„Die Sache Makropoulos“ von Leoš Janáček, Premiere am 7. April 2019 in der Oper Bonn
Es geht um das Geheimnis des ewigen Lebens in der 1926 in Brünn uraufgeführten „modernen historischen Oper“ über die 337 Jahre alte, aber ewig junge Opernsängerin Emilia Marty alias Elina Makropoulos. Star-Regisseur Christopher Alden setzt sein Regie-Konzept in Bonn mit einem bestens aufgelegten Beethoven-Orchester unter der Leitung des 27-jährigen Dirigenten Hermes Helfricht mit einem großartigen Solisten-Ensemble um. (Rezension der besuchten Premiere v. 7.4.2019)
Eine Gerichtsverhandlung über einen 100-jährigen Erbstreit, in der Emilia Marty aussagen möchte, eine Sex-Affäre im Opernmilieu mit dem Zweck, an ein wichtiges Dokument zu kommen, und der große Showdown in einem Hotelzimmer, bei dem sie das Geheimnis ihres langen Lebens offenbart, sind die drei Akte dieses kafkaesken Konversationsstücks mit tödlichem Ausgang. Den Erblasser, einen Baron Prus, hat sie vor mehr als 100 Jahren wirklich geliebt, deshalb liegt in seinem Haus versteckt die Formel des Tranks, der ewige Jugend verleiht. Martys Vater, Alchimist am kaiserlichen Hof Rudolfs II von Habsburg, hatte ihr im Alter von 16 Jahren diesen Zaubertrank verabreicht, und so musste sie sich unter wechselnden Namen immer wieder neu erfinden und einen Liebhaber nach dem anderen aufgeben.
Idealbesetzung dieser Rolle ist die Kanadierin Yannick-Muriel Noah, die die technisch perfekte, eiskalt berechnende und abgeklärte Diva, der die Männer zu Füßen liegen, als Schauspielerin und als Sängerin in all ihren Facetten souverän verkörpert. Sie ist eine attraktive Frau im besten Alter und hat unter anderem als Leonore, als Aïda, Butterfly, Rusalka und als Tosca die großen Rollen ihres Fachs in Bonn gestaltet, ihr nimmt der Zuschauer die junge Operndiva ab.
Im Schlussmonolog kann sie in blühenden Kantilenen ihr Geheimnis enthüllen. Ihr Kontrahent ist Ivan Krutikov als Baron Prus, der Alpha-Mann mit Riesen-Ego und entsprechend großer Stimme, in dessen Besitz sich die Formel befindet, und dem sie sich hingibt, um wieder neues Lebenselixier zu bekommen. Er erlebt die größte Fallhöhe, denn sein einziger Sohn bringt sich aus Verzweiflung darüber, dass sie dem Vater eine Liebesnacht gewährt, ihn aber abweist, um. Mit der Todesnachricht in der Hand kniet Pruss am Ende in Unterwäsche und Sockenhalten bei seinem toten Sohn.
Als Emilia Marty endlich das Dokument mit der Formel in der Hand hält wird ihr klar, dass sie keine Angst vor dem Tod mehr hat. Im Orchester wird geschildert, wie sie das Blatt verbrennt. Marty erleidet einen Zusammenbruch und stirbt.
Thomas Piffka als Albert Gregor, ihr Ur-Ur-Enkel und Prozessgegner des Baron Prus, Johannes Mertes als Hauk-Šendorf, ihr seniler Liebhaber aus einer Affäre vor 50 Jahren, der ihr die Juwelen seiner Frau schenkt, und David Lee als Janek, Sohn des Baron Prus, der sich aus unerfüllter Liebe zu ihr umbringt, zeichnen Charakterstudien von Männern, die dem morbiden Charme dieser Frau rettungslos verfallen sind. Martin Tzonev als geschäftstüchtiger Anwalt Dr. Kolenatý und Christian Georg als Kanzleiangestellter Vítek geben die dürren Bürokraten, und Kathrin Leidig als junge Sängerin Krista, die dem Vorbild Emilia Martys nacheifert, bezaubert mit mädchenhaftem Charme.
In weiteren Rollen agieren Susanne Blattert als Kammerzofe, Anjara A. Bartz als Putzfrau und Miljan Milovic als Maschinist sowie der Herrenchor als Heerschar verflossener Liebhaber der Protagonistin in einem kurzen Auftritt unter der Leitung von Marco Medved.
Bei dieser Oper werden die Melodien vom Orchester übernommen, der Gesang ist weitgehend rezitativisch. Hermes Helfricht, mit 27 vermutlich der jüngste Kapellmeister, der je eine Janáček-Premiere dirigiert hat, leitet das bestens disponierte Beethoven-Orchester. Er bringt Janáčeks Orchesterpart zum Blühen und lotet die emotionale Tiefe der Musik voll aus. „Der wusste genau, was er wollte und hat das auch umgesetzt,“ so Regisseur Alden bei der Premierenfeier.
Christopher Alden ist ein Regisseur, den in erster Linie das Drama interessiert, ihn fasziniert der geniale dramaturgische Aufbau des Theaterstücks von Karel Čapek, das der Oper zu Grunde liegt, und der surrealistische Plot, den er in einem schlichten Bühnenbild (Charles Edwards) mit wenigen Versatzstücken im Stil eines „Film noir“ umsetzt.
Die Kostüme (Sue Wilmington) zitieren die Mode im Jahr 1922 und unterstreichen Emilia Martys mondänen Typ, während sie den Männern mit Nadelstreifenanzügen Kontur verleihen.
Diese Produktion wurde 2006 von der English National Opera London, die grundsätzlich alle Opern in englischer Sprache aufführt, von Christopher Alden mit dem Janáček-Experten Charles Mackeras am Pult mit sensationellem Erfolg aufgeführt. Die Problematik des unbegrenzten Lebens und der ewigen Jugend traf einen Nerv der Zeit, der Wortwitz mit zum Teil recht deftigen sexuellen Anspielungen wurde verstanden.
Es folgte eine beispiellose weltweite Aufführungsserie in verschiedenen Inszenierungen, unter anderem in München, Wien, Berlin, Hong-Kong, Frankfurt, bei den Salzburger Festspielen und in Glyndebourne. In Prag wurde Aldens Inszenierung 2009/10 von der English National Opera übernommen, diesmal in tschechischer Sprache, was die Authentizität erheblich erhöht, weil Janáček den Sängern die Sprachmelodie und berufstypische Floskeln in die weitgehend rezitativischen Partien komponiert hat und dadurch auch ihre soziale Stellung kennzeichnet.
Auch in Bonn singt man in der Originalsprache, was bedeutet, dass alle Sängerinnen und Sänger in einer konsonantenreichen Fremdsprache singen müssen, dass aber der Originalcharakter der Komposition maximal gewahrt wird. Ein besonderes Lob gebührt Šárka Grondžel als Sprachcoach.
Für Janáček-Fans ist diese Produktion ein absolutes Muss, denn Alden, Helfricht, das Beethoven-Orchester und das hervorragende Ensemble setzen das Werk vorbildlich um. Janáčeks Musik ist zwar nicht immer tonal, aber sehr klangschön und emotional.
Wer allerdings von einer Oper in erster Linie schönen Gesang, imposante Chöre und wiedererkennbare Melodien erwartet, wird leicht überfordert, denn der Konversationston herrscht in den ersten beiden Akten vor, und die Verfolgung der Übertitel strengt an.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Termine, weitere Infos und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
- Trailer der ENO-Produktion HIER
- Titelfoto: Theater Bonn/ DIE SACHE MAKROPULOS/ Foto @ Thilo Beu