Oper Leipzig: „Lohengrin“ – Vorstellung v. 25. November 2022

Oper Leipzig/LOHENGRIN/Kathrin Göring (Ortrud)/Foto© Kirsten Nijhof

Lohengrin an der Oper Leipzig mit einer ausgezeichneten Sängerbesetzung

Am 28. August 1850 fand die Uraufführung von Richard Wagners Lohengrin, einer dreiaktigen romantischen Oper, im Weimarer Großherzoglichen Hoftheater unter der Leitung von Franz Liszt statt. Das vom Wagner verfasste Libretto basiert auf mehreren literarischen Vorlagen, u.a. Parzival (ca. 1200-1210) von Wolfram von Eschenbach, den alten deutschen Gedicht Lohengrin zu Brabant der Brüder Grimm und der altgriechischen Sage von Zeus und Semele. Wagners durchkomponierte, mittelalterlich inspirierte Oper ist ein Versuch, seine eigene, einzigartige musikalische Sprache zu entwickeln, wobei die Anlehnung an musikalische Vorbilder (z. B. Carl Maria von Webers Euryanthe und Vincenzo Bellinis Norma) offensichtlich ist. Die These, dass Wagner Giuseppe Verdi beeinflusst hat, wird durch die Tatsache entkräftet, dass Lohengrin am 1. November 1871 im Teatro Comunale di Bologna seine italienische Erstaufführung erlebte. Als Verdi dort am 9. November eine Aufführung besuchte, die seine erste Begegnung mit Wagners Musik war, war die Partitur von Aida bereits fertig. 

 

Die Inszenierung von Patrick Bialdyga (Bühne: Norman Heinrich, Kostüme: Roy Böser und Jennifer Knothe), die ich am 25. November 2022 an der Oper Leipzig gesehen habe, hat weder den gesungenen Text noch die von Wagner im Libretto vorgegebene Handlung überzeugend umgesetzt. Einige Aspekte des Textes wurden überbetont, andere Regieeinfälle waren unlogisch. Das Libretto macht zum Beispiel sehr deutlich, dass der brabantische Graf Friedrich von Telramund nicht besonders intelligent ist. Er ist seiner Frau Ortrud eindeutig unterlegen und lässt sich von ihr leicht manipulieren. Bialdygas Entscheidung, Telramund als Blinden darzustellen, ist nicht unberechtigt, aber die physische Erblindung der Figur zusätzlich zu ihrer metaphorischen Blindheit (Naivität) übertreibt das Offensichtliche und verleiht der Figur einen Element ungewollter Albernheit. Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass der Heerrufer, der im Libretto eine weitgehend formale Rolle spielt, in der Handlung so aktiv ist. Eine solche Figur hatte kein Befugnis, Entscheidungen zu treffen oder anderen ihre Meinung aufzuzwingen. Hätte er es gewagt, das Leben des Monarchen zu bedrohen (in dieser Inszenierung richtet er unerklärlicherweise eine Pistole auf König Heinrich, Lohengrin und Elsa), wäre er sofort hingerichtet worden. Positiv zu vermerken ist, dass Bialdyga Ortruds Intrigen und ihre Boshaftigkeit, mit der sie von den anderen Figuren das bekommt, was sie will, hervorragend dargestellt hat. Sie ist die dominierende Figur in dieser Inszenierung; ihre Präsenz auf der Bühne während des gesamten ersten Aktes, in dem sie wenig zu singen hat, unterstreicht ihre Bedeutung als Anstifterin der gesamten Handlung. Die Inszenierung hat auch Elsas Unschuld, ihren Mut, sich in Lebensgefahr zu begeben, und ihre bemerkenswerte Fähigkeit, für Telramund und Ortrud, die beide ihr Leben bedrohen, Mitgefühl zu empfinden, sehr gut zur Geltung gebracht.

Oper Leipzig/LOHENGRIN/Kathrin Göring (Ortrud)/Foto© Kirsten Nijhof

Als Ortrud beherrschte Kathrin Göring während der gesamten Aufführung stimmlich und optisch die Bühne. Ihre dramatische Mezzosopranstimme verkörpert eine relativ junge Figur, die auf unheimliche Weise weltgewandt ist und über ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz verfügt, um andere zu benutzen, damit sie genau das bekommt, was sie will. Sie war durch und durch überzeugend als verführerisch, manipulativ und zutiefst grausam. Göring machte es leicht, genau zu verstehen, warum Telramund in ihre Falle tappte. Ganz im Sinne des Regisseurs, der mit dem Libretto spielt, hätte ich erwartet, dass diese Otrud König Heinrich und sogar Lohengrin selbst verführen würde.

Eine Überraschung des Abends war die Besetzung von Mathias Hausmann als Heerrufer, einer undankbaren Rolle. Da ich ihn als Il Conte di Almaviva in Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro und Amfortas in Wagners Parsifal gesehen habe, war es verwirrend, ihn auf eine Rolle reduziert zu sehen, die ich mit Baritonen verbinde, die entweder am Anfang ihrer Karriere stehen oder ihre letzten Auftritte vor der Pensionierung haben (ein Beispiel dafür ist Dietrich Fischer-Dieskau, der diese Rolle 1954 bei den Bayreuther Festspielen unter der Leitung von Eugen Jochum sang und sie 1986 für eine Aufnahme unter der Leitung von Georg Solti im Studio wieder aufnahm). Hausmann sang diese Rolle mit einem Maß an Leidenschaft und Engagement, das die Leistungen der Sänger in wichtigeren Rollen übertraf. Mit seiner warmen, kräftigen Stimme hätte er Telramund eine Sensibilität und Verletzlichkeit verleihen können, die der Figur angemessen ist.

Mit Emily Magee als Elsa wurde eine Luxusbesetzung gefunden. Magee hat langjährige Erfahrung mit dieser Rolle und nahm sie 1998 mit der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim auf. Sie konnte vermitteln, dass Elsa viel mehr ist als nur ein Opfer von Ortruds Machenschaften und Teleraumunds verleumderischem Vorwurf des Brudermordes. Magee verlieh Elsa eine psychologische Tiefe und Stärke angesichts der Verleumdungen, sowie den Grad der Neugier, der es ihr unmöglich macht, ihr Versprechen einzuhalten, nach ihrer Heirat nicht nach Lohengrins Identität zu fragen.

Mit seinem dunklen, baritonalen Tenor gab Thomas Mohr einen starken Lohengrin, der sein Schicksal und das der anderen Figuren selbst in der Hand gehabt hätte, wäre er nicht als Mitglied der Gralsritter unterjocht worden. Mohr gibt den Eindruck, dass Lohengrin weiß, dass sein eigentlicher Gegenspieler nicht Telramund selbst, sondern Ortrud ist. Dieser Lohengrin scheint fast Mitleid mit dem Mann zu haben, von dem er erkennt, dass er nur eine Marionette für ein größeres Übel ist, zu dem er nicht fähig ist und das er nicht einmal begreifen kann. Durch Mohr hat man das Gefühl, dass Lohengrin ein starker und wirklich wohlwollender Charakter ist, der aus eigenem Willen gehandelt hätte, indem er bei Elsa geblieben wäre und die Brabanter, Sachsen und Thüringer in die Schlacht gegen die Ungarn geführt hätte, wenn er nicht einer himmlischen Macht gegenüber verpflichtet gewesen wäre.

Der Bariton Egils Silins unterstrich die schiere Hilflosigkeit des Friedrich von Telramund der seine persönlichen Angelegenheiten nicht im Griff hat, trotz seines Erfolges als großer Krieger auf dem Schlachtfeld. Durch Umstände, die im Libretto nicht deutlich werden, gelingt es ihm nicht, die Liebe seines Mündels Elsa zu gewinnen, und so geht er eine Ehe mit Ortrud ein, einer Frau, die er nicht liebt und die ihn nur benutzt, um ihr eigenes Ziel zu erreichen, nämlich die Kontrolle über das Königreich zu erlangen, das ihre Vorfahren regierten, und die Kultur wiederherzustellen, für die ihre heidnischen Götter stehen. Der Umstand, dass diese Figur als blind dargestellt wird, hat diesen Punkt angesprochen, hätte aber noch besser zur Geltung gebracht werden können, indem man auf subtilere Weise, wie im Libretto vorgeschrieben, gezeigt hätte, dass Telramund stets Ortruds Anweisungen befolgt und sich ihrem Willen unterwirft.

Obwohl König Heinrich der Ranghöchste ist, gibt Wagner ihm eine weitgehend zeremonielle Rolle, in der er Richter über die Handlungen ist, die er zwar beobachtet, aber weder beeinflusst noch kontrolliert. Randall Jakobsh verfügt über eine kraftvolle Bassstimme, die einem König, dessen Macht ausschließlich formal ist, ein Gefühl von Autorität verleiht. Durch seine Mimik, seinen Tonfall und seine Körpersprache porträtiert Jakobsh einen fürsorglichen Monarchen, der angesichts einer echten militärischen Bedrohung aus dem Osten tatsächlich für die Sicherheit seines Volkes sorgen will.

Der Chor und der Zusatzchor der Oper Leipzig standen hinter der Bühne als Kommentatoren des Geschehens, ähnlich der Rolle des Chors in der antiken griechischen Tragödie. Sie machten das Beste aus der stentorischen, monochromen Musik, die Wagner für den Chor komponierte. Das Gewandhausorchester dirigiert von Christoph Gedschold spielte mit Leidenschaft und flotten Tempi, die die Belcanto-Aspekte dieser Oper betonten. Alles in allem war dies ein musikalisch befriedigendes Erlebnis, das noch besser hätte ausfallen können, wenn Aspekte der visuellen Inszenierung angepasst worden wären, um dieser Oper die magische Atmosphäre zu verleihen, von der ihr Erfolg abhängt.

(Anm. d. Red.: Leider gibt es von dieser Besetzung (außer denen von Frau Göring) keine verfügbaren Pressefotos im Pressebereich der Oper Leipzig)

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Leipzig / Stückeseite
  • Titelfoto: Opernhaus Leipzig/ Foto © Kirsten Nijhof
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