Lichtblicke werfen ihre Schatten voraus – die Bayreuther Festspiele 2019

Phillip Richter -Das Opernmagazin –

Unser DAS OPERNMAGAZIN-Autor Phillip Richter besuchte mit Ausnahme des Lohengrins sämtliche Produktionen der Bayreuther Festspiele 2019 und berichtet von starken Sängern und spannenden Regisseuren. 

 

 

 

 

Die Festspielpremiere „Tannhäuser“ wird direkt zur Kultinszenierung!


Tobias Kratzer knüpft mit seinem Tannhäuser dort an, wo Hans Neuenfels vor neun Jahren mit dem legendären „Ratten-Lohengrin“ aufhörte. Eine konkrete und klare Vorstellung des Werks, die er über alle drei Akte konsequent mit eindrücklicher Personenregie durchführt. Dieser Tannhäuser ist selbstironisch, unterhaltsam, und trotzdem tiefgründig. Kratzer stellt die Zerrissenheit der Titelfigur zwischen konservativer Festspielwelt und Roadtrip als Realitätsflucht in den Vordergrund. Das Schlussbild von Tannhäuser neben seiner geliebten Elisabeth in Erinnerung an heitere Tage im Truck auf der Autobahn – da musste selbst der härteste Regietheatergegner eine Träne verdrücken!

Bayreuther Festspiele/Tannhäuser/ © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Welch Ironie, dass ausgerechnet der russische Dirigent Valery Gergiev die musikalische Leitung des wohl queersten Tannhäusers aller Zeiten innehatte. Star des Abends waren neben der überaus hochkarätigen Sängerbesetzung die Dragqueen „Le Gateau Chocolat“. Für ihre Darbietung der Hallenarie in tiefster Baritonstimme am Teich vor dem Festspielhaus feierte sie das Festspielpublikum mit Jubelstürmen und Ovationen. Das persönliche Highlight der Inszenierung bleibt die Videoeinspielung mit Katharina Wagner, beim Eintritt der Venus mit ihrem Gefolge wählt sie in trotziger Miene den Notruf 110. Schon jetzt ist dieser Tannhäuser Kult – da schmerzt es wenig, dass der Parsifal von Uwe Eric Laufenberg – eine etwas überfrachtete Inszenierung – in diesem Sommer zum letzten Mal gezeigt wurde. 

Ganz im Gegensatz stehen dazu auch Barrie Koskys Meistersinger, die zwar stellenweise arg konstruiert wirken, aber die konkreten Aussagen des Regisseurs scheinen dennoch in sich stimmig und eindeutig herausgearbeitet. Bei Kosky erscheint der Humor nie trivial, vielmehr lässt seine Inszenierung das Lachen im Halse der Zuschauer stecken bleiben. Jedes Jahr schärft der Regisseur die Konturen seiner Meistersinger aufs Neue. Mit dieser Inszenierung startete der Regisseur einen wichtigen Diskurs.

 

Heutzutage gibt es keine Stimmen mehr“ zählt in Bayreuth nicht!

 

Wie oft wird heutzutage pauschal über mangelnde Stimmen für die großen romantischen Opern gejammert. Oftmals zu Unrecht, zeigte das Bayreuth im Sommer 2019. Die Entwicklungen der Sängerbesetzungen – gerade im Vergleich zu den letzten 10-20 Jahre – sind eindeutig erfreulich. Einige Sänger haben übermenschliches geleistet und werden demnächst ihr Repertoire in spannenden Rollendebuts erweitern! Die junge Sopranistin Lise Davidsen ist wohl gegenwärtig der größte Stern am Himmel der dramatischen Soprane. Lise Davidsens Stimme verfügt über eine Größe und Tragweite, wie sie nur einmal im Jahrzehnt bei einer Sopranistin vorkommt. 2019 gab sie ihr Rollendebüt als Elisabeth und wurde für diese Rolle auch gleich in Bayreuth engagiert. Im kommenden Ring-Zyklus 2020 dürfen wir uns auf ihre Sieglinde freuen und hoffentlich in den nächsten Jahrzehnten auch auf Elektra, Brünnhilde und Isolde.

Günther Groissböck stand in diesem Sommer als Gurnemanz und Veit Pogner auf der Bühne des Festspielhauses. Er wird im kommenden Sommer als Wotan im Ring-Zyklus debütieren. Sein Gurnemanz erklang stimmgewaltig, mit deutlicher Aussprache und stellenweise gar furchteinflößend – hier liegt viel Potential für seinen Wotan verborgen. Ähnlich auch bei Michael Volle als Hans Sachs – sieben Jahre nach seinem Rollendebut wird Volle von Jahr zu Jahr besser und versierter. Wo er im dritten Aufzug vor einigen Jahren noch undeutlich deklamierte, stand er nun über dieser Rolle und sang die langen Monologe mit schierer Leichtigkeit, garniert mit Witz und Raffinesse. Auch Volle feiert im Jahr 2019 sein Debüt als Wotan. Er bleibt uns glücklicherweise als Sachs in Bayreuth erhalten und wird den Göttervater zunächst an der Staatsoper Berlin zum Besten geben.

Dem Tenor Stephen Gould gelang mit seinem Tannhäuser wohl der größte Coup der diesjährigen Festspiele: Der Sänger erklang in dieser Rolle stärker, eindrücklicher und differenzierter als je zuvor. Seine perfektionierte Gesangstechnik und sein schauspielerisches Geschick hoben seinen Tannhäuser in eine neue Sphäre. Hat man die Romerzählung je eindringlicher und nervenzerreißender als von ihm hören dürfen? Ihm scheint diese besonders anspruchsvolle Rolle sogar noch besser zu liegen, als der Tristan in den letzten Jahren.

In diesem Sommer übernahm Stefan Vinke drei Vorstellungen des Tristans. Er schuf sich in den letzten Jahren als Siegfried einen verdienten Namen, da war sein Rollenwechsel eine überraschende Abwechslung und ein ähnliches Highlight wie Goulds Tannhäuser. Seine Stimme war merklich tiefer gefärbt als noch vor wenigen Jahren. Schon viele Tenöre standen auf der Bühne des Festspielhauses, aber diese Intensität im Fieberwahn des Tristans von Stefan Vinke im dritten Akt suchten seinesgleichen.
Mit „Stephen und Stefan“ feiern die Bayreuther Festspiele einen Höhenflug der Heldentenöre auf dem grünen Hügel. Wir sind optimistisch, dass der dritte Heldentor im Bunde, der Österreicher Andreas Schager, im kommenden Jahr als Siegfried einen ähnlichen Erfolg wie Stefan Vinke im Tristan hinlegen wird.

Daniel Behle / Foto @ Photo: Julian Laidig

Es wären noch viele Höhepunkte zu nennen, die Aufzählung kann nicht abschließend sein: Elena Pankratovas erotische und verführerische Kundry, Georg Zeppenfelds zerreißender Auftritt als König Marke, Derek Welton als ironisch-frustrierter Klingsor oder Daniel Behle – bald der Lohengrin in Dortmund – als Luxusbesetzung eines Davids zeigten, dass Katharina Wagner über ein gutes Ohr für Stimmen verfügt.

Die immer wiederkehrenden Sänger auf dem Hügel steigern sich von Jahr zu Jahr in neue Extreme, finden ihre idealen Partien und überraschen mit so manchem Rollenwechsel immer wieder aufs Neue. Auch ohne Anna Netrebko wurde Bayreuth 2019 zu einem wahren Sängerfest! Es bleibt spannend ob sich die Festspiele 2020 mit dem neuen Ring musikalisch noch weiter steigern können. Christine Goerke macht sich sonst rar in Europa, umso mehr freuen wir uns auf ihre Brünnhilde! Auch Dirigent und Regisseur des neuen Rings könnten zur Überraschung werden – ob positiv oder negativ bleibt abzuwarten….

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  • Artikel von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Bayreuther Festspiele
  • Titelfoto: Festspielhaus Bayreuth/ @ User: Benreis auf wikivoyage shared, CC BY-SA 3.0
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