In dem wundervollen Ambiente der Opéra de Lyon mit ihrer fantastischen Akustik fand am 5. Oktober 2019 die mit Spannung erwartete Premiere der Oper Guillaume Tell von Gioachino Rossini statt. Eine Oper in 4 Akten und 6 Bildern. Rossinis Oper wurde am 3. August 1829 in der Académie Royale de Musique in Paris uraufgeführt und ist seine letzte Oper, gleichzeitig seine einzige, komplett neu komponierte grande opéra. (Rezension der Premiere v. 5.10.2019)
Die Oper orientiert sich stark am gleichnamigen Schauspiel von Friedrich Schiller. Jedoch wurde mehr Wert auf Lyrik gelegt und die Personenzahl wurde drastisch reduziert, so kommt die Oper mit 11 handelnden Personen, statt mit 42 aus. Das Stück, was vom Befreiungskampf der Schweizer gegen die Habsburger erzählt, wird von Regisseur Tobias Kratzer eindrucksvoll so umgesetzt, dass man die Handlung zeit- und ortsübergreifend verstehen kann.
Das Bühnenbild ist karg, hinter einer schmucklosen Bühne ist eine Leinwand mit einem Gebirgsmotiv zu sehen. Dieses und ebenso die Kostüme (beides von Rainer Sellmaier) sind in schwarz/grau/weiss gehalten. Jedesmal, wenn die Rede auf Gesler kommt, oder etwas negatives passiert, fliesst schwarze Farbe über das klare Bild, sodass zum Schluss fast nur noch eine dunkle Fläche zu sehen ist.
Während die Schweizer sich durch elegante, schwarze Kleidung auszeichneten, wurden die Habsburger in eher einfacher, weisser Kleidung, auffälligem Tiefschutz und ausgestattet mit Bowler und Baseballschlägern als recht grobschlächtige, einfache Menschen dargestellt. Das Dumme siegt über das Schöngeistige, konnte einem in den Sinn kommen. Einzig Rodolphe (Gregoire Mour ), Anführer von Geslers Schergen, agierte mit einem Golfschläger, der ihn von den anderen unterschied.
Im Zuge der Handlung mochte es den einen oder anderen Besucher ein wenig schaudern, denn als die Habsburger den Aufstand niederschlugen, wurden die Aufständischen ihrer Kleidung entledigt und ihnen vollkommen unpassende, minderwertige Kleidung vor die Füsse geworfen. Eine Erinnerung an die NS-Zeit? In diesem Fall waren es bunte, an Karnevalskostüme erinnernde „Fähnchen“. Ebenso glich die Aufforderung an die Paare zu tanzen einer Folter, wer nicht gefiel und Schwäche zeigt, wurde niedergeprügelt. Eindrucksvoll durch das Ballett (Choreografie: Demis Volpi) dargestellt, „tanz um dein Leben.“
Die zum Rütlischwur zusammengekommenen drei Kantone sind bei Kratzer jeweils mit einer Instrumentenkategorie kenntlich, so sammeln sich die Streichinstrumente in dem einen, die Holz- und Blechblasinstrumente jeweils in den beiden anderen Kantonen. Diese werden, nachdem sie Tell zu ihrem Anführer gewählt haben, zu Waffen umfunktioniert.
Besonderes Augenmerk durfte man auf die Rolle von Jemmy haben, in dieser Inszenierung wurde diese Rolle zweigeteilt. Jennifer Courcier (Sopran) gab der Rolle ihre Stimme, der darstellerische Teil wurde von einem Kind übernommen. Ein Junge (Martin Falque) – von vielleicht 6 Jahren – spielte aussschliesslich pantomimisch, mit einer auffallenden Disziplin, Tells Sohn. Eine wirklich beachtliche Leistung, fast 4 Stunden Bühnenpräsenz ohne Schwächen zu zeigen ist in dem Alter schon besonders erwähnenswert.
Musikalisch bewegte sich die Aufführung auf einem sehr hohen Niveau. Nicola Alaimo sang mit stilsicherem und bestens disponierten Bariton die Partie des Tell. Als Arnold der sehr überzeugend auftrumpfende John Osborn. Jane Archibald mit strahlenden Koloraturen in ihrer Rolle als Mathilde und mit Enkelejda Shkoza stand eine Hedwige von großem Format auf der Bühne. Das hohe sängerische Niveau zog sich durch das gesamte Ensemble. Der Chor der Oper Lyon (bestens einstudiert von Johannes Knecht), in dieser Oper besonders gefordert, rundete das Gesangserlebnis dieser Premiere ab. Am Pult des Orchester der Opéra de Lyon stand der junge italienische Dirigent Daniele Rustioni und verlieh dem gesamten Abend die für Rossini so typische musikalische Verbindung von Belcanto und Dramatik. Ein großer musikalischer Wurf!
Während im Original der Schluss der Oper in der Befreiung der Schweizer endet, finden wir in der hiesigen Inszenierung auch zum Ende etwas Nachdenkenswertes, Jemmy geht nach vorn und setzt sich, mit grimmigem Gesicht, einen der Bowler der niedergestreckten Habsburger auf. Ein Hinweis darauf, dass es niemals echten Frieden geben wird? Man geht mit Stoff zum nachdenken nach Hause.
Die Premiere vor ausverkauftem Haus wurde begeistert bejubelt und beklatscht.
- Rezension von Rene-Isaak Laube / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Opéra de Lyon / Stückeseite
- Titelfoto: Opera Lyon/ GuillaumeTell/ Foto copyright: Stofleth