Bluthochzeit in Sizilien als Grand Opéra nach allen Regeln der Kunst
Operndirektor Andreas K. Meyer krönt die Spielzeit 2018/19 mit einer prachtvollen Inszenierung der französischen Version der „Sizilianischen Vesper“ mit dem Regisseur David Poutney und dem Dirigenten Will Humburg in Koproduktion mit der Welsh National Opera Cardiff. Das Ballett erhält eine zentrale Funktion in der Dramaturgie. Anna Princeva (Hélène), Leonardo Caimi (Henri) und Davide Damiani (Montfort) reißen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. (Rezension der Premiere vom 25.5.2019)
Das große fünfaktige Werk „Les Vêspres siciliennes“ über das Massaker der Sizilianer an ihren französischen Besatzern im Jahr 1282 ist die erste Oper, die Giuseppe Verdi direkt als Grand Opéra für die Pariser Oper schrieb. Die Premiere war 1855. Der Konvention entsprechend gehören zur Grand Opéra fünf aufwändige Bühnenbilder, historische Kostüme, ein großer Chor, ein klassisches Ballett und viel Lokalkolorit in der Musik.
Regisseur David Poutney macht aus dem Libretto eine Studie über die Unmöglichkeit der Liebe unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen. Mit präziser Personenführung und großem dramaturgischem Geschick erzählt er die menschlichen Konflikte und die Eskalation der Gewalt, die dem Aufstand vorausgehen.
Bühnenbildner Raimund Bauer abstrahiert die Bühnenbilder sehr stark. Drei fahrbare, etwa fünf Meter hohe , einen Meter tiefe und unterschiedlich breite schwarze Rahmen mit weißen Lichtleisten, die wie riesige Bilderrahmen wirken, zwei fahrbare Hochsitze, auf denen die Herrschenden installiert sind und etwas Lichtregie – so wird der „liebliche Strand bei Palermo“ in 2. Akt durch Lichteffekte (Thomas Roscher) in den Farben der Morgendämmerung angedeutet – müssen ausreichen, mit wenigen Requisiten die Bühnenbilder zu kreieren. Die Wechsel zwischen den Tableaux können dadurch nahtlos geschehen, und es ergeben sich unglaublich bildstarke Effekte.
Die Kostüme von Marie Jeanne Lecca sind dafür umso üppiger. Die französischen Besatzer haben prächtige Uniformen in blau-rot-weiß, die vom Ende des 18. Jahrhunderts sein könnten, die französischen Ballgäste rot-goldene Kleider mit Reifröcken oder rot-goldene Gehröcke und weiß gepuderte Zopfperücken. Die Sizilianer tragen dagegen zeitlose schlichte schwarze Kleidung aus den dreißiger Jahren.
Musikalisch ist Produktion beim Dirigenten Will Humburg, einem ausgewiesenen Verdi-Experten, in den besten Händen. Der Chor und Extrachor unter Marco Medved laufen zu Höchstform auf, das Beethoven-Orchester glänzt im prachtvollen Verdi-Klang. Anna Princeva (Hélène), Leonardo Caimi (Henri) und Davide Damiani (Montfort) singen und agieren auf höchstem internationalem Niveau.
Das Ballett (Choreografie Caroline Finn), eigentlich in das Ballgeschehen eingebettet, erhält in Poutneys Inszenierung eine dramaturgisch zentrale Funktion: vor dem Maskenball in Montforts Arbeitszimmer erzählt es die Vorgeschichte, wie der junge Montfort um Henris Mutter (Hellen Boyko) wirbt und sie schließlich gewaltsam nimmt. Henri ist also die Frucht eines sexuellen Übergriffs des Gouverneurs Montfort. Das Ballett endet schließlich in der Form einer Capoeira mit dem getanzten Vater-Sohn-Konflikt zwischen dem rüden Besatzer Montfort und dem idealistischen Widerstandskämpfer Henri. Der Szenenwechsel ist genial arrangiert: der Schreibtisch wird weggefahren, und die maskierten Ballgäste, die auf einem Podest gewartet haben, erwachen zum Leben.
Zentrale Figur ist die österreichische Herzogin Hélène (Anna Princeva). Sie nutzt die Provokation durch den angetrunkenen französischen Offizier Robert (Giorgos Kanaris), ein Lied zu singen, zu einem flammenden Aufruf zum Aufstand. Anna Princeva gestaltet die Arie, die aus einem schlichten Lied erwächst, als wolle sie sich an die Spitze des Aufstands gegen die Besatzer stellen.
Der Arzt Procida (Pavel Kudinov), der politische Kopf des sizilianischen Widerstands gegen die französische Besatzung, kehrt aus dem Exil zurück. In seiner Auftrittsarie „Et toi, Palerme…“ besingt er nach drei Jahren Exil die Liebe zu seiner Heimat und beklagt die Besatzung. Er macht Henri zum Anführer der sizilianischen Aufständischen.
Vor allem der 3. Akt gibt Montfort (Davide Damiani) die Gelegenheit zu einer fulminanten Charakterstudie. Einerseits ist er ein skrupelloser Usurpator und Vergewaltiger mit dem Charme einer Klapperschlange, andererseits verleiht er der Sehnsucht des Bösen nach Liebe ergreifenden Ausdruck. Durch einen Brief von Henris verstorbener Mutter erfährt er, dass er Henris Vater ist. Er lässt Henri verhaften und zu sich bringen und wirbt um seine Liebe.
Henri (Leonardo Caimi) ist im Zwiespalt, denn er würde seine Mutter und sein Land verraten, wenn er sich zu seinem Vater bekennt. Der junge Tenor gestaltet die anspruchsvolle Partie mit vier Duetten und einer großen Romanze, die er schon in München und in Frankfurt gesungen hat, souverän mit schönem Schmelz und berückenden Spitzentönen. Seine Hochzeit mit Hélène ist das Signal zum Aufstand.
Die Liebe wird überschattet von der Politik, denn Henri verhindert nach dem großen Showdown des Chors den Mord Hélènes an seinem Vater, Hélène und Procida werden verhaftet, das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die Rollen der Besatzer Thibaut (Jeongmin Lee), Béthune (Leonard Bernad) und Vaudemont (Martin Tzonev) sowie der Sizilianer Ninetta (Ava Gesell), Danieli (David Fischer) sind aus dem Ensemble hochkarätig besetzt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
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- Titelfoto: Oper Bonn/ DIE SIZILIANISCHE VESPER/Foto @ Thilo Beu