Fulminanter Auftakt des Bonner Beethovenfests 2024 mit Beethovens 9. Sinfonie und seiner „Missa Solemnis“
Das Bonner Beethovenfest vom 5. September bis 3. Oktober 2024, das in diesem Jahr unter dem Motto: „Miteinander“ steht, vereinigt unter seinem Label ein breites Programm, das sich auf vielfältige Weise mit Beethovens Werk auseinandersetzt. Nach dem Campus-Projekt am Vortag, bei dem fast 200 junge Menschen aus 45 Nationen unter der Leitung des chinesischen Komponisten Tan Dun Beethovens 9. Sinfonie und Tan Duns „Nine: Ode to Compassion“ aufgeführt hatten, spielte René Jacobs am Sonntag, dem 8. September 2024, mit der Zür´cher Singakademie und dem B´Rockarockorchester in der Bonner Kreuzkirche Beethovens Musik zum feierlichen katholischen Hochamt in lateinischer Sprache, die „Missa solemnis op. 123“. (Besuchte Veranstaltung: „Missa solemnis“ am 8.9.2024 in der Bonner Kreuzkirche)
Intendant Steven Walter, Jahrgang 1986, hat sich als Kulturmanager einen Namen gemacht. Er ist seit 2022 künstlerischer Leiter des Bonner Beethovenfests und hat mit seinen neuartigen Konzertideen Musik so präsentiert, dass damit sowohl bisherige Klassikliebhaber als auch Menschen aller Altersgruppen mit ihren Musikvorlieben angesprochen werden. Der Erfolg gibt ihm Recht. Das Beethovenfest bietet an mehr als 40 verschiedenen Spielstätten rund 100 Produktionen, vom Klavierabend und Kammermusikensemble bis zur groß besetzten Sinfonie, vom Opernhaus und der evangelischen Kreuzkirche bis zum Open Air beim Eröffnungsfest auf dem Bonner Münsterplatz. Familien mit Kindern finden drei Familienkonzerte mit kindgerechten Themen. Auch an Inklusion wird gedacht. Am 1. und 2. Oktober 2024 führt ein Ensemble von behinderten und nicht behinderten Protagonisten in der Bonner Brotfabrik ein Gesangs- und Tanzprojekt zu Franz Schuberts „Winterreise“ auf. Auf diese Weise wird das Motto „Miteinander“ erlebbar gemacht.
Sowohl Beethovens 9. Sinfonie als auch seine „Missa solemnis“ feiern in diesem Jahr ihr 200. Jubiläum, ein guter Grund, sie beim diesjährigen Beethovenfest aufzuführen. Bei der 9. Sinfonie stand bei den Veranstaltern der Gedanke im Vordergrund, möglichst junge Musizierende, nämlich das Bundesjugendorchester, dessen Mitglieder alle unter 20 sind, und den European Youth Choir einzusetzen. Sie führten Tan Duns „Ode to Compassion“ und Beethovens 9. Sinfonie vormittags auf dem Bonner Münsterplatz open air bei freiem Eintritt und abends im Opernhaus unter der Leitung des chinesischen Komponisten und Dirigenten Tan Dun auf. Tan Dun ist bekannt für seine Filmmusik zu „Tiger and Dragon“.
Für die „Missa solemnis“ hat Steven Walter ein Weltklasseensemble, das B´Rock Orchestra und die Zürcher Sing-Akademie unter der Leitung von René Jacobs in die evangelische Kreuzkirche eingeladen, in der sehr viel klassische Musik gepflegt wird.
Eine Missa solemnis ist die gemeinsame Feier der Eucharistie für alle Gläubigen und wird an hohen Festtagen als Hochamt mit Chor und Orchester gefeiert, eine Messe ist also per se eine Gestaltungform des Miteinander.
Beethoven selbst schlug vor, man könne seine Komposition auch als Oratorium im Konzertsaal aufführen, was heute der übliche Weg ist. Es ist ein Dokument des tiefen Glaubens Beethovens, der nach dem Flehen um Gottes Erbarmen (Kyrie), der Verherrlichung Gottes (Gloria) und dem Glaubensbekenntnis (Credo), der Verherrlichung Christi (Sanctus) das Flehen um Erlösung (Agnus Dei) die Bitte um Frieden (Dona nobis Pacem) besingt. So formuliert er die Bitte um inneren und äußeren Frieden an einen Gott, an den er selbst glaubt, in 75 Minuten Aufführungsdauer mit (für Beethovens Zeit) großem Orchester und Orgel, vierstimmigem Chor und vier Solostimmen, idealerweise in einer Kathedrale. Der lateinische Text bringt den Kern des christlichen Glaubens an die Erlösung des Menschen und die Bitte um Frieden noch prägnanter als die deutsche Übersetzung auf den Punkt, und Beethoven steigert die Intention des Textes durch musikalische Mittel, wie zum Beispiel eine große Fuge im „Credo“ oder engelsgleiche Solostimmen im Sanctus, die die Sängerinnen und Sänger an die Grenzen des Singbaren führen, in eine zusätzliche Dimension, die Ergriffenheit von der Größe Gottes durch die Mittel der Musik.
Als Festmusik, die zur Aufführung im katholischen Gottesdienst bei besonderen Hochfesten bestimmt war, ist Beethovens „Missa solemnis“ ein Werk, das in besonders intensiver Weise an das Geheimnis der Erlösung der Menschen durch Christi Opfertod am Kreuz und durch seine Auferstehung erinnert. Ich würde die „Missa solemnis“ als Konzentrat und Überhöhung der bis zu ihrer Entstehung vorhandenen Kirchenmusik durch Beethoven bezeichnen.
Anlass der Komposition war die Ernennung des österreichischen Erzherzogs Rudolf (1788-1831), eines Freundes und Gönners Beethovens, zum Erzbischof von Olmütz am 9. März 1820. Die „Missa“ wurde allerdings erst 1822 fertig. Beethoven selbst war sein feierliches Hochamt ungeheuer wichtig. Er hat die lateinischen Texte und mittelalterliche und barocke Vorbilder akribisch studiert und redigiert und daraus mit seinen Mitteln eine Überhöhung der christlichen Lehre durch Musik geschaffen. Das weit verbreitete Portrait von Karl Josef Stieler aus dem Jahr 1820, dessen Original im Bonner Beethovenhaus hängt, zeigt den Komponisten mit dem Credo – Glaubensbekenntnis – aus der „Missa solemnis“ in seiner Hand.
René Jacobs ist Experte für die historische Aufführungspraxis. Er strich die Ecken und Kanten des Werks heraus und arbeitete mit Originaltoninstrumenten, was einen raueren und authentischeren Klang erzeugt. Er arbeitete die emotionalen Steigerungen plastisch heraus und erzeugte durch eine enorme Dynamik vom Pianissimo zum Forte und durch klug eingesetzte ganz leichte Verzögerungen lange intensive Spannungsbögen und immer wieder Gänsehautmomente. Das Werk ist äußerst polyphon und ist, wie alle Spätwerke Beethovens, ungeheuer fokussiert und konzentriert.
Die Zürcher Singakademie und das B´Rock-Orchester sowie die Solist*innen Brigitte Christensen (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Thomas Walker (Tenor) und Johannes Weisser (Bass) boten in der Atmosphäre der Bonner Kreuzkirche eine Überhöhung von Beethovens Partitur ins Magische. Besonders ergreifend war das Geigensolo des Konzertmeisters Evgeny Sviridov zwischen Benedictus und Agnus Dei. In diesem Konzert habe ich die Kraft des christlichen Glaubens emotional erfahren.
Am 17. September 2024 wird in der Kreuzkirche auch Bachs h-Moll-Messe, ein ähnlich bedeutender Vorläufer von Beethovens „Missa solemnis“, mit dem Freiburger Barockorchester im Rahmen des Beethovenfests aufgeführt. Außerdem wird der Diskurs zwischen Kultur und Politik in zahlreichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen gepflegt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Beethovenfest Bonn
- Titelfoto: Beethovenfest Bonn 2024/ Missa Solemnis/Foto: Daniel Dittus