Julian Prégardien im Gedenken an Wilhelm Müller: „Die schöne Müllerin“

Franz Schubert/Quelle: wikipedia-gemeinfrei/Helfert, upload by Adrian Michael

Franz Schubert: „Die schöne Müllerin“
Liederzyklus D 795 aus Gedichten von Wilhelm Müller


Julian Prégardien, Tenor
Kristian Bezuidenhout, Hammerklavier
Siemen Rühaak, Rezitation

Liederabend im Stadttheater Aschaffenburg, 10. Januar 2020

Die Lust ist ja verrauscht, das Leid hat immer Zeit: Nun singe neue Lieder von alter Seligkeit.” Dieser Vers ist ein Auszug aus einem der drei Gedichte des Zyklus „Die Schöne Müllerin“ von Wilhelm Müller, die Franz Schubert nicht vertont hat. Dennoch sind auch diese voll von lyrischer Schönheit, dessen sich am Stadttheater Aschaffenburg an einem Liederabend Julian Prégardien und der Schauspieler Siemen Rühaak angenommen haben.

 

Die Schöne Müllerin“, die tragische Geschichte eines jungen Gesellen auf der Wanderschaft, der sich unglücklich in eine Müllerstocher verliebt und daraufhin verzweifelt seinem Leben in einem Bache ein Ende bereitet, wird meist mit ihrem Komponisten Franz Schubert, weniger aber mit dem Verfasser der Texte, Wilhelm Müller, assoziiert. Daher erzählt der Tenor Julian Prégardien in einer ungewöhnlichen, historisch-informierten Fassung des Zyklus die Geschichte noch einmal ganz neu, indem ihm nicht wie normalerweise der Bach in seiner personifizierten Form gegenübersteht, sondern der historische Dichter der Verse, Wilhelm Müller selbst – dargestellt durch den Schauspieler Siemen Rühaak – die Funktion des Adressaten übernimmt.

Wie Musikwissenschaftlerin und Romantik-Expertin Dr. Ulrike Kienzle in ihrem exzellenten Einführungsvortrag herausarbeitete, stand der Gedichtzyklus ursprünglich in einem ironisch-satirischen Zusammenhang. Der heute verkannte Dichter Wilhelm Müller setzte vor seine Verse einen Prolog, durch den er sich von seinem überempfindlichen Naturburschen distanzierte. Den sentimentalen Schluss des Zyklus in „Des Baches Wiegenlied“ hob er wiederum durch einen zuversichtlichen Epilog auf. Die Musikwissenschaftlerin verortete die Erzählung in den künstlerischen und gesellschaftlichen Strömungen der literarischen Entwicklungen des frühen 19. Jahrhunderts und verdeutlichte, dass erst Franz Schubert die Lieder auf die Isolation des Protagonisten in der Natur reduzierte. Ausgedrückt mit den Mitteln der Musik erhält der Moment des Todes eines jungen Menschen durch Franz Schubert gleichsam auch einen Anschein von Trost und Erlösung.

Im erst 2011 umgebauten Stadttheater Aschaffenburg nahm der junge Tenor Julian Prégardien sein Publikum mit auf eine Reise zu der Persönlichkeit des – wie im Prolog genannten – „Monodramisten“ im Zwiegespräch zu seinem Erschaffer. Prégardien schuf eine intime Atmosphäre, in welcher er gleichermaßen erzählte, sang und dazu schauspielerte. Seine helle, zugleich feste Tenorstimme fesselte das Publikum. Er bestach durch eine besonders deklamatorische Ausdrucksart ohne dabei affektiert zu wirken und überzeugte mittels feinster, zu jeder Stimmung des Gesellen passender Phrasierung.

Schlagartige Stimmungswechsel im Vortrag weckten den Anschein, dass Prégardien den Zyklus nicht einfach nur wiedergab, sondern ihn mit jeder Zeile neu zu komponieren schien. Unversehens entstanden seine Lieder aus dem Dialog mit sich selbst und seines Dichters Wilhelm Müllers heraus. Auch sein Begleiter, der australische Pianist Kristian Bezuidenhout gab dem Vortrag eine gewisse Spontanität des Geschichtenerzählens, indem er statt behutsamer Begleitung eines gewöhnlichen Liederabends eine gleichberechtigte Synthese zwischen Sänger und Solopianist einging, in der sich beide gegenseitig temperamentvoll vorantrieben. Um einer historischen Aufführungspraxis im Sinne der Zeit der Dichtung Wilhelm Müllers möglich nahe zu kommen begleitete Bezuidenhout den Liedzyklus statt auf einem modernen Flügel auf einem historisch-authentischen Hammerklavier. Auf diesem Instrument konnte er seinem intensiven Spiel ungleich mehr Leidenschaft und Spontanität verleihen. Es entstand eine Darbietung, wie sie sich Wilhelm Müller oder Franz Schubert womöglich selbst während der Komposition vorgestellt haben mussten.

Zum Ausgang verließ der Begleiter Kristian Bezuidenhout die Bühne und rührig griff Julian Prégardien selbst in die Tasten des Hammerklaviers, während sein Dichter – wie schon zuvor bei den Zeilen „Ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist zu voll“ – die Gesangspartie übernahm. Immer wieder zitierte Siemen Rühaak mit einem selbstironischen Augenzwinkern auch Tagebucheinträge Wilhelm Müllers und weitere, nicht von Franz Schubert vertonte Verse. Der Dichter Wilhelm Müller erschuf eine Figur zum Leben und trug diese zu Grabe, um selbst seine unerfüllte Liebe zur Dichterin Luise Hensel zu verarbeiten. Sänger und Dichter dieses teils autobiographischen Zyklus verschmolzen an diesem Abend miteinander und standen sich schließlich doch nicht mehr so fern, wie sie anfangs im Einführungsvortrag charakterisiert wurden.

Als einer der bedeutendsten lyrischen Tenöre der Gegenwart hat Julian Prégardien den Konzertsaal als seine Heimat erkoren. Er macht sich bedauerlicherweise zunehmend rar auf der Opernbühne. Dieser Liederabend geriet zu einer künstlerischen Sternstunde am Stadttheater Aschaffenburg, die womöglich im Juni 2020 in der Festwoche „Clemens Brentano in Italien“ – Julian Prégardien selbst ist künstlerischer Leiter der Brentano-Akademie – zu Ehren des in Aschaffenburg gestorbenen Schriftstellers ihre Fortsetzung finden wird.

 

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