Am Ende war sich das Publikum im gut besuchten Dortmunder Konzerthaus einig: Viel und langanhaltender Applaus und Bravorufe für die Solisten, den WDR-Rundfunkchor, dem WDR Funkhausorchester Köln und dem musikalischen Leiter des Abends, dem Dirigenten Giacomo Sagripanti. Das Klangvokal Musikfestival Dortmund startete auch dieses Jahr wieder mit einer konzertanten, und nicht allzu bekannten Oper, in die Konzertsaison 2017 und bewies mit der Auswahl des Stückes wieder einmal eine sehr glückliche Hand. Lawrence Brownlee ist sicher einer der zur Zeit weltbesten Rossinitenöre und stellte dies auch am gestrigen Abend überzeugend unter Beweis. Ebenso brillierte die Sopranistin Jessica Pratt als Gräfin Adele und erhielt schon nach ihrer ersten Arie hochverdiente Bravorufe und begeisterten Applaus vom Dortmunder Publikum.
Rossinis vorletzte Oper, Le Comte Ory, wurde im August 1828 in Paris uraufgeführt, bevor er 1829 mit Guillaume Tell sein Opernschaffen beendete. Im musikalischen und inhaltlichen Zenit des pikanten Meisterwerks steht der liederliche und nicht sehr moralische Graf Ory. Die meisten Männer sind auf Kreuzzug und ihre daheimgebliebenen Frauen sollen voller Keuschheit auf die Rückkehr ihrer Gatten warten. Gelangweilt schlagen sie in der Burg ihre Zeit tot. Die schöne Gräfin Adéle de Formoutier (Jessica Pratt) verfällt jedoch in tiefe Traurigkeit. Sie kann sich ihre Melancholie nicht erklären und sucht einen vermeintlich gottesfürchtigen und frommen Einsiedler auf, um durch ihn den Grund ihrer Traurigkeit zu erkunden. Der Einsiedler entpuppt sich jedoch als landesweit berüchtigter Frauenheld Comte Ory (Lawrence Brownlee) der die Abwesenheit der sich im Krieg befindlichen Männer für sich nutzen will. Kurz vor dem Eintritt in das Schloss, in das er sich als geistiger Bestand der Gräfin Zugang verschaffen will, wird er enttarnt und des Schlosses verwiesen. Doch er gibt nicht auf und erhält als Nonne verkleidet Einlass ins Gräfliche Schloss. Nur der Page Isolier (Jana Kurucova) kommt dem Comte Ory auf die Schliche und kann die von ihm zärtlich geliebte und ehrlich verehrte Gräfin vor der Entehrung bewahren indem er ihn und seine Gefolgsmänner durch einen geheimen Ausgang aus dem Schloss ins Freie führt.
Gioachino Rossini hat diese höchst amüsante Oper mit großartiger Musik ausgestattet. Die vielen virtuosen Arien, die meisterlichen und mitreißenden Ensembles, der große Melodienreichtum und die vorzügliche Charakterisierung der einzelnen Protagonisten machen diese Rossini-Oper zu einem wahren Vergnügen. Leider viel zu selten auf den deutschen Spielplänen zu finden, hätte sie es doch verdient, längst zum Repertoire vieler Opernhäuser zu gehören. Umso mehr geht mein Dank an das gesamte Team vom Klangvokal Musikfestival Dortmund, die es ermöglicht haben, diese Perle italienischer Opernkunst – und dazu noch mit so überzeugender Besetzung – ihrem Publikum präsentiert zu haben.
Monika Rydz als junge Bäuerin Alice und Stella Grigorian als Ragonde gestalteten ihre Partien gesanglich überzeugend und deuteten, wie alle Solisten dieser konzertanten Opernaufführung, ihre Rollen spielerisch und nachvollziehbar an. Georghe Vlad als Coryphee und Oleg Tsybulko als Gouverneur gaben ihren Partien die nötige und kraftvolle Statur. Roberto de Candia als Raimbaud dürfte nahezu als Idealbesetzung für diese Partie gelten. Seine bravourös vorgetragene Arie im zweiten Akt wurde zu einem der gesanglichen Höhepunkte des Abends. Ein ähnliches Attribut ist auch Jana Kurucova zu zollen, die in der Hosenrolle des Pagen Isolier zu begeistern wusste.
Die australische Sopranistin Jessica Pratt gestaltete ihr Rollendebüt als Adèle de Formoutiers, geradezu sensationell. Die weltweit gefragte Sängerin (unter anderem singt sie in der kommenden Saison 2017/18 in New York und in Paris wieder die Lucia aus Donizettis Lucia di Lammermoor) verwöhnte das Publikum geradezu mit ihrer Stimme, ihren Koloraturen, den exakten Spitzentönen und mit wundervoller sängerischer Gestaltungskraft. Ihr zur Seite als wunderbarer Comte Ory der amerikanische Star-Tenor Lawrence Brownlee. Stimmlich auf Weltklasseniveau, garnierte er seine Partie mit herrlichen mimischen Kabinettstückchen und konnte in Dortmund einen Triumph feiern. Bravo Mr. Brownlee!
Der bestens einstudierte WDR Rundfunkchor Köln, unter der Leitung von Robert Blank, wurde von Rossini musikalisch reich bedacht und meisterte seine Aufgabe hervorragend. Der musikalische Leiter des Abends, Giacomo Sagripanti, dirigierte das vorzügliche WDR Funkhausorchester Köln und das gesamte sängerische Ensemble temperament- und schwungvoll durch die Rossinische Partitur. Ihm war die Freude und auch der Spaß an dieser Komposition anzumerken und dies vermittelte er dem restlos begeisterten Publikum auch auf sehr eindringliche Weise.