Eine ganz besondere Premiere fand im Opernhaus Zürich statt. Mit Jean-Philippe Rameau’s Oper «HIPPOLYTE et ARICIE», der ersten Oper dieses Komponisten, fand auch zum ersten Mal im Opernhaus die Zusammenarbeit zwischen einer Dirigentin und einer Regisseurin statt. Emmanuelle Haïm und Jetske Mijnssen sind beide sehr erfahrene Persönlichkeiten, welche bestes internationales Ansehen geniessen. Eine spannende Zusammenarbeit zweier hochrangiger Künstlerinnen. (Rezension der Premiere v. 19.5.2019)
Bei der Oper von Rameau handelt es sich um eine echte Rarität und ein Meisterwerk der Barockoper. Rameau hat dieses Werk im Alter von 50 Jahren komponiert und damit gleich großen Erfolg gehabt. Die Uraufführung fand am 1. Oktober 1733 in Paris statt. Für die Wiederaufnahmen in den Jahren 1742 und 1757 wurden jeweils neue Version erarbeitet. Die Zürcher Aufführung ist eine Kombination aller drei Fassungen. Daraus ergibt sich eine ideale Version, welche den Regieideen viel Raum lässt.
Die Handlung basiert auf einem antiken Sagenstoff.
Hippolyte wird von dessen Stiefmutter Phèdre leidenschaftlich geliebt und begehrt. Nachdem Phèdre die Nachricht des angeblichen Todes ihres Gatten Thésée, des Königs von Athen, erhält, kann diese ihre Gefühle nicht länger verbergen und gesteht Hippolyte offen ihre Liebe. Sie bietet ihm den Thron an. Hippolyte will aber davon nichts wissen und schlägt das Angebot aus. Seine Liebe gilt alleine Aricie, der Nachkommin eines verfeindeten Geschlechts. Da erscheint der totgeglaubte Thésée und muss einen wütenden Streit mitverfolgen, der ihn glauben lässt, dass sich Hippolyte an Phédre vergehen wolle. Durch Thésée’s Flehen zu den Göttern wird Hippolyte von einem Ungeheuer des Meeres verschlungen. Phèdre, die sich Ihrer Schuld bewusst wird, nimmt sich das Leben. Doch wundersamerweise überlebt Hippolyte und findet gemeinsam mit Aricie sein Glück. Bis es zu diesem glücklichen Ende kommt, erlebt man viele Facetten der Liebe, Eifersucht und Rache.
Schon wenn sich der Vorhang öffnet, wird man sogleich von der Ästhetik der Bühne berührt.
Was für ein Bild! An der großen Tafel sitzt die «Familie» und man kann die unheimlichen Spannungen zwischen den Generationen förmlich knistern hören. In den fünf Akten entwickelt sich die Drehbühne als Schauplatz von Freude, Trauer und unheimlichen Erscheinungen der Hölle. Was Bühnenbildner BEN BAUER hier geschaffen hat, ist beeindruckend. In den prächtigen Kostümen von GIDEON DAVEY, der subtilen Beleuchtung von FRANCK EVIN und der Choreographie von KINSUN CHAN findet dieses Spiel der Gefühle in elegantem Rahmen statt. Die eindrücklichen Masken wurden ebenfalls allesamt im Opernhaus Zürich angefertigt und erzielen eine starke Wirkung.
JETSKE MIJNSSEN inszenierte diese Barockoper und schafft es, die einzelnen Rollen so fein zu gestalten, dass mit wenigen Bewegungen und viel Ausdruck die Gefühle der Personen fein herausgearbeitet werden. Hier ist eine perfekte Ensembleleistung zu erleben. Alles wirkt fließend, wie die Drehung der Bühne dies schon andeutet.
Auf der musikalischen Seite ist die Mitwirkung des ORCHESTRA LA SCINTILLA, das seinen Ruf als führendes Barockorchester einmal mehr bestätigte, ein großer Gewinn. EMMANUELLE HAIM, die berühmte Dirigentin und absolute Kennerin der Barockmusik leitete dieses Orchester und liess die Musik nuancenreich erklingen. Daraus entstand ein grossartiges Musikerlebnis, welches das begeisterte Publikum mit Jubel belohnte. Man kann sich nur wünschen, dieser Künstlerin bald wieder am Opernhaus begegnen zu dürfen. CLAUDIUS HERRMANN, Violoncello, RUSLAN LUTSYK, Kontrabass und BENOIT HARTOIN, Cembalo spielten das Continuo.
Bei den Gesangssolisten war dies der Abend von sieben Rollendebüts und drei Hausdebüts.
CYRILLE DUBOIS, der gefeierte französische Tenor, stellte mit seinem edlen Gesang und seinem gediegenen Auftreten den jugendlichen Hippolyte glanzvoll dar. Welche Finessen in der Stimme und was für ein Ausdruck. Ein sehr gelungenes Debüt.
Die am Opernhaus beliebte Sopranistin MÉLISSA PETIT stand als Aricie auf der Bühne. Sie interpretierte diese anspruchsvolle Rolle hervorragend facettenreich.
STÉPHANIE D’OUSTRAC muss als große Spezialistin des Barockgesangs nicht mehr vorgestellt werden. Als Phédre begeisterte sie erneut mit ihrem unglaublich sicheren Gesang und großem Darstellungstalent. Auch dies ein Rollendebüt das man als herausragend bezeichnen darf.
Seinen Einstand am Opernhaus Zürich gab der ebenfalls aus Frankreich stammende Bariton EDWIN CROSSLEY-MERCER. Die umfangreiche Rolle des Thésée sang er mit starker Stimme und konnte das Leiden dieser Figur durch die Kombination von seinem Spiel und seiner attraktiven Erscheinung sehr glaubhaft vermitteln.
Der Bassbariton WENWEI ZHANG, welcher an diesem Haus schon bestens bekannt ist, überzeugte aufs Neue mit dem Rollendebut als Neptune/Pluton.
HAMIDA KRISTOFFERSEN als Diane, gekleidet in würdevoller grosser Robe, verlieh dieser Göttin mit edlem Gesang eine grosse Wirkung. Ebenfalls zum ersten Male am Opernhaus war die Sopranistin AURÉLIA LEGAY in der Rolle der Oenone zu erleben.
Die drei Parquen, welche normalerweise von Frauenstimmen gesungen werden, sind hier mit drei Männern besetzt. NICHOLAS SCOTT, SPENCER LANG und ALEXANDER KIECHLE waren das perfekte Trio und bestens disponiert. Eine überzeugende Leistung dieser drei Sänger. GEMMA NI BHRIAIN als Une Chasseresse und PIOTR LEMPA als Chasseur ergänzten das Ensemble.
Tänzer und Tänzerinnen, angeführt durch den attraktiven DAVIDSON HEGGLIN FARIAS als Perithous, verliehen dieser Aufführung zusätzliche Eleganz.
Der CHOR DER OPER ZÜRICH wurde von JANKO KASTELIC einstudiert und glänzte mit Gesang und Spiel.
Eine großartige Ensembleleistung. Diese Opernrarität sollte man sich nicht entgehen lassen. Eine absolut sehenswerte Produktion des Opernhauses Zürich.
- Rezension von Marco Stücklin/RED. DAS OPERNMAGAZIN-CH
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- Titelfoto: Hippolyte et Aricie/Opernhaus Zürich/ Foto @ T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf