
Am 10.1. und am 11.1. 2019 präsentierte der NDR in der Hamburger Elbphilharmonie einen, ganz Richard Wagner gewidmeten, Abend. Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeisterte unter der Leitung von Marek Janowski mit Stücken aus Tannhäuser, Tristan und Isolde und Götterdämmerung. Sopranistin Nina Stemme verzauberte und berührte mit Isoldes Liebestod, so wie mit Brünnhildes Schlussgesang. Richard Wagner ist der Komponist, der am leichtesten dazu verführt, eine Rezension auszuschmücken, indem man aus eigenem und/oder fremden Wissen schöpfend, über seinen wirklich genialen Umgang mit Leitmotiven referiert, oder auch darüber, dass Wagners Werke nie nur Musik sind. Wie es nicht nur im online verfügbaren Programmheft heißt.
Wagner „nur“ konzertant zu erleben, reizt umso mehr zu textlichen Ausschweifungen, da Auge und Geist nicht abgelenkt werden und Ohr und Seele sich ganz dem hingeben können, was Wagner „pur“ ausmacht. Und das möchte man dann allen anderen mitteilen, ihnen erklären, sie sehen lassen, was zu der Faszination Wagner führt.
Marek Janowski und die NDR-Philharmoniker entführen das Publikum vom ersten Ton an in die Fülle dieser Klangwelt.
Die beginnt schon wenn Englischhorn und Fagott das erste Thema der Ouvertüre von Tannhäuser zum Klingen bringen. Getragen und würdevoll erfüllt es den Raum, dann stimmen auch die anderen ein und schenken dem Publikum Bildmalerischen Genuss, lassen es eintauchen in ein Wechselbad von Legati, Crescendo und Decrescendo, tiefer Sehnsucht und freudiger Erwartung um endlich im Venusberg-Bacchanal in zügellose Liebesleidenschaft zu gipfeln, die mitreißt.
Einen Moment später dann wird uns ein anderer Aspekt von Liebe zu Gehör gebracht mit dem Vorspiel zu Tristan und Isolde. Nun gelingt es den NDR Philhamonikern homogen und mühelos Gefühlstiefe, Trauer aber auch die Bedrohung durch Macht von Außen, zu Gehör zu bringen.
Auch im Erleben und Erfühlen gibt es an diesen Abend ein Crescendo, denn im zweiten Teil stehen allein Auszüge aus Götterdämmerung auf dem Programm. Die orchestralen sind Tagesgrauen, Morgendämmerung und Siegfrieds Rheinfahrt, wie auch der Trauermarsch.

Spätestens jetzt ist der gesamte Saal dem Hier und Jetzt entrückt, dank der Leistung des Orchesters und seines Leiters. Sauber und mit eindrucksvollen Akzenten, lassen uns in erster Linie die Streicher über die mal spielerisch leichten, dann wieder machtvollen Wellen des Rheins gleiten. Die Bläser, Holz wie Blech, schicken die Zuschauer ein letztes Mal auf die Jagd mit Siegfried und seinem Horn. Bis dann die Wucht des Trauermarsches eine Ganzkörperhaut verursacht, weil jeder Ton sitzt, jede Anweisung in der Partitur genau erfüllt scheint.
Janowski ist ein Dirigent der alten Schule, ein Fels in der Brandung, der mit beiden Füßen fest auf seinem Podest steht. Seine Bewegungen sind schnörkellos, exakt und wohl dosiert. So bewegt er alle vier oder auch nur einen Finger, um Intensivität oder Lautstärke von einigen oder nur einem Musiker einzufordern, senkt die Hand oder legt einen Finger an die Lippen um das Gegenteil zu erreichen.
So lenkt und führt er immer Musiker und Musikwirkung im Fokus und beweist einmal mehr, dass er, ein Urgestein unter den heutigen Dirigenten, das Lob, das er für seine Interpretationen bekommt, wohlverdient hat.
Doch auch sie wird ihrem Ruf als eine der gefragtesten Wagnersängerinnen mit jedem Ton absolut gerecht: Nina Stemme. Im ersten Teil betritt sie ernst und gemessen während der ersten Takte zu Isoldes Liebestod die Bühne. Ihr Kleid, das zwischen orange und Gold changiert und durch eine Art Mantel aus goldfarbener Spitze komplettiert wird, lässt sie mit jedem Zoll als die Königin erscheinen, die Isolde nun mal ist. Doch auch sie selbst schafft es durch ihre Haltung, Mimik und vor allem ihren Gesang, dem Publikum in dieser einen Szene, all das Leid nahe zu bringen, das die Figur sonst über einen ganzen Abend erfährt. Dasselbe gilt auch für ihren Auftritt im zweiten Teil, wenn sie mit Brünnhilde Schlussgesang fasziniert. Auch für Brünnhilde ist Stemmes elegantes Gewand klug gewählt. Mag dies auch als Nebensächlichkeit erscheinen, so gibt es dem Auftritt doch etwas Ganzheitliches, das zu Wagner und seinen Gesamtkunstwerken passt.
In beiden Stücken fließt Nina Stemmes warmes, wandelbares Timbre wie Honig über einen Silberlöffel durch den Raum. Köstlich, fließend, niemals zu zäh oder zu süßlich. Ihr Tonregister ist umfangreich, die Mühelosigkeit, mit der sie die Wechsel der Tonhöhen meistert, ist genau dies meisterlich. Dies gilt besonders für den letzten Takt des Liebestods. Doch auch im Schussgesang lassen Stemme, Orchester und Janowski, keinerlei Fragen offen, was Brünnhilde Gefühle und Stärke betrifft und schicken das Publikum am Ende, durch das fast fröhlich plätschernde „Rheintöchtermotiv“, ein Gefühl von seliger Erlösung.
Es spricht sicher nicht nur die besondere Stellung des Komponisten in der Musikwelt, sondern in erster Linie für die hervorragende Interpretation, dass sich diese Erlösung erst nach einigen Sekunden Bahn bricht. Sekunden, die man mit fug und recht „Silenzio tutti“ bezeichnen kann die dann zu einem Crescendo aus Applaus und Jubel wird.
Wieder einmal ein „Elphiabend“, der all die Skepsis, die selbst vor genau zwei Jahren bei der Eröffnung herrschte, vergessen lässt: Wie schön dass wir (auch) diese Spielstätte haben!
- Rezension der besuchten Vorstellung am 11.1.2019 von Birgit Kleinfeld
- Titelfoto: Hamburg ; NDR – Elbphilharmonie Orchester im Großen Saal der Elbphilharmonie/ Foto @ NDR-Michael Zapf