Oper Frankfurt: „Król Roger“ … L’œil écoute – das Auge hört

Oper Frankfurt/ v.l.n.r. Alfred Reiter (Der Erzbischof), Łukasz Goliński (König Roger), Judita Nagyová (Die Diakonissin) und Filip Niewiadomski (Kind; im Rollstuhl)/Foto @ Monika Rittershaus

Premiere und Erstaufführung von Karol Szymanowskis Mysterium (Oper in 3 Akten) Król Roger an der Oper Frankfurt am 2. Juni 2019 unter der musikalischen Leitung von Sylvain Cambreling und in der Inszenierung von Johannes Erath. (Rezension der Premiere vom 2.6.2019

 

Die europäische Musik der Jahrhundertwende, Król Roger wurde am 19. Juni 1926 in Warschau im Teatr Wielki uraufgeführt, steht im Zeichen des Klangrausches. In der Nachfolge Richard Wagners wird das Orchesterpedal zum Medium exzessiver Klanginszenierungen. Das Wort „Klang“ selbst bekommt eine magische Bedeutung. Zu den Klang-Erotomanen muss auch der polnische Komponist Karol Szymanowski gezählt werden (1882-1937). Klammern wir die bewusst polnische Schaffensperiode Szymanowskis einmal aus, so sind viele seiner Werke absolute Klangemanationen (der Ausfluss aller Dinge aus dem göttlichen Einen). So auch seine Oper Król Roger. Komponiert hat Karol Szymanowski das Werk in den Jahren 1918 bis 1924, turbulente Jahre für ihn. Das Landgut seiner Familie wurde infolge der Oktoberrevolution zerstört, er musste emigrieren. Seine Homosexualität, wegen der er im streng katholischen Polen stark zu kämpfen hatte, auch mit sich selbst, floss sicher in die Oper mit ein, ein Werk voll innerer Konflikte und eine Geschichte von Selbstsuche und -findung. Die Musik von Król Roger besticht durch überwältigende Momente, die ein faszinierendes Psychogramm der Hauptfigur zeichnen. Die Klangvision eines suchenden Menschen, der am Ende durch Selbsterkenntnis eins mit sich wird.

Schon der erste Klang des Orchesters und der Chöre in Król Roger ist stellenweise ganz ungewöhnlich und geradezu erschütternd in seiner Spannung. Ich kann diesen Eindruck nicht überwinden, und auch nicht die Traurigkeit, dass das der Vergangenheit angehört und dass ich bestimmt nicht mehr fähig bin, so etwas zu schreiben“ sagte Karol Szymanowski.

Auf seinen Reisen nach Italien und Nordafrika in den Jahren 1908 bis 1914 war Szymanowski der Faszination dieser Länder erlegen und hatte reichlich Material gesammelt, das in Król Roger seinen Niederschlag fand. Ihrer Gattung nach steht die Oper im geheimnisvollen „Niemandsland“ zwischen Oper, Oratorium und Mysterienspiel. In den drei Akten der Oper hat Szymanowski, zum Teil nach authentischem Musikmaterial, drei unterschiedliche Kulturkreise eingefangen: den Byzantismus, den arabisch-indischen Orient und die griechisch-römische Antike. Die Handlung selbst wurzelt in Euripides’ „Bacchantinnen“ und schildert in drei oratorienhaften Tableaux den Kampf zwischen Apollo und Dionysos, zwischen dem Intellekt und dem Unbewussten, zwischen der christlichen Kirche im mittelalterlichen Sizilien und einem heidnischen Glauben.

Das Libretto, das Szymanowski zusammen mit seinem Vetter, dem Dichter Jaroslaw Iwaszkiewicz verfasste, geht dabei nur in den Personen König Rogers II, der von 1130 bis 1154 über Sizilien regierte, und seines Beraters auf historische Fakten zurück. Die Handlung bezieht sich zwar auf zeittypische Gegebenheiten, ist aber als solche fiktiv. Entscheidend für diese Oper ist, dass sich Szymanowski als absoluter Meister der Ekstase, der Mystik und des Misterioso erweist.

Die Handlung

Erster Akt
Priester und Volk sind in einer byzantinischen Kathedrale versammelt, auch König Roger mit seinem Gefolge erscheint zum Gebet. Der Erzbischof und die Diakonissin beschwören den König, die Kirche von ihren Feinden zu befreien und bitten um Hilfe gegen einen geheimnisvollen fremden Hirten, der durch Sizilien zieht und das Volk mit einer anderen Religion zu sich lockt. Die Geistlichen fordern, dass der Fremde verhaftet wird, doch die schöne und kluge Königin Roxane bittet für den Hirten. Auch der arabische Gelehrte Edrisi rät dem König, den Hirten zu empfangen und zu verhören. Der Fremde wird herbeigebracht und gibt zu, die Lehre eines neuen, friedvollen Gottes zu verkünden, wer sich nach Liebe sehne, möge ihm folgen. Roxane ist erschüttert durch die Rede des Hirten und erweckt die Eifersucht des Königs, der schließlich den Hirten, durch dessen Ruhe entwaffnet, entlässt und befiehlt, sich an diesem Abend auf dem Schloss einzufinden.

Oper Frankfurt/ Sydney Mancasola (Roxana), Łukasz Goliński (König Roger; in schwarzem Anzug) und Gerard Schneider (Der Hirte; in weißem Anzug) sowie im Hintergrund Ensemble /Foto @ Monika Rittershaus

Zweiter Akt
In tiefer Nacht erwartet der König mit den Seinen die Ankunft des Hirten. Er ist beunruhigt über den Zauber, den der Fremde auf Roxane und ihn selbst ausübt. Der Hirte mit seinen Genossen kommt herbei und begrüßt den König im Namen der ewigen Liebe. Er erzählt, dass er als Gottgesandter aus Indien kommt, worauf der König ihn der Zauberei beschuldigt. Nun fordert der Hirte seine Gefährten auf, ihre sonderbaren Instrumente zu spielen. Eine merkwürdige Musik erklingt. Alle, die sich hier um den Hirten versammelt haben, auch Roxane, tanzen. Als der König den Hirten verhaften und fesseln lassen will, zerreißt dieser mit Leichtigkeit seine Bande und entschwindet ins Gebirge. Roxane und die anderen folgen ihm wie im Traum. Der König bleibt allein auf seinem Thron zurück, reißt sich die Krone vom Kopf, den Mantel vom Leib und geht wie ein Pilger den anderen nach.

Dritter Akt
Nach langem Umherirren kommt der König, geführt von Edrisi, zu den Ruinen eines griechischen Theaters. Er ruft, durch die Einsamkeit bedrückt, nach seiner Gattin, Roxane antwortet ihm. Sie heißt ihn willkommen, weil er in Demut und ohne Waffen ins Königreich der Liebe eingetreten ist. Auf dem Altar erscheint der Hirte als Gott Dionysos. Alle verwandeln sich in Bacchanten, Dryaden und Satyre. Als die Nacht zu Ende ist und es dämmert, steigt der König zum Altar empor und bietet sein Herz der Sonne dar.

Die Inszenierung

Der Regisseur Johannes Erath: „Das ist einmal eine Oper, in der es mehr ums Hören als ums Sehen geht. (Paul Claudel, „L’œil écoute“ – das Auge hört.) In diesem Fall kann man schon sagen, die Musik erklärt sehr viel. Die Musik ist die Psychoanalyse des Textes, Theater für die Ohren.“

Und so beginnt die Vorstellung mit Hören. Der Zuschauerraum ist dunkel, vor dem Bühnenraum ist der schwarze Vorhang heruntergelassen. Und dann singt der Chor A-cappella, Kirchenmusikklänge. Bevor der erste Ton aus dem Orchester einsetzt ist man bereits gefangen von diesem Mysterium, das nun folgt.

Der Vorhang hebt sich, ganz in schwarz gekleidet stehen die Mitglieder des Chores und des Kinderchores auf der Bühne, teilweise mit dem Rücken zum Publikum. Der Bühnenboden und die Rückwand, beides leicht nach vorne geneigt, sind strahlend weiß, ergänzt durch streng grafisch eingesetzte weiße Leuchtröhren. Eine der wenigen Requisiten der Inszenierung, ein rechteckiger Tisch mit einer Platte aus Spiegelglas, liegt mit den Beinen nach oben im Vordergrund, symbolisiert in diesem Moment einen See, später wird er zu einer Brücke, einer Brücke zwischen Kirche und Theater, über die sowohl Roger als auch Roxane gehen. Eine sehr kühle Atmosphäre, die hervorragend kontrastiert mit Szymanowskis ekstatischer, erotisch aufgeladener Musik. Die wiederum wunderbar harmoniert mit dem heißen Junitag in Frankfurt, wie der Dramaturg Zsolt Horpácsy dem Publikum in seiner Einführung zur Oper mit auf den Weg gibt.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist aber auch das Sehen gefragt.

Oper Frankfurt/ Łukasz Goliński (König Roger) und Sydney Mancasola (Roxana) sowie im Hintergrund Ensemble /Foto @ Monika Rittershaus

Der Hirte betritt die Bühne, eine Mischung aus Erdgeist und Wanderprediger, Christus und Dionysos, ein Verführer im weißen Gewand, der den Rausch und die freie Lust als Lebensprinzip predigt und die sittenstrenge Welt des 12. Jahrhunderts damit aus den Fugen hebt. Die dionysische und rauschhafte Musik bei seinem Erscheinen bestimmt den gesamten zweiten Akt und steigert sich mit einem Mänadentanz zur Ekstase. Das Volk, das vorher sehr beherrscht aussehend von seinem König vehement die Rettung seiner christlichen Sitten vor diesem Wanderprediger gefordert hat, gerät zunehmend aus den Fugen. Es fordert zwar auch jetzt noch, ihn zu steinigen, ihn zu verbannen, sieht aber dabei zunehmend derangiert aus. Auch auf den König und auf Roxane übt der Hirte eine erotische Anziehung aus. Die Geschlechtergrenzen schwinden schnell und alles steuert auf eine große Orgie zu.

Dazu schreibt die Oper Frankfurt: „Wie können die Kräfte von Chaos und Ordnung, Vernunft und Triebhaftigkeit zusammenwirken und kreativ gestaltet werden?“ Johannes Erath: „Was ist für uns heute relevant? Die überschwängliche Sinnlichkeit in der Musik darf man nicht eins zu eins bebildern, sonst wird es aus meiner Sicht unerträglich. Wenn wir versuchen, erotischer als die Musik zu sein, würden wir immer verlieren“.

Und so geht die Regie dezent mit dieser Orgie um. Auf dem Spiegeltisch, der jetzt als Liegestatt dient, besteigt Dionysos die gefügige Roxane. Die Männer des Volks fallen über die Frauen her, sie tun das grob und unter Gegenwehr. Letztendlich folgen alle den Versprechungen des Hirten in ein Leben im Rausch der freien Liebe. Nur der König, schweigsam und voll von Angst und Zweifeln, zögert. Eine dramatische Entwicklung im herkömmlichen Sinne gibt es erst in den letzten beiden Minuten des Werks, als Roger seine eigenen Abgründe erkennt, den Rausch hinter sich lässt und sich dem Tag, dem Leben und dem Bewusstsein zuwendet. Um dann mit den Worten „Aus der Tiefe meiner Einsamkeit, aus dem Abgrund meiner Macht reiße ich mein Herz heraus und bringe es als Opfer der Sonne dar“ die Oper zu beschließen.

Die Rollen und ihre Sängerinnen und Sänger

Oper Frankfurt/ Łukasz Goliński (König Roger) / Foto @ Monika Rittershaus

Król Roger – Der polnische Bassbariton Łukasz Goliński, der den Roger bereits mehrfach in anderen Inszenierung verkörpert hat, verfügt über die für die Rolle notwendige breit angelegte Stimme und Intensität. Die innere Zerrissenheit und der Wandel des Roger zeigt sich auch in der musikalischen Gestaltung. Zu Beginn singt er in tiefer Lage, dann in mittlerer und zum Schluss in hoher Lage.

Roxane Sydney Mancasola, die amerikanische Sopranistin ist Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Eine große Stimme. Sie gab unter anderem bereits die Gilda hier am Haus.

Der HirteGerard Schneider ist die Verkörperung des Verführers in Person. Auch der Tenor gehört zum Ensemble, ein brillanter Schauspieler. Wer kann sich diesen Blicken (trug er besondere Kontaktlinsen?) und dem teuflichen Grinsen entziehen.

EdrisiAJ Glueckert, Tenor sang und spielte reich dekoriert den arabischen Gelehrten und Berater des Königs im Rollstuhl (den er aber mitunter auch verließ).

Der ErzbischofAlfred Reiter, Bass und Die DiakonissinJudita Nagyová, Mezzosopran in kleineren Rollen

Der Chor spielt eine sehr große Rolle in dieser Oper, es war eine wahre Freude, die Sängerinnen und Sänger zu hören und vor allem auch spielen zu sehen. Wie immer perfekt einstudiert von Tilman Michael. Das gilt auch für den Kinderchor (Leitung Markus Ehmann) und die Statisterie.

Das Orchester

Mit Silvain Cambreling als Dirigent kehrt nach über 20 jähriger Abwesenheit der ehemalige Frankfurter GMD und künstlerische Intendant (1993-1997) an die Oper Frankfurt zurück. Unter seiner Leitung wurde sie erstmals 1995 zur Oper des Jahres gewählt. Er dirigierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester intensiv und trotzdem sehr differenziert, aus den überbordenden Klanginszenierungen Szymanowskis waren immer auch die einzelnen Instrumente sehr deutlich herauszuhören.

Das Team

Großer Applaus und Zustimmung für das gesamte Regieteam mit Johannes Leiacker, Bühnenbild, Jorge Jara, Kostüme, Joachim Klein, Licht und Bibi Abel, Video. Schöner und perfekter kann ein Bühnenraum nicht bespielt werden.

 

  • Rezension von Angelika Matthäus / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Frankfurt/Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Frankfurt/ Łukasz Goliński (König Roger) / Foto @ Monika Rittershaus


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