MiR Gelsenkirchen: „Die Macht des Schicksals“ – Verbotene Liebe in Zeiten des Krieges

MiR Gelsenkirchen/Macht des Schicksals/Foto @ Monika und Karl Forster

Die Macht des Schicksals“ – der Titel sagt eigentlich bereits alles. Und dennoch ist die sich über Jahre erstreckende Handlung jenes Dramas des spanischen Dichters Angel de Saavedra so verzwickt, dass sie nicht ohne weiteres auf den Klappentext eines Buches passt: verbotene Liebe, Familienehre, die unglückliche Handhabung von Schusswaffen, schicksalhafte Begegnungen, Krieg und Religion – das sind die Fäden, aus denen dieses Opus gewebt ist. Es kam in der Vertonung von Giuseppe Verdi 1862 in St. Petersburg zur Uraufführung und erlebt nun unter der Regie von Generalintendant Michael Schulz in Gelsenkirchen eine szenisch ambitionierte und musikalisch überzeugende Premiere. (Bericht zur Premiere vom 22.2.2020)

 

Schon die Werkeinführung im Foyer durch den Dramaturgen Stephan Steinmetz sollte sich der Zuschauer keinesfalls entgehen lassen: man erhält sowohl eine erfreulich schlüssige Zusammenfassung der Handlung als auch den Hinweis auf die Besonderheit dieser hauseigenen Fassung: das „Dies irae“ aus Verdis Requiem und Ausschnitte aus der „Marienvesper“ von Claudio Monteverdi werden in den musikalischen Ablauf eingestreut. An der ursprünglichen Werkstruktur wurden ebenfalls Änderungen vorgenommen; so muss man zum Beispiel auf die wohlbekannte Ouvertüre zwar zunächst verzichten, wird aber dessen ungeachtet im weiteren Verlauf ohne musikalische Einbußen reich beschenkt.

Bereits vor Beginn ist im Foyer der Introitus aus Monteverdis „Marienvesper“ zu vernehmen. Eine Prozession mit Monstranz und Madonnenstatue zieht durch die Räume und nimmt so den Zuschauer direkt mit ins römisch-katholische Spanien, dem Spielort der Oper.

MiR Gelsenkirchen/Macht des Schicksals/Foto @ Monika und Karl Forster

Dirk Becker hat dafür einen spartanisch anmutenden Raum geschaffen, der mit wenigen Mitteln wirkungsvolle Verwandlungen erlaubt. Im Hintergrund befindet sich ein dreireihiges Chorgestühl, das Kinosessel oder Hörsaalbänke ebenso assoziieren lässt wie Zuschauerreihen in einem Theater oder einem Gerichtssaal und immer wieder zum Aufenthalts- und Spielort des vielbeschäftigten Chores wird. Davor liegt die fast leere Spielfläche; lediglich metallene Tische in wechselnden Funktionen gestalten die Szene: Palast, Schenke, Feldlager, Lazarett, Kloster… So bietet die Inszenierung vor allem Raum für die eigentliche Substanz des Musiktheaters, nämlich die singenden und spielenden Menschen auf der Bühne (Kostüme: Renée Listerdal).

Dass das Regieteam am Ende der Aufführung mit zahlreichen und kräftigen Buhs abgestraft wurde, während die musikalischen Leistungen sich ohne Einschränkung und vollkommen gerechtfertigt großen Beifalls erfreuen durften, wirft ein vielleicht zu einseitiges Licht auf die Produktion. Denn auch wenn das Konzept der musikalischen Stückelung nicht jedem zusagen mochte, auch wenn nicht jedes Detail der Regie, nicht jedes gefundene Bild komplett zu überzeugen vermochte, so war doch eine weitgehend stimmige Personenregie zu beobachten, war zu erleben, wie sich die Darsteller – angefangen von den Hauptrollen bis in die kleinste Aufgabe hinein glaubhaft und sichtlich gern im szenischen Geschehen bewegten. Und nicht zuletzt das ist auch wesentlicher Anhaltspunkt für die Qualität einer Regie.

Sängerisch kann das Musiktheater im Revier mit einer bestens aufgestellten Besetzung punkten.

In den kleineren Rollen erfreuten Rina Hirayama, Khanyiso Gwenxane und John Lim als Kammerzofe, Maultiertreiber, Alcalde und Chirurg.

Der polnische Bariton Piotr Prochera gestaltete mit großem Erfolg den Fra Melitone.

Für die erkrankte Almuth Herbst war an diesem Abend die georgische Mezzosopranistin Khatuna Mikaberidze als Preziosilla eingesprungen. Mit eleganter, nebulös zwischen moderner Schicksalsgöttin und surrealer Todesmadonna angesiedelter Erscheinung und markantem Spiel meistert sie virtuos die Klippen der heiklen, sich von den Kontralagen des Alts bis in höchste Sopranbereiche erstreckenden Partie.

Luciano Batinić gab mit ebenso markantem wie samtenem Bass sowohl den Marchese di Calatreva als auch den Padre Guardiano.

Als Don Carlos di Vargas wusste Bastiaan Everink mit machtvoller Stimme und warmem Timbre seine Partie eindrucksvoll zu gestalten.

MiR Gelsenkirchen/Macht des Schicksals/Foto @ Monika und Karl Forster

Petra Schmidt als Leonora wartet mit einem durch und durch künstlerisch und sensibel gestalteten, wohl durchdachten Rollenportrait auf. Ihr schönes Timbre kommt besonders in den innigen, lyrischen Passagen zur Geltung. In sich gekehrt, beinahe demutsvoll singt sie das „La vergine degli angeli“ zusammen mit dem Herrenchor und gestaltet ihre große Arie „Pace, pace“ mit seelenvollem Ausdruck.

Für die schwierige Partie des Don Alvaro konnte der walisische Tenor Timothy Richards gewonnen werden. Mit langem Atem, makelloser Intonation, stets klangschön und ausgeglichen singend, meistert er scheinbar mühelos alle Anforderungen seiner Partie und singt sich in die Herzen des Publikums.

Eine außergewöhnlich prachtvolle Leistung boten Opern- und Extrachor des MIR unter der Leitung ihres Chefs Alexander Eberle. Mit der ohnehin großen Chorpartie und den zusätzlich eingeflochtenen Stücken, in allen Facetten homogen und kraftvoll klingend, lebendig und konzentriert im Spiel, ersangen sich die Damen und Herren am Premierenabend einen der Spitzenplätze im Ensemble.

MiR Gelsenkirchen/Macht des Schicksals/Foto @ Monika und Karl Forster

Der souverän gestaltete Rataplan-Chor war bereits ein Kabinettstück für sich; das überraschend folgende und fulminant dargebotene „Dies irae“ sorgte als Kontrast szenisch wie musikalisch für nochmalige Steigerung und atemberaubende Augenblicke. Auch wenn man sich grundsätzlich fragen mag, inwieweit es legitim ist, derart in die Werkstruktur einer Oper einzugreifen und diese collagenhaft zu verändern – an dieser Stelle war die Wirkung auf alle Fälle bezwingend.

Durch Giuliano Betta und die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen wurde Verdi sprichwörtlich auf Händen getragen. Das Orchester spielte mit transparentem, lupenreinem und auch in den Fortepassagen stets elegantem Klang. Man wünschte, dieser Abend würde kein Ende nehmen und man dürfte nur immer weiter ehrfürchtig lauschen – weit über die bis in scheinbar unhörbare Ewigkeit reichenden Pianissimoklänge am Ende der Oper hinaus.

Bis Ende April ist „La forza del destino“ noch in Gelsenkirchen zu erleben. „Die Macht der Musik“ könnte die Aufführung ebenfalls heißen. Und diese sollte man sich keinesfalls entgehen lassen.

 

  • Rezension von Sibylle Eichhorn / RED. DAS OPERNMAGAZIN
  • MiR / Stückeseite
  • Titelfoto: MiR Gelsenkirchen/Macht des Schicksals/Foto @ Monika und Karl Forster
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