Musikalische Verdichtung in schweren Zeiten: Benefizkonzert des Bundespräsidenten mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester

Elbphilharmonie / Foto @ Thies Rätzke

Am Sonntagvormittag des 27. Februars wurde die Elbphilharmonie Hamburg zum ersten Mal Gastgeber des Benefizkonzerts des Bundespräsidenten. Die Erlöse der seit 1989 jährlich an wechselnden Orten der Bundesrepublik stattfindenden Wohltätigkeitsveranstaltung waren in diesem Jahr für die Obdachlosenhilfe bestimmt. Etwa die Hälfte der Spendeneinnahmen sollten der Krankenstube auf St. Pauli zugutekommen. Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte zu Beginn des Konzerts die deutsche Nationalhymne, woraufhin Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine kurze Rede hielt, in deren Fokus natürlich auch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine lag. Er wolle aber auch in diesen schweren Zeiten die bedürftigen Menschen in Deutschland nicht vergessen, so Steinmeier, denn diese bekämen eine Krise stets als erste zu spüren.

 

Vermutlich hätte es für die gegenwärtigen Umstände dieser Welt kein passenderes Werk gegeben als die Ouvertüre der Oper „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven. Denn diese verdeutlicht die für unsere Zeit so relevanten Ideale von Freiheit und politischer Humanität. Der ansonsten mehr auf zeitgenössische und moderne Werke fokussierte Dirigent Alan Gilbert bewies sich nun auch als vorzüglicher Interpret des Weltschmerzes Beethovens. Die ersten vier pochenden Takte des Allegro leitete er mit schlagender Wucht ein, um dann augenblicklich das Horn-Duo des sich anschließenden Adagios zurückhaltend, geradezu schon ängstig flimmernd, anzustimmen. In der knapp 10-minütigen Ouvertüre gelang es Gilbert, schon all den Jubel und Schmerz des an diesem Vormittag nicht aufgeführten Musikdramas zu antizipieren. Seine pochenden, sich im gewaltigen Tutti rasant entladende Orchesterschläge, suchten ihresgleichen.

Benefizkonzert in der Elbphilharmonie/Yuja Wang/27.02.2022/Foto @ Daniel Dittus

Auch das sich daran anschließende 1. Klavierkonzert von Franz Liszt traf den Mark der Zeit. Denn als weltreisender Pianist und Dirigent hätte auch Liszt von einem friedliebenden Europa profitiert. Als Yuja Wang die Bühne betrat, standen jedoch zunächst nicht ihre Klavierkünste im Mittelpunkt. Unüberhörbar wird ihre Kleiderwahl von mehreren Männern sexistisch kommentiert. Eine traurige Konstante auch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Wang selbst schien die Bemerkungen nicht mitzubekommen oder geflissentlich überhört zu haben – zumindest zeigte sie sich in ihrem Spiel davon unbeeindruckt. Gar nicht so emotional, dafür umso effektvoller, mit vehementem Pedaleinsatz in den ersten Takten, bildete ihr lediglich viertelstündiger Auftritt den Höhepunkt des Konzerts. Obwohl das Klavierkonzert in seiner Orchesterbegleitung ähnlich vielseitig ist wie im Klaviersolo – beispielsweise das unverkennbare Triangel-Wechselspiel – nahm Gilbert sein NDR Elbphilharmonie Orchester gekonnt zurück und musizierte versiert im Schatten seiner Klaviersolistin.  Der Flügelklang des Steinways von Yuja Wang dominierte den Saal.

Benefizkonzert in der Elbphilharmonie/27.02.2022/Foto @ Daniel Dittus

Im Anschluss daran bildete Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie in c-Moll den symphonischen Hauptteil des Konzerts. Im ersten Satz, dem Allegro con brio, mit dem bekannten Schicksalsmotiv wählte Gilbert einen recht freien Ansatz in Tempo und Phrasierung, sehr markant verzögerte er die rezitativartige Oboen-Kantilene bis aufs Äußerste. Mit jedem Satz und jeder Wiederholung straffte sich Gilberts Interpretation. Sukzessive steigerte er auch die Dynamik – was es ungeheuer aufregend werden ließ – bis sich schließlich die Akkorde des Finalsatzes, dem Allegro, mit voller Wucht in der Elbphilharmonie entluden. Zum tosenden Schlussapplaus blieb nur noch die Hoffnung, dass Beethovens Freiheitsgedanke auch die Ukraine erreichen wird!

 

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Elbphilharmonie Hamburg
  • Titelfoto: Benefizkonzert in der Elbphilharmonie/27.02.2022/Foto @ Daniel Dittus
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