Mit einem Konzert der absoluten Sonderklasse beging die Westdeutsche Konzertdirektion am 5. September 2024 ihr 111-jähriges Bestehen als führender privater Konzertveranstalter in Köln mit der Stargeigerin Anne-Sophie Mutter und Manfred Honeck am Pult des Pittsburgh Symphony Orchestra in der restlos ausverkauften Kölner Philharmonie.
Anne-Sophie Mutter führte das beliebteste und bekannteste romantische Violinkonzert aller Zeiten auf, das sie bereits 1981 mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan eingespielt hat: das Konzert in e-moll op. 64 von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
André Previn und John Williams haben ihr Violinkonzerte gewidmet und auf den Leib geschrieben, die sie mit Spitzenorchestern und den Komponisten am Pult eingespielt hat. Anne Sophie Mutter ist die absolute Ausnahmekünstlerin par excellence. Bereits mit fünf Jahren wollte sie Geigerin werden, räumte als Kind und Jugendliche Preise und Sonderpreise bei „Jugend musiziert“ ab und startete ihre Weltkarriere in einem Alter, wo andere gerade Abitur machen. Mit ihrer absoluten Stilsicherheit bei klassischen Konzerten, Kammermusik und Crossover-Formaten steht sie regelmäßig in den Klassik-Charts und hat bereits vier Grammys gewonnen.
Bereits am 23. September 1986 hatte sie das erste Konzert der Westdeutschen Konzertdirektion in der damals neu eröffneten Kölner Philharmonie mit Streichtrios von Beethoven mit Mstislav Rostopowitsch (Violoncello) und Bruno Giurana (Viola) gestaltet.
Dirigent Manfred Honeck eröffnete das Konzert mit „Short Ride in a Fast Machine“, einer Fanfare für Orchester, bei der der 1949 geborene Komponist John Adams eine Spritztour in einem italienischen Sportwagen mit einem unerfahrenen Fahrer verarbeitet. Erst gegen Ende des Stücks stoppt der unerbittliche rhythmische Puls, und die Musik kann frei fliegen. Michael Tilson Thomas gab 1986 den Auftrag zu dieser Komposition. Bereits bei diesem fünf Minuten kurzen Stück zeigte das Pittsburgh Orchestra, dass es Festspielqualität hat: präzises Schlagzeug, samtige Streicher und knalliges Blech. Manfred Honeck, der auswendig dirigierte, nahm das Violinkonzert federleicht und zart, die Abstimmung mit der Solo-Geige war perfekt und gab Anne-Sophie Mutter den Raum, die filigranen lyrischen Melodien und die anspruchsvollen virtuosen Kadenzen mit ihrer Stradivari zu gestalten. Das Orchester bot den Hintergrund, der die Solo-Geige mit eleganten Blasinstrumenten und samtigen Streichern umrahmte. Das Konzert wirkte ungeheuer dynamisch, weil es sehr intim und leise begann und erst später musikalisch voll aufblühte, als die Kadenz mit der Reprise des Orchesters verschmolz. Mit seinen nahtlosen Übergängen der Sätze hat schon Mendelssohn-Bartholdy die Grenzen des klassischen Instrumentalkonzerts gesprengt. „In der glücklichen Vereinigung von geadelter Virtuosität und poetischer Bedeutsamkeit des Inhalts ist es bisher nicht überboten worden,“ schreibt Arnold Schönberg. Die Uraufführung am 13. März 1845 in Leipzig war, wie die Aufführung am 5. September 2024 in Köln, ein Triumph.
Der Applaus war überwältigend, und Anne-Sophie Mutter spielte als Zugabe kein Solostück, sondern ergriff das Mikrophon, um an den 1. September 1939, Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, zu erinnern. Mit dem Orchester intonierte sie als „Gebet für die Opfer der 200 Kriege und Konflikte, die derzeit weltweit toben, während wir hier ein Konzert genießen,“ das Thema aus „Schindlers Liste“ von John Williams, das Itzhak Perlman im Film 1993 aus der Taufe hob. Damit entließ sie das Publikum nachdenklich und betroffen in die Pause.
Wie Manfred Honeck mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur, zum Klingen brachte, war für mich sensationell. Diese Sinfonie steht noch in der klassisch-romantischen Tradition, hat aber bereits typische Elemente Mahlerscher Sinfonik und strebt auf eine erlösende triumphierende Auflösung zu. Die Besetzung ist für Mahlers Verhältnisse klein, ist aber mit fünf Hörnern, sieben Kontrabässen und drei Flöten durchaus beeindruckend. Mahler entwickelte die vier Sätze aus Themen seiner „Lieder eines fahrenden Gesellen“, zitierte aber auch derbe Ländler, getragene Trauermärsche und klezmerartige Motive aus der jüdischen Musikwelt in großen Gegensätzen. Klammer sind die lautmalerischen Vogelstimmen, die die Einleitung des ersten Satzes bilden und am Schluss des vierten Satzes wieder auftauchen, und abfallende Quarten, die immer wieder auftreten. Mahler arbeitet mit harten Kontrasten, bleibt aber im Rahmen der Tonalität. Die Instrumentierung ist vielfältig und lässt Themen durch sämtliche Orchesterstimmen laufen, die damit jede für sich glänzen konnten. Besonders brillant spielten die Trompeten, die im ersten Satz aus dem Off zu hören waren, die Soloflöte und die absolut präzisen Hörner, die im vierten Satz die mit harten Ringen erkämpfte Auflösung der Spannung nach den triumphierenden Blechbläsern bekräftigten.
Die endgültige Form bekam die Sinfonie, die am 20.11.1889 in Budapest als sinfonische Dichtung mit einem inhaltlichen Programm, das Mahler später verwarf, uraufgeführt wurde, erst bei der Drucklegung. Die erste Aufführung als reine Sinfonie fand am 16. März 1896 in Berlin statt und wurde von vielen konservativen Zeitgenossen, insbesondere von Eduard Hanslick, auch Richard Wagners Erzfeind, nicht verstanden. Das Kölner Publikum feierte das Werk, das sich mittlerweile im Repertoire etabliert hat, mit stehenden Ovationen. Honeck und das Orchester bedankten sich mit der Morgenstimmung aus Edvard Griegs „Peer-Gynt-Suite“ – eine Referenz zum ersten Satz: „Ging heut´ morgen übers Feld“ – und als der Beifall immer noch nicht enden wollte, mit dem temperamentvollen, wilden, etwas groben letzten Walzer aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, bei dem ich „Mit dir keine Nacht mir zu lang“ raushörte. Nach 20 Minuten Beifall war dann aber wirklich Schluss.
Die Westdeutsche Konzertdirektion Köln feierte mit diesem Konzert der Spitzenklasse ihr 111-jähriges Bestehen. Es ist Auftakt der Reihe „Meisterkonzerte“, in der die Westdeutsche Konzertdirektion Gastspiele von Weltklasseorchestern mit hochkarätigen Instrumentalsolisten und renommierten Dirigentinnen und Dirigenten nach Köln holt. Sie pflegt ein Repertoire, das im besten Sinne etabliert ist, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass man auf Tourneen ungern Experimente macht. Da zählt das Kernrepertoire. Auch ich habe es genossen, Stücke zu hören, bei denen ich mich auf die die perfekte Aufführung konzentrieren konnte. Da war „Short Ride in a Fast Machine“ eine angenehme Überraschung und der ideale Auftakt zur Spielzeit 2024/25 in der Kölner Philharmonie.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Kölner Philharmonie
- Titelfoto: Kölner Philharmonie/5.9.2024/Anne-Sofie Mutter, Pittsburgh Symphony, M. Honeck/Foto © Christian Palm