderungen tatsächlich einen höheren ROI aufweisen können als jede halbwegs sichere Veranlagung. Städte wie Wien, die schon damals ein überdurchschnittlich reiches Kulturangebot hatten, profitierten von Folgewirkungen, wie etwa dem Kultur- und Kongresstourismus, um nur einen Aspekt zu erwähnen.

Vor allem aber begann eine intensive Diskussion über den Wert von Kunst als essentielles Bindemittel für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Diese Diskussion löste wiederum ein generelles und großflächiges Nachdenken über Basiswerte, Lebenskonzepte und Visionen, die wir als Gesellschaft haben und der Einzelne als Individuum hat, aus. Kultur- und Umweltdiskussionen wurden zum Katalysator für eine vollständige Transformation unserer Gesellschaft.

Hatten in den 1980er Jahren die Revolutionen in Osteuropa ihren Ausgangspunkt bei Gewerkschaften, Studenten und der Kirche und ging es um Themen, wie persönliche Freiheit, Selbstbestimmung, Religionsfreiheit und gesellschaftliche Vielfalt, so waren es nun die Künstler und die Umweltaktivisten, die sich laut zu Wort meldeten, da sie die entscheidende Frage nach den Werten der Gesellschaft aufbrachten und sich viele Menschen die Frage zu stellen begannen, in welcher Art von Gesellschaft sie eigentlich leben wollten und welches Erbe man den folgenden Generationen hinterlassen wollte. Vor allem die Zukunftsperspektive wurde immer stärker in die wirtschaftliche und sozialpolitische Überlegungen einbezogen. Zu Beginn unseres Jahrhunderts prägten Personen wie u.A. Gary Douglas oder das Ehepaar Bowmann, den Begriff Benevolent Capitalism. Sie plädierten für eine Wirtschaftsform, die nicht den Profit des Einzelnen oder einer Organisation als einziges Ziel definierte, sondern die die Frage stellte, welcher Beitrag ein Geschäft oder ein Projekt für den Planeten und jeden einzelnen sein kann. Und nur wenn es ein nachhaltiger Beitrag sein kann, soll investiert werden. Der Ansatz von Kunst passte hier perfekt hinein, da der Fokus gar nicht Profit sein kann, sondern immer im Wertzuwachsfür die Gesellschaft und das Individuum liegt. So begannen sich langsam Dinge zu vermischen, die über eine sehr lange Zeit im Widerspruch miteinander standen. Es kam zu einem gravierenden Paradigmenwechsel.

Und zwar aus der Wahrnehmung heraus, dass eine große Zahl von Menschen sich bewusst wurde, dass die Realität, die ihnen über Jahrzehnte als „die einzig mögliche“ verkauft wurde, bei weitem nicht die einzig mögliche war. Man begann zu realisieren, dass „Realität“ keine fixe Konstante war, sondern viel mehr EINE Möglichkeit von unendlich vielen. Man begann das zu begreifen, was für uns heute vollkommen normal ist, nämlich, dass jeder Mensch seine eigene Realität kreieren kann. Daraus ergaben sich ungeahnte neue Möglichkeiten in allen Bereichen des Lebens.

Aus den erhaltenen Protokollen von Art but Fair geht hervor, dass man in mehreren Vorstandssitzungen im Frühjahr 2015 auch zu dem Schluss kam, dass es keinen Sinn mehr hatte, eine Unmenge an Energie dafür aufzuwenden, kleine Veränderungen, meist gegen den Widerstand von Politik und – interessanter Weise – auch gegen den Widerstand von Arbeitnehmervertretungen (damals Gewerkschaften genannt) im Kulturbereich durchzusetzen. Man suchte nach neuen Möglichkeiten und wurde sich einig, die Sache ab nun aus einem vollkommen neuen Blickwinkel anzugehen und etwas Eigenes und Authentisches zu kreieren, das keine Schnittpunkte mehr mit den vorhandenen Strukturen hatte, sondern neue Wege aufzeigte, Kunst und Kultur nachhaltig in der Gesellschaft zu verankern und diese damit so endlich als substantieller und essentieller Beitrag für die Zivilgesellschaft wahrzunehmen.

Auch das war ein Teil eines Prozesses, der uns zu dem Punkt gebracht hat, an dem wir heute stehen und der uns durchaus mit Stolz für das Erreichte füllen kann, leben wir doch in einer Gesellschaft, in der die Vielfalt der Möglichkeiten an oberster Stelle steht und die Menschen begreifen, dass alles parallel existieren kann und durch die Vielfalt erst wahrer Reichtum auf allen Ebenen entstehen kann.

Vor allem aber sind wir uns heute der Verantwortung bewusst, die wir für die kommenden Generationen und unseren Planeten haben. Und wir leben diese Verantwortung auch. Nicht mehr Profit und Gewinnmaximierung beherrschen unsere Wirtschaft, sondern eine Art von Kapitalismus, der immer fragt, ob ein Projekt oder eine Entscheidung auch tatsächlich ein Beitrag für die Gesellschaft und unseren Planeten an sich ist. Die wichtigsten Jobs in einem Unternehmen halten nicht wie zu Beginn unseres Jahrhunderts Controller und Marketer, sondern Generations-Konsulenten, die Projekte auf deren nachhaltigen Wert für die Gesellschaft und auf deren Verträglichkeit für die Umwelt prüfen. Business Consulting heute bedeutet nicht mehr Optimierung von Gewinnen mittels Ausquetschen von Ressourcen, sondern gruppiert sich um die Frage: Kann unser Geschäft ein Beitrag für die kommenden Generationen sein und wenn ja, welcher?

Dieser Ansatz hat interessanterweise die Rivalität von Nationalstaaten fast vollständig aufgehoben und hat Religionsgemeinschaften zu spirituellen Organisationen transformiert, die sich vollkommen aus der Tagespolitik heraushalten.

Es scheint so, dass wir die Trendwende hin zu einer nachhaltigen Spezies geschafft haben und die Wissenschaft prognostiziert, dass unser Planet sich wieder in einer Regenerationsphase befindet, die hoffentlich über die kommenden Jahrhunderte alle Versäumnisse der Vergangenheit egalisieren wird.

Hier nun der Text zur 75 Jahr Feier der „Revolution der Künstler“.

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute darf ich Sie alle sehr herzlich in diesem wunderbaren Theater zur Feier angesichts des 75 jährigen Jubiläums der Revolution der Künstler begrüßen. Dieses Theater mit all seinen Facetten und Möglichkeiten, ist wohl das beste Beispiel für den Wandel, den unsere Gesellschaft in den vergangenen 75 Jahren vollzogen hat: Ein Kulturbetrieb nicht nur als physischer Kern eines Gebäudes, das im Mittelpunkt des Austausches aller Menschen dieser Stadt steht, sondern der auch Impulsgeber für sozialen, politischen und wirtschaftlichen Diskurs ist.

Dieser Gebäudekomplex war der erste, der vor 65 Jahren nach den Plänen eines ambitionierten Teams von Kulturschaffenden, Wirtschaftstreibenden, Wissenschaftlern, Politikern, Architekten und Umwelttechnikern geschaffen wurde. Das Ergebnis kennen wir alle: die Entwicklung ging rasch in Richtung Think-Tank und landesweite Inspirationsquelle. Ein Zentrum für alle Arten von Diskurs. Zwanzig Jahre später mündete dies in eine Erweiterung des Komplexes und der Übersiedlung des Parlamentes an diesen Platz. Die Parlamentarier wollten am Puls der neuesten Entwicklungen sein, da sie ja dafür zuständig waren und sind, das neu Gefundene in Form von Gesetzen und Richtlinien nach Außen zu kommunizieren und zu exekutieren.

Zur Zeit arbeiten, diskutieren und kreieren hier jeden Tag über 5000 Menschen! Der Output übertrifft nach wie vor alles bisher Bekannte und trägt so wesentlich zu unserer Gesellschaft und vor allem zur einer nachhaltigen Zukunft, auch über die nationalen Grenzen hinaus, bei.

Der Titel meiner Rede, die ja ein Rückblick auf die vergangenen 75 Jahre sein soll, ist „Revolution der Künstler – Gerechtigkeit in der Kunst“, da wir das Motto der ersten Stunde aufgegriffen haben, um zu verstehen und aufzuzeigen, wie sich alles entwickelt hat, welchen essentiellen Teil die Revolution der Künstler dazu beigetragen hat.

Ich habe mir lange Gedanken über das Wort „Gerechtigkeit“ gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass genau dieses Wort, und der damit verbundene Blickwinkel, wohl der Grund war, dass die „Revolution der Künstler“ sowie viele andere Bewegungen zu Beginn unseres Jahrhunderts nur langsam vorangekommen sind. „Gerechtigkeit“ ist ja bereits eine Bewertung in sich. Das Wort polarisiert, da es das Einnehmen von unterschiedlichen Blickwinkeln fördert. Für jeden war „Gerechtigkeit“ etwas Anderes, hing sie doch von den Wertsystemen ab, innerhalb derer Gesellschaften von vielen Jahrzehnten funktioniert haben. Zudem empfand wahrscheinlich jeder Mensch „Gerechtigkeit“ anders, solange er in diesen Wertsystemen existierte und sozusagen von fixen Standpunkten aus agierte.

So haben etwa zu Beginn unseres Jahrhunderts zahlreiche Menschen argumentiert, man bräuchte Kunst überhaupt nicht, man bräuchte vor allem keine hoch geförderten Theater und man solle das Geld besser in andere Projekte investieren. Diese Sichtweise ließ aber so gut wie alle anderen Parameter außer acht.

So sah man, dass etwa 15 Mio. an Förderungen an ein Stadttheater einer mittelgroßen Stadt flossen, vergaß aber zu sehen, dass dieses Theater nicht nur 250 Arbeitsplätze zur Verfügung stellte, sondern auch zahlreiche weitere Arbeitsplätze durch unterschiedliche, direkte dem Theater zuarbeitende Dienstleister und im tertiären Sektor, durch das Publikum, das ja anreiste, Kleider kaufte und davor und danach essen ging, sicherte. Ein Theaterbetrieb war schon damals ein substantieller Impulsgeber für jede Stadt und Kommune – eben auch aus rein wirtschaftlicher Sicht.

Die Impulse, die auf nicht monitärer Ebene gesetzt wurden und werden, sind jedoch umso kraftvoller. Theater als Ort der Begegnung und des kritischen Diskurses war und ist das Mark in den Knochen jeder funktionierenden demokratischen Gesellschaft. Wie natürlich auch die bildenden Künste, Konzerthäuser, Kleinkunst, Kunsthochschulen und alle Betriebe und Organisationen, die diesem Sektor direkt oder indirekt angeschlossen sind. Das „out-of-the-box“ denken, sowie die Fähigkeit vernetzt zu denken und zu agieren, das für jede künstlerische Handlung notwendig ist, blieb für viele Jahrhunderte für fast alle Bereiche außerhalb der Kunst ungenützt. Ich weiß, das ist für sie heute gar nicht mehr vorstellbar, hat doch die Hirnforschung eindeutig nachgewiesen, was etwa das Erlernen eines Musikinstrumentes oder das Singen für gravierend positive Auswirkungen auf unser Gehirn haben und nutzt unsere Gesellschaft heute doch permanent diese Potentiale, um immer neue Realitäten und Möglichkeiten zu schaffen.

Rückblickend betrachtet, gab es diese Erkenntnisse auch schon zu Beginn unseres Jahrhunderts, doch wurden diese von Wirtschaft und den meisten Wissenschaften weitgehend ignoriert und teilweise sogar bewusst unterdrückt, waren sie doch eine Bedrohung für den Status quo.

Wie kam es nun überhaupt zur „Revolution der Künstler“ oder zu einer öffentlichen, digitalen „Klagemauer“? Der Grund lag darin, dass Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, vor allem nach dem Jahr 2008, so ziemlich alle über viele Jahrhunderte gepflegten Kulturgüter und Institutionen und die Menschen, die davon lebten, immer stärker unter finanziellen Druck gerieten. Bis auf wenige Ausnahmen – im wesentlichen Orchester und Chöre, die im öffentlichen Dienst standen, sowie Professuren an Hochschulen – wurde das Geld immer knapper gemacht. Dadurch fielen immer mehr Künstlerinnen und Künstler unter die Armutsgrenze und konnten sich nur mit mehreren, teils vollkommen branchenfremden Jobs über Wasser halten. Gerade bei so wichtigen und strukturerhaltenden Organisationen, wie den Stadt- und Staatstheatern, wurde das Geld für Teile der künstlerisch Ausführenden immer knapper. Es gab damals in Deutschland eine Vertragsform die NV-Bühne hieß. Unter dieser Vertragsform arbeiteten, bis auf die Technik, die Orchester, die Chöre und ein paar administrative Positionen mit anderen Verträgen, alle an einem Theater Beschäftigten. Der Vertrag besagte im Wesentlichen, dass jederzeit eine Nichtverlängerung ausgesprochen werden konnte und man so gut wie keine Rechte auf künstlerischer Ebene hatte. Zudem war das Mindesthonorar zumindest 30 Prozent unter jenem, das Akademiker in anderen Branchen bekamen. Dies zusätzlich zu den extremen Arbeitszeiten in der Nacht und am Wochenende, wofür es keine extra Vergütung gab.

Im Gegensatz dazu standen die Gagen und die tatsächlich fast uneingeschränkte Macht auf Ebene der Theaterleitung.

Viel schlimmer war die Situation aber noch bei den Künstlern, die durch Eigeninitiative tätig waren und kein Fixeinkommen an einem staatlich geförderten Haus hatten. Mit der damals vorhandenen Mentalität „Geiz ist geil“ und der Verschiebung der Werte hin zu aggressivem Konsum, wurden Künstler nur mehr als Dienstleister für Unterhaltung wahrgenommen und nachdem es ein Überangebot im Verhältnis zur Nachfrage gab, wurden nach dem damals praktizierten neoliberalen Ansatz, Honorare in der freien Szene auf Niveaus gedrückt, die Stundensätze ergaben, die weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn waren.

Veranstalter boten Honorare an, von denen man selbst bei Vollauslastung nie überleben hätte können. Es schossen Projekte aus dem Boden, die damit warben, dass man „Erfahrung sammeln“ könne, dafür aber ohne Honorar an einer Produktion teilnehmen müsse, ja sogar staatlich geförderte Theater erfanden „Opernstudios“ oder „Elevenprogramme“, um so junge Künstlerinnen und Künstler mit dem Köder „auf einer großen Bühne zu stehen“ gratis zu engagieren. Oft wurden nicht einmal die versprochenen Coachings abgehalten oder Fahrkosten oder Verpflegung bezahlt.

Natürlich muss man auch beachten, dass die Theater ein von der Politik gemachtes Problem zu verkraften hatten: die Löhne der gewerkschaftlich gut abgesicherten Angestellten eines Theaters – also Orchester, Chöre, Technik und Teile der Administration sowie jener, die etwas länger Teil eines Ensembles waren – stiegen stets ohne dass die Förderungen nachzogen. Somit hatten Intendanten damit zu kämpfen, dass sie netto jedes Jahr weniger Geld für das eigentliche Kerngeschäft zur Verfügung hatten, da sie ja zuerst alle Löhne zahlen mussten. Teilweise wurden über 90% des Budgets sofort von den Lohnkosten geschluckt.

Wo man also noch sparen konnte, war bei neuen NV-Bühne Verträgen und bei Gastverträgen. Das Problem dabei war allerdings, dass Schaupieler, Tänzer und Sänger jedoch das Kerngeschäft jedes Theaters repräsentierten und dieses wurde durch die kurzsichtige Politik massiv untergraben.

Johannes-Maria Schatz und Elisabeth Kulman waren selber indirekt bzw. direkt von dieser Situation betroffen. Bei Johannes-Maria Schatz war es dessen Frau, eine Musicaldarstellerin, die eines Tages ein derart unverschämtes Jobangebot bekam, das ihn die „Klagemauer“ (eine offene Facebook Gruppe) gründen lies und bei Elisabeth Kulman war es die Streichung der Probenpauschale bei den Salzburger Festpielen. Der damalige Intendant vertrat die Sichtweise, dass die Sängerinnen und Sänger ohnehin gut verdienen und daher eine Probenpauschale zu streichen wäre unter dem immer größeren finanziellen Druck, der damals auch auf den Salzburger Festpielen angeblich zu lasten schien. De facto bedeutete das aber für einen Sänger, dass er im Krankheitsfall, also für den Fall, dass er keine oder nur wenige Vorstellungen einer Serie singt, auf den Kosten für die teure Miete in Salzburg, seinen Reisekosten und der Verpflegung sitzen blieb und zusätzlich natürlich auch nichts verdiente. Also meist acht Wochen harte Probenarbeit mit dem Risiko in dieser Zeit nicht nur nichts zu verdienen, sondern die Kosten vorfinanzieren zu müssen und im schlimmsten Fall auch auf ihnen sitzen zu bleiben.

Nachdem die Medien den Konflikt zwischen Elisabeth Kulman und dem damalige Intendant der Salzburger Festspiele aufgriffen, war dieses Thema rasch in aller Munde und führte so zu einer weitgreifenden Bewusstseinsbildung.

Die „Klagemauer“ von Johannes-Maria Schatz hatte innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Sympathisanten und unzählige Menschen nutzten sie, um ihre Erlebnisse zu erzählen. So wurden Gepflogenheiten und Machenschaften ans Tageslicht befördert, die niemand für möglich gehalten hätte.

Soviel zu den Anfängen dieser beiden Bewegungen.

Art but fair etablierte sich schnell und es gelang, durch eine Mischung aus konsequenter, seriöser Arbeit sowie angstfreiem Agieren der Verantwortlichen, Zugang zur Politik und Wirtschaft zu bekommen.

Man merkte jedoch sehr bald, dass, trotzt der Erfolge, wenig bewirkt werden konnte, da man einem System gegenüber stand, das über Jahrzehnte etabliert worden war und deren Nutznießer großen Widerstand leisteten, dieses zu ändern.

Daher wurde in einem wichtigen Strategiemeeting im Frühjahr 2015 beschlossen, sich nicht mehr nur auf die kleinen Schritte zu konzentrieren, um vielleicht marginale Verbesserung in einzelnen Fällen erzielen zu können, sondern sichtbarer, lauter und radikaler die Dinge beim Namen zu nennen.

Parallel dazu kam es in verschiedenen Städten, ausgelöst durch drohende Spartenschließungen oder Diskussion, Kunst gar nicht mehr zu fördern, zu massiven Protesten der Bürgerinnen und Bürger. Politiker versuchten Intendanten, die nicht gehorchten und deren Ziele, Theater zu schließen und auf ein Minimum herunterzufahren, nicht folgten, zu desaboieren oder gleich fristlos zu entlassen. Veranstalter boten immer häufiger Gagen an, für die sich rein finanzmathematisch die Anreise nicht mehr lohnte. Die Fronten verhärteten sich immer mehr und zugleich kam es auch zu steigender Unzufriedenheit innerhalb von Kulturorganisationen, da die Gehaltsschere zwischen Senior-Management und den Künstlerinnen und Künstlern – bis auf wenige Ausnahmen – immer größer wurde. Es war damals nicht unüblich, dass ein Intendantengehalt zehn Mal so hoch war, wie jenes eines Schauspielers, Sängers oder Tänzers. Erschwerend in dieser Situation kam hinzu, dass es kaum Solidarität unter den Künstlerinnen und Künstlern gab. Die meisten unterboten sich mit Gagen, nur um den Job zu bekommen. Man verstand damals nicht, dass dies nur dazu führte, dass die Gagenspirale immer weiter nach unten führte und man sich mittelfristig damit selbst abschaffte.

Ein rasches Handeln war daher von Nöten.

Und dies geschah in der Form von Unterstützung und Zusammenschluss einzelner lokalen Bürgerbewegungen. Über die digitalen Netzwerke waren Nachrichten sehr schnell verbreitet, man konnte diskutieren und sich organisieren. Art but fair entschied sich dazu, eine sehr klare Sprache zu sprechen, und gab den Versuch auf, mit bestehenden Organisationen, wie etwa Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern, um minimale Verbesserungen zu verhandeln. Man wählte den Weg, gemeinsam mit anderen Organisationen, denen eine funktionierende Zivilgesellschaft am Herzen lag, neue Modelle zu entwickeln, für diese private Geldgeber zu finden und über den Druck der Bürgerinnen und Bürger dann auch die Politik zum Handeln zu zwingen.

In der zweiten Hälfte der 2010er Jahre wurde der Grundstein für das gelegt, was für uns heute selbstverständlich ist. Künstler und Umweltaktivisten waren es diesmal, die den Diskurs um die Werte der Gesellschaft und die Zukunft unseres Planeten wieder in einer Art und Weise in Gang brachten, dass sich dem keiner entziehen konnte.

Rückblickend können wir sagen, dass es einen Hauptfaktor für den Erfolg der „Revolution der Künstler“ und allen verbundenen Bewegungen gab: man hatte den Mut und den Gewahrsam, vollkommen außerhalb der Box zu denken und zu handeln. Man erkannte, dass die Realität, die uns über Jahrzehnte oder Jahrhunderte als die „einzig mögliche“ verkauft wurde, bei Weitem nicht die einzig mögliche war. Man erkannte, dass diese Realität tatsächlich nur einigen Wenigen zum Vorteil gereichte und die breite Masse wie Maschinen in ihr hing und ihr diente.

Diese Realität hätte beinahe unseren Planeten für uns Menschen unbewohnbar gemacht. Diese Realität hat Kriege ermöglicht und dadurch unermessliches Leid über Millionen von Menschen gebracht. Diese Realität hat Zwietracht, Missgunst und Neid in unserer Gesellschaft gesäht. Und diese Realität hat den Konflikt zwischen Männern und Frauen weiter am Brennen gehalten.

Verehrte Damen und Herren, erinnern wir uns immer daran, wo wir noch vor wenigen Jahrzehnten gestanden sind. Erinnern wir uns bitte besonders daran, dass der Umbruch von jenen ausgelöst wurde, die den Mut hatten, ihre eigene Realität zu schaffen und die die Vision hatten, dass etwas anderes möglich ist.

Seien wir gewahr, über den Beitrag der Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft! Seien wir gewahr, welch potenten und kraftvollen Katalysator wir hier im Herzen unseres Regierungskomplexes sitzen haben!

Lassen Sie uns gemeinsam weitergehen und die Verbundenheit aller Aspekte des Lebens und des Seins auf unserem Planeten achten, respektieren und jeden Tag feiern! Lassen Sie uns anstoßen auf die verrückten Künstler und Aktivisten, die uns gezeigt haben, was alles möglich ist, wenn man aus der Matrix aussteigt!

Und lassen Sie uns vor allem weiterhin eine Welt ohne Konklusionen und Fixstandpunkte kreieren mit der steten Frage: „Was ist sonst noch möglich?

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