Es ist die Geschichte einer verbotenen Liebe von 1963 bis 1983 in Wyoming. Wie kaum ein anderer Film hat mich 2006 „Brokeback Mountain“ von Ang Lee in einem großen Kino mit Dolby Surround beeinduckt, wo man die Faszination der unberührten Natur in gewaltigen Landschaftsaufnahmen hautnah erleben konnte. Die Opernversion steht diesem Film bezüglich der Intensität der dargestellten Gefühle nicht nach. Ennis und Jack stehen in der Tradition von Romeo und Julia, Violetta und Alfredo und Tristan und Isolde – Liebespaare, deren Liebe aus gesellschaftlichen Gründen unmöglich ist. Die Protagonisten sind einfache Menschen, die sich der Selbsterkenntnis verweigern und eine Lüge leben. (Gesehene Vorstellung am 19. April 2024)
Komponist Charles Wourinen, 1938 – 2020, Nachkomme von finnischen Einwanderern, lebte in New York. Er musste selbst erleben, dass man an der Universität seine Homosexualität als psychische Krankheit behandelt hat. Nachdem er den Film von Ang Lee mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal gesehen hatte, war ihm klar, dass es sich um einen idealen Opernstoff handelte: die Unmöglichkeit der Liebe von Ennis und Jack.
Wourinen hat gleich, nachdem er den Film von Ang Lee gesehen hatte, Kontakt zu der Autorin der literarischen Vorlage, Annie Proulx, gesucht und mit ihr zusammen das Libretto zu seiner Oper „Brokeback Mountain“ erarbeitet. Wourinens Komposition knüpft nicht an amerikanische Komponisten wie Aaron Copland oder Leonard Bernstein an, sondern an europäische Komponisten wie Arnold Schönberg, Alban Berg und Igor Stravinsky. Die Musik ist sehr stark rhythmisch, und der Gesang empfindet die Sprache einfacher Menschen nach. Keine Cowboyromantik! Die Musik Wourinens hat nichts gemein mit der Filmmusik von Gustavo Santaolalla.
Den Kompositionsauftrag zur Oper „Brokeback Mountain“ erteilte Gerard Mortier, damals designierter Leiter der New York City Opera. Mortier übernahm dann jedoch das Teatro Real Madrid, wo „Brokeback Mountain“ unter der Leitung von Titus Engel in der Regie von Ivo van Hove am 28. Januar 2014 uraufgeführt wurde. Es folgten Inszenierungen in Aachen (2014) und am Salzburger Landestheater mit reduzierter Orchesterfassung (2016), die auch in der New York City Opera gezeigt wurde, und in Gießen (2022).
Der Regisseurin Eike Ecker gelingt es, in der Ausstattung von Ulrich Schulz im Lichtdesign von Andreas Rehfeld mit wenigen Requisiten – einem Lagerfeuer, einem Bügelbrett, einem Motel-Bett und einem Schreibtisch – und von der Decke herunter gelassenen Prospekten eine im Wyoming der 60-er bis 80-er Jahre spielende stimmige und ergreifende Geschichte zu erzählen. Die musikalische Leitung des groß besetzten Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier hatte Wouter Padberg.
Das Bild des majestätischen Brokeback Mountain verbirgt am Anfang anstelle eines Vorhangs die sparsam eingerichtete Bühne. Die Faszination des magischen Bergs wird mit dem Akkord h-C der tiefen Streicher ausgedrückt, der als Grundton unter dem ersten Bild schwebt und der zwischendurch immer wieder kurz vorkommt. Aguirre, der Aufseher, rekrutiert die jungen Cowboys Jack Twist und Ennis del Mar zum Hüten der Schafe für den ganzen Sommer hoch auf dem Brokeback Mountain. „Kein Alkohol, keine Frauen! Jack im oberen Lager, Ennis im unteren Lager“ befiehlt er ihnen, aber sie haben natürlich doch Whisky dabei. In einer kalten Nacht kommt es dann zum Tabubruch: alkoholisiert verbringen sie die Nacht zusammen in einem Zelt.
Nach ihrem ersten intimen Kontakt in der magischen Atmosphäre des majestätischen Brokeback Mountain, den sie beide als „richtig“ empfinden, verdrängen sie ihre Gefühle füreinander. Vor allem Ennis rastet aus, als Jack ihm unterstellt, er sei in ihn verliebt. Er schlägt den Freund brutal zusammen, weil er auf gar keinen Fall als homosexuell dastehen möchte. Aguirre hat die beiden beobachtet und beendet das Arbeitsverhältnis.
Vier Jahre nach dem Vorfall nimmt Jack den Kontakt zu Ennis wieder auf. Ohne Ennis´ Frau Alma einzubeziehen gehen sie in ein Motel und treffen sich immer wieder für ein paar Tage – angeblich zum Angeln.
Bassbariton Roman Ialcic als Ennis del Mar, im Film Heath Ledger, ist der wortkarge, leicht reizbare und aufbrausende Cowboy, der nach der Rückkehr vom Brokeback Mountain mit Alma ein bürgerliches Leben aufbaut. Seinen Traum von einer eigenen kleinen Ranch kann er mit ihr nicht umsetzen. Nach der Scheidung von Alma nimmt er Kontakt zu Jack auf, der vorschlägt, zusammen eine Ranch zu übernehmen, aber Ennis ist traumatisiert von einem Kindheitserlebnis, als man einen vermutlich homosexuellen älteren Mann, der mit einem Freund eine Ranch betrieb, brutal ermordet hatte und er als Kind die geschändete Leiche sehen musste. Er möchte seine Liebe zu Jack geheim halten. Ialcic überzeugt auf der ganzen Linie in der Entwicklung vom Leugner seiner Zuneigung mit ganz kargem Sprechgesang bis zum großen ergreifenden durchkomponierten Monolog, in dem er seine verlorene Liebe zum toten Jack beklagt. Das ist der dramatische Höhepunkt der Oper, der große Betroffenheit erzeugt, und der weit über die Emotionen im Film hinausgeht.
Tenor Derek Rue in der Rolle des Jack Twist, im Film verkörpert von Jake Gyllenhaal, ist der agile redselige Rodeo-Reiter, der die Tochter seines Chefs heiratet und mit ihr eine Familie gründet. Er ergreift die Initiative und sucht nach vier Jahren den Kontakt zu Ennis, man trifft sich wieder in einem Motel und beschließt regelmäßige Treffen in der Natur. Jack ist der Extrovertierte, der durchaus auch riskante Kontakte in Mexico wahrnimmt, wie ihm Ennis vorwirft. Dass er sich so offen zu seiner homosexuellen Neigung bekennt, ist sein Todesurteil. In den Duetten der beiden ist Jacks Stimme so etwas wie die Verzierung von Ennis´ Part.
Die Frauen sind es, die die Idylle zerstören. Alma, hervorragend verkörpert von Yibao Chen, wirft Ennis heimliche Treffen mit Jack und mangelnden beruflichen Ehrgeiz und lässt sich von ihm scheiden. Sie erlebt die totale Desillusionierung: als sie mit ihrer Mutter das wunderschöne Brautkleid kauft, mit dem sie ihr neues Leben mit Ennis starten will, hat sie große Hoffnungen auf ein besseres Leben in der Stadt, und sie endet mit zwei Töchtern, ständig zu wenig Geld mit einem beruflichen Versager, der ihr auch noch seinen Freund Jack vorzieht.
Vanessa Lisette López-Gallegos als Lureen, die mit Jack als Verkäufer den Landmaschinenhandel ihres verstorbenen Vaters übernommen hat, hat in der Ehe der beiden buchstäblich die Hosen an. Als Jack im Bett mit ihr versagt, vertraut sie sich dem Geist ihres verstorbenen Vaters an. Die Katastrophe naht 20 Jahre nach dem ersten Treffen von Ennis und Jack. Bei einem mysteriösen Unfall, von dem Lureen Ennis per Telefon berichtet, sei Jack umgekommen. Er habe gewollt, dass seine Asche, die bei seinen Eltern ist, auf dem Brokeback Mountain verstreut wird. Ennis übernimmt diese Mission, er sucht Jacks Eltern auf. Als er in Jacks Kinderzimmer Jacks und sein eigenes blutverschmiertes Hemd von ihrem ersten Treffen findet, beklagt er in einem ergreifenden Monolog seine verlorene Liebe zu Jack und schwört, dass es in seinem Leben niemand anderen gegeben habe und geben wird als Jack.
Müsste ich mit Schülern die Kunstform Oper erarbeiten, meine Wahl fiele auf Charles Wourinens Oper nach dem Libretto von Annie Proulx. Das Stück hat alle Merkmale einer Oper: Es gibt komponierte Rezitative, Ariosi, Ensembles und sogar einen Chor, der eine ähnliche Funktion hat wie der Chor in der griechischen Tragödie. Mit zweieinviertel Stunden Aufführungsdauer in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln einschließlich Pause ist es auch nicht zu lang. Auch für kleine Häuser ist das Werk umsetzbar, denn es gibt eine kammermusikalische Fassung mit nur 24 Orchestermusikern, und die Gesangsparts sind zwar nicht leicht: kein Ton ist vorhersehbar, aber zu schaffen.
Meinen Mann und mich hat die Aufführung in Trier sehr betroffen gemacht und dazu angeregt, über Einstellungen zur Homosexualität zu diskutieren, die sich zum Glück in den letzten Jahren in Europa stark gewandelt haben. Darüber hinaus sind wir Zeugen einer tragisch endenden Liebesgeschichte geworden. Es gibt noch eine weitere Aufführung am 12. Mai 2024.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Trier / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Trier/BROKEBACK MOUNTAIN/Foto: Theater Trier