Das Benefizkonzert für das Mendelssohn-Haus Leipzig am 2. November 2024 im Gewandhaus zu Leipzig wurde vom West-Eastern Divan Orchestra unter der Leitung eines der Mitbegründer, Daniel Barenboim, vorgetragen. Das Publikum im ausverkauften Gewandhaus empfing die Aufführungen mit stehenden Ovationen und wurde mit einer Zugabe belohnt, dem Scherzo aus Felix Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zu »Ein Sommernachtstraum«.
Auf dem Programm standen zwei Eckpfeiler des symphonischen Repertoires, die ähnliche, wenn nicht sogar identische Orchesterbesetzungen erfordern und tiefe Melancholie mit Augenblicken des Glücks (oder der Hoffnung darauf) ausdrücken. Mendelssohn dirigierte die Uraufführung seiner „Italienische“ Symphonie in A-Dur (MWV N 16) am 13. Mai 1833 in der Philharmonic Society in London. Trotz der positiven Aufnahme durch Kritik und Publikum war Mendelssohn unzufrieden, und die Symphonie blieb unveröffentlicht, bis Julius Rietz sie 1851 herausbrachte. Die Besetzung erfordert 1. Violine, 2. Violine, Bratsche, Violoncello, Kontrabass, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten und Pauken.
Uraufgeführt am 25. Oktober 1885 in Meiningen unter der Leitung des Komponisten erinnert die 4. Symphonie in e-Moll op. 98 von Johannes Brahms an die Barockmusik (zum Beispiel der Passacaglia im Finalsatz) und nimmt mit ihrer unkonventionellen Struktur (wie dem Fehlen einer Einleitung im ersten Satz) und den Gegenrhythmen und Gegenharmonien des Finales die zukünftige Musik vorweg. Trotz des Entstehungsdatums hat die Symphonie Dimensionen in der Dauer und verwendet eine Instrumentierung, die der von Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann etwa entspricht: 1. Violine, 2. Violine, Bratsche, Violoncello, Kontrabass, zwei Flöten (2. Piccolo im 3. Satz), zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, Kontrafagott (im 3. und 4. Satz), vier Waldhörner, zwei Trompeten, drei Posaunen (im 4. Satz), Triangel (im 3. Satz) und Pauken.
Die Interpretationen haben mich sehr positiv überrascht, angesichts der Tatsache, dass Barenboim Wilhelm Furtwängler als eines seiner interpretatorischen Vorbilder genannt hat. Die Klarheit und Schärfe der Rhythmen und der Artikulation in der Mendelssohn-Symphonie erinnerte mich an die inzwischen klassische Aufnahme des London Symphony Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado aus den 1980er Jahren, eine bemerkenswert transparente Interpretation. Das soll nicht heißen, dass es an Tiefsinnigkeit mangelte, im Gegenteil, im „Andante con moto“ und „Con moto moderato“ war viel Nachdenklichkeit zu spüren. Gleichzeitig gab es keine aufgesetzte oder künstliche Sentimentalität. Der Gesamteindruck ist, dass der Dirigent und die Musizierende die Partitur mit frischen Augen studiert und ihre eigene Interpretation entwickelt haben, ohne sich auf Aufführungstraditionen zu stützen.
Obwohl Barenboim für die Brahms-Symphonie langatmige Tempi gewählt hatte, konnte er den dramatischen Puls durchgehend aufrechterhalten und ließ die Spannung nie nachlassen. Diese Lesart war langsamer als die von Felix Weingartner, dessen aufgezeichnete Interpretation den zu Brahms’ Lebzeiten üblichen Interpretationen wohl am nächsten kam, aber Barenboim ließ sich nie zu Manierismen hinreißen und entlockte dem Orchester ein transparentes Klangbild.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- West-Eastern Divan Orchestra
- Mendelssohn-Haus Leipzig
- Titelfoto: Daniel Barenboim/West-Eastern Diva Orchester/Konzert Leipzig/Foto: © Christian Kern