„Augenblick, verweile doch, du bist so schön“
Es gibt Berichte, da sind alle Worte zu wenig, weil jedes zu viel ist. Denn jeder geschilderte Eindruck führt zu einem Gedanken, der neue Eindrücke gebiert, die alle erwähnt oder gar erläutert sein wollen, was weitere Eindrücke und Gedanken nach sich zieht. Und so weiter und so weiter …
„Szenen aus Goethes Faust“ mit der Musik von Robert Schumann, eine Produktion von Achim Freyer und seinem Team, ist ein Garant für diese Art von Bericht. Dem Theaterbesucher wird eine Palette aus musikalischen, szenischen und optischen Fragmenten geboten, die sich zu einem Gesamt(kunst)werk verbinden, das erst richtig wirkt, erlebt man es selbst.
Schumann gewann seine Inspiration zu diesem Werk, das aus drei „Abteilungen“ besteht, zum größten Teil aus Goethes „Faust, der Tragödie 2. Teil“. Nur die erste Abteilung bezieht sich auf „Faust der Tragödie 1.Teil“ und die Verführung, Verurteilung und die Seelenqualen Gretchens, die von Mephisto gequält zur Mater Dolorosa betet.
Doch, dem musikalischem Werk entsprechend, gibt es anders als in anderen Opern, nur eine skizzierte, bruchstückhafte Handlung. In den beiden anderen Abteilungen steht zwar weiterhin Faust im Mittelpunkt von Inszenierung und Aufmerksamkeit, doch geht es mehr um Metaphern und Allegorien. Um Sonnenaufgang, Mitternacht, Vergänglichkeit und endlich um die Macht des „ewig Weiblichen“: Denn die Mater Gloriosa erhebt Gretchen, wie auch Faust schlussendlich in himmlische Sphären.
Achim Freyer, Hauptverantwortlicher für alle künstlerischen Belange, Kostümbildnerin Amanda Freyer und ihr Mitarbeiterteam haben sich für den abgedeckten Orchestergraben als eigentlich Spielraum entschieden. Chor und Orchester thronen auf der Bühne, von den Spielenden von einer Art Gazevorhang getrennt, der auch als Leinwand für Videoprojektionen gilt.
Freyers Meinung nach findet das,was wirklich wichtig ist abseits der sichtbaren Handlungsstränge statt und so wird die Umgebung und damit auch Atmosphäre auf dem Spielraum ständig verändert, mithilfe von Gegenständen, wie einem Kleid, blauen, einem Kreisel, einer Kinderwippe in der Gretchenszene. Später dann auch ein Metronom, ein Ziffernblatt ohne Zeiger oder geometrische Formen, die platziert oder über die Bühne getragen werden. Natürlich spielt auch ein Kreuz eine Rolle und immer wieder Licht-, Schatten und Farbenspiele. Nicht weniges scheint wie eine Art Hommage an andere bedeutende Kunstmaler oder – Epochen oder erinnert andere Kulturen. Da ist der Strahlenkranz, der viele Marienbilder umgibt, der durch Lichtpunkt stilisierte Sternenhimmel, der an Van Goghs „Sternennacht“ erinnert und Gretchen, die geschminkt ist, wie wir es von Masken des südamerikanischem Halloween „Dia de las Muertes„ kennen.
Die Bühnenmitte krönt ein höhenverstellbares Podest, das Caspar David Friedrichs berühmten „Wanderer über dem Nebelmeer“ zeigt. Dessen Kopf allerdings bildet der von Christian Gerhaher, Titelheld und einziger wirklich auf der Bühne agierender Darsteller des Abends. Alle anderen singen und agieren, ähnlich wie bei einem Konzert, an Podesten stehend, was sie jedoch nicht teilweiser Kostümierung entbindet .
Gerhaher bietet ein wirklich beeindruckendes Spektrum an darstellerischer Vielseitigkeit, körperlichem Einsatz, singt auch mit dem Rücken zum Publikum, und im letzten Teil weite Teile sogar auf dem Rücken liegend. Sein Bariton besitzt fast tenorale Höhen, klingt warm in der Mittellage und Tiefe und seine Stimme hat etwas Ungewöhnliches, auf nicht unangenehme Art, dass seine Leistung umso beachtlicher macht.
Sonor und an den passenden Stellen bedrohlich dröhnend klingt der Bass von Franz-Josef Selig, der den „Mephisto“, den „Bösen Geist“ und weitere kleine Partien singt. Es bleibt anzunehmen, dass Selig, hat er die Möglichkeit Stimmgewalt und Spiel zu vereinigen zu jenen Sängern gehört, die völlig in den Bann ziehen.
Christina Gansch die unter anderem Gretchen singt und spielt, betört immer wieder durch die Wärme und reine Klarheit in ihrem Sopran und zeigt auch trotz eingeschränkter Möglichkeiten Hingabe an Ausdruck und Spiel.
Unter den anderen Sängern, ist Norbert Ernst, der wie alle mehrere Rollen verkörpert, das schwächste Glied einer insgesamt äußerst starken Kette, zu der, allen voran die südkoreanische Sopranistin Narea Son, mit ihren kristallklaren Höhen gehört. Komplettiert wird das wunderbare Ensemble von Sopranistin Katja Pieweck, Mezzo Renate Springler und Bass Alexander Roslavets.
Natürlich aber trugen auch sie zu dem Jubel für diese Premiere bei: die Hamburger Alsterspatzen, der Chor der Hamburgischen Staatsoper, wie auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Leitung von Kent Nagano. Sie alle verliehen der Musik Schumanns Kontur und brachten die, eher sinfonisch- als opernmäßig angehauchte Schönheit zum genussvollen Klingen zu bringen.
„Augenblick, verweile doch, du bist so schön.“ Dies abgewandelte Zitat, geht mir in Gedanken an diesen Abend nicht aus dem Sinn. Denn er hallt nach. Faszinierend, verwirrend, vielleicht sogar etwas verstörend, ob der vielen optischen Reize. Doch vor allem betörend, dank der hervorragenden Leistung aller.
- Rezension der Premiere von Birgit Kleinfeld/Redaktion DAS OPERNMAGAZIN
- Homepage der Hamburger Staatsoper
- Titelfoto: Christina Gansch, Narea Son, Katja Pieweck, Renate Spingler, Christian Gerhaher, Norbert Ernst, Franz-Josef Selig, Alexander Roslavets, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Komparserie/Foto @ Monika Rittershaus