Carsten Jung, Emilie Mazon / Foto @ Kiran West

Hamburg Ballett: Othello – Wenn das Herz von Bildern überquillt, können Worte schwer nur fließen …

Jacopo Bellussi, Emilie Mazon / Foto @ Kiran West
Jacopo Bellussi, Emilie Mazon / Foto @ Kiran West

Es gibt Vorstellungen, nach denen schreibt sich eine Rezension fast wie von selbst. Nach John Neumeiers Ballett „Othello“ jedoch sind Herz, Seele und Kopf so voll von Bildern und Gedanken, dass kein Wort wirklich passend scheint und gleichzeitig jedes richtig und notwendig und doch nicht genug. Denn „Othello“ ist durch die Musik, die bildmalerische wie körpersprachliche Erzählweise und die Choreografie, außerordentlich komplex und in seiner Wirkung extremst intensiv.

Schon im Jahre 1985, damals noch aufgeführt auf Kampnagel,- sorgte das Ballett des meisterlichen Geschichtenerzählers Neumeier für Aufsehen. Es ist ein weiteres seiner Werke, das auch nach Jahren – Jahrzehnten – seine Wirkung nicht verloren hat.

Es ist die alte, immer wieder neue Geschichte von der großen Liebe, die an der Welt, und nicht auch zuletzt durch Selbstzweifel und Selbsttäuschung ein tragisches Ende nimmt. Es ist die Geschichte von Desdemona, der Tochter aus besserer Gesellschaft, und dem geachteten, aber doch aus der Fremde stammenden Krieger Othello, die sich auf den ersten Blick in einander verlieben. Es ist auch die Geschichte von Neid, Rache und Macht. Von Jago, der alles und jeden hasst und verachtet, der sich in der Beförderung übergangen fühlt und darum Othello und alles was ihm wichtig ist, vernichten will. Und dies auch mit Erfolg tut.

Zu Recht gilt Neumeiers Version noch immer, so der Kommentator in dem Trailer des Hamburg Balletts zu „Othello“, „als eine der bedeutendsten Umsetzungen für die Ballettbühne“. Neumeier geht über die romantische schwarz/weißmalerei der Verdi – Oper hinaus, unabhängig von deren Inszenierung.

 

Carsten Jung, Emilie Mazon / Foto @ Kiran West
Carsten Jung, Emilie Mazon / Foto @ Kiran West

Vielleicht liegt es, neben Neumeiers Erzähltalent, daran, dass das Ballett mit der ersten Begegnung von Othello (Carsten Jung) und Desdemona (Emilie Mazon) beginnt, und nicht erst als sie bereits ein Paar sind. Oder auch daran, dass im Tanztheater zwar nicht unbedingt auf Laute, aber doch auf Wörter und Sätze verzichtet wird, die nur vom wesentlichen ablenken, es gar verschleiern könnten. Denn im Ballett gibt es allein die Musik, die Geschichte und die Körper der Tänzer, um sie zu erzählen. So wie im wahren Leben Berührungen oft mehr Emotionen auslösen können als Worte, geht die Körpersprache im Ballett „Othello“, die nicht nur aus Schrittkombinationen und Sprüngen, sondern viel mehr noch aus manchmal minimalen Bewegungen, Mimik und Gesten besteht, tief unter die Haut. Streicheln, mit den Händen berühren, mit den Händen etwas darstellen, spielen in Othello genau so eine große Rolle, wie Gesten mit den Füßen. Es wird sich zu diesen geworfen, es wird versucht diese in Liebe zu streicheln, es wird getreten, sie betreten gebeugte Rücken, wenn Personen eine Ehrung zukommen soll.

Dieses Verknüpfen von Tanzkunst und – ja- Alltäglichem nimmt von Anfang an gefangen, zieht den Zuschauer von Beginn an förmlich in die Geschichte hinein. Überrennt ihn und er lässt es gerne zu.

Die Vorstellung beginnt sozusagen a Capella, ohne Musik. Wir befinden uns in Venedig, einer Stadt voller Gegensätze, auf der einen Seite brüllende Gaukler, Soldaten, das einfache Volk. Auf der anderen die würdevoll in reinem Weiß daher schreitenden Honoratioren und Noblen der Stadt. Dazwischen Carsten Jung als Othello: nicht von dunkler Hautfarbe, aber in Schwarz gekleidet, mit wild anmutenden Locken und Bart. Er nimmt in seiner reifen Männlichkeit und ruhiger Ernsthaftigkeit die Bühne für sich ein. Er passt weder zu den akrobatisch herumwirbelnden und schreienden Männern in Camouflagehosen, noch zu den hoheitsvoll steifen Edlen. Und dann ist da auch noch sie: Desdemona, getanzt von Emilie Mazon. Sie trägt ein Kleid aus fließendem Stoff. Weiß, wie die Gewänder, der feinen Gesellschaft, zu der sie gehört, doch nicht bodenlang, sondern Mädchenhaft, gerade über das Knie reichend. Die Haare trägt sie offen. Auch Desdemona, wenn auch keine Fremde, ist nicht wirklich Teil einer der beiden Welten. Es scheint noch unentschieden wo sie ihren endgültigen Platz finden wird. Dann sieht sie ihn, sehen die beiden sich, verlieben sich. Mazon und Jung machen daraus einen wahrhaft magischen Moment, wie sie sich immer wieder ansehen, wegschauen, ansehen und auf einander zugehen um sich endlich, fast zaghaft, mit den Händen zu berühren. Eine jener Gesten, die, zart wie sie sind, doch so viel Macht auch über den Zuschauer haben. Sind sie doch Auslöser für Neues: Durch den Blick in die Augen des anderen, die Berührung entsteht das erste Band der Liebe. Was beide Tänzer in ihren Soli eindrucksvoll zeigen. Mazons Desdemona bewegt sich selbstvergessen lächelnd, gibt sich ihren Empfindungen hin, mit Bewegungen, die zu den zu exotischen Rhythmen von Urvölkern und ihrer Musik mahnen. Die Welt scheint zu schwinden. Es gibt nur sie, Othello und das Bild das sie gegenseitig in sich auslösen. So sieht Desdemona in ihn eben den Krieger aus jener ursprünglichen Welt. Getanzt wird dieser von Lizhong Wang, mit schwarz bemalten Gesicht, und in den Szenen aus Desdemonas Gedanken- und Gefühlswelt, mit blauem Körper. Blau, die Farbe der Kälte, der Melancholie und des Blues und auch der Beruhigung. Seine Bewegungen sind es, denen die von Desdeomona gleichen. Wang überzeugt, als Urmensch, wie auch im weiteren Verlauf des Balletts als der wildeste von Othellos Kriegern, von denen er sich dann nur durch das schwarze Gesicht unterscheidet.

Wenn ich mich recht erinnere, hieß diese Rolle zu Kampnagel-Zeiten „ Othellos Alterego“.

Die damalige Rolle „Desdemonas -Alterego“ die Othellos Bild von ihr zeigt, heißt heute „Primavera“. Sie ist dreigeteilt. Dreigeteilt, wie die Rolle, die, wie im Allgemeinen oft gesagt wird, Männern den Frauen zuordnen? Also Mutter, Freundin, Geliebte?

Alexandre Riabko, Leslie Heylmann / Foto @ Kiran West
Alexandre Riabko, Leslie Heylmann / Foto @ Kiran West

Xue Lin, Priscilla Tselikova  und vor allem, Florencia Chinellato bezaubern mit Leichtigkeit und Eleganz. Chinellato kommt in diesem Trio der Hauptpart zu. Sie ist das Bild, das Othello von Desdemona hat, und das sich schon durch den Namen erklärt: „Primavera“, der Frühling. Da wo alles beginnt. Rein, unberührt, unschuldig.


So also beginnt die Geschichte, die ihren ersten Höhepunkt in dem Liebes- Pas de Deux findet, währenddessen Othello Desdemona seinen wertvollsten Besitz anvertraut: ein Tuch. Das Tuch, mit dem alles Unheil seinen Lauf nimmt. Es ist ein wunderschön zarter Pas de deux zu dem Stück für Piano und Viola „Mirror in a Mirror“ von Avo Pärt. Auch hier herrscht verhaltene und doch so ausdrucksvolle Körpersprache vor, fehlen die klassischen Elemente von Freude und Glück wie Grand Jetés, völlig. Es ist ein sehr körperlicher Pas de Deux, nicht allein weil Jung es mit freiem Oberkörper,nur mit dem Tuch gekleidet beginnt, und- in doppeltem Sinne?- nackt beendet, sondern auch, weil beide sich fast die gesamten 10 Minuten lang immer berühren, sei es während der Hebungen, sei es wenn Mazon sich hingebungs- und vertrauensvoll an Jung lehnt, sich von ihm führen, ja ziehen lässt. Oder wenn sie um ihn herumgeht, ohne fast je den Hautkontakt zu verlieren. Die zarte, jugendliche Emilie Mazon, die an diesem Tag in der für ihre Mutter Gigi Hyatt kreierte Rolle debütierte, zeigt auf liebevolle Art, dass Desdemona weil sie ohne Zweifel ist was ihre Liebe betrifft, die emotional Stärkere ist. Carsten Jung ist ein Othello, in dieser Szene sichtlich mit Schwierigkeiten sich hinzugeben, ganz entgegen der Kraft und Ruhe, ja Selbstsicherheit, die er ausstrahlt. Wenn Desdemona sich ihm zu Füßen legt, hebt er sie mit einer zärtlichen Geste, die ob ihrer subtilen Intensität unter die Haut geht, auf. Wenn sie ihn liebevoll umarmt, hält er sie zwar sicher und schützend, aber doch um eine Armlänge von sich fort, wie um sie, die die Seine ist, ungläubig zu betrachten.

John Neumeier © Kiran West

Doch schnell wird diese Ruhe zu Verzweiflung und Wut, entpuppt sich die Selbstsicherheit als Fassade, die leicht zum Bröckeln zu bringen ist. Da wird Jung zum sich selbstzerfleischenden Berserker, was sich in Tanz und Ausstrahlung zeigt.

Nämlich wenn Alexandre Riabko als Jago beginnt ihn und alles was ihm wichtig ist, zu zerstören. Riabko füllt diese vielschichtige Rolle tänzerisch wie auch darstellerisch auf faszinierend unsympathisch, aber dennoch irgendwie widerwillig Verständnis hervorrufende Art, aus. Maskiert und als Tänzerin verkleidet macht er sich über Othello und sein Verschenken des Tuches lustig. Seine Frau Emilia, getanzt von der ausdrucksstarken Leslie Heylmann, schlägt, nötigt und tritt er. Er genießt Othellos Verzweiflung, labt sich daran, wie ihm auch Jacopo Bellussi als Cassio ins raffiniert gesponnene Intrigennetz geht. Immer wieder steht Riabko da, dreht die Hand nach oben und unten, bewegt dabei die Finger, als hielte er Fäden einer Puppe darin. Auch er wirft sich zu Füßen des abwesenden Othellos. Zuerst in wirklicher Verehrung, dann bittend, bettelnd, dann verachtend sarkastisch.

Zum Schluss dann, als Desdemona ermordet und Othello dem Selbstmord nahe ist, verlässt er die Szene. Schweigend. Denn alles ist getan, alles gesagt.

Mir geht es immer noch wie am Beginn… mir scheint noch immer lange nicht alles gesagt, gezeigt, gewürdigt.

Ja, dieser Text war eine „schwere Geburt“ und darum nicht wie gewohnt zeitnah, was aber nicht gegen die Rezensentin, sondern für das Stück sprechen sollte, das sicher nicht ohne Grund Kultstatus hat. Möge es bald wieder auf dem Spielplan erscheinen.

 

 

*Gast-Rezension von Birgit Kleinfeld, Hamburg, 28.5.2017 / besuchte Vorstellung 21.5.2017 

*Weitere Informationen auf der Homepage des Ballett Hamburg unter DIESEM Link 

*Alle Fotos @ Kiran West / Ballett Hamburg

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Ein Gedanke zu „Hamburg Ballett: Othello – Wenn das Herz von Bildern überquillt, können Worte schwer nur fließen …

  1. Herzlichen Dank für diesen wundervollen Artikel über ein wundervolles Ballett! Ich sehe es ganz genauso wie die Verfasserin.

    Es sind so viele schöne Sätze und Beobachtungen darin!

    „Es scheint noch unentschieden wo sie ihren endgültigen Platz finden wird. Dann sieht sie ihn, sehen die beiden sich, verlieben sich. Mazon und Jung machen daraus einen wahrhaft magischen Moment, wie sie sich immer wieder ansehen, wegschauen, ansehen und auf einander zugehen um sich endlich, fast zaghaft, mit den Händen zu berühren. Eine jener Gesten, die, zart wie sie sind, doch so viel Macht auch über den Zuschauer haben.“

    Es ist ein Ballett mit so vielen magischen Momenten und so vielen zarten und macchtvollen Gesten! … und Frau Kleinfeld hat das kongenial bezaubernd eingefangen.

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