Alexandra Goloubitskaia am Flügel hat vermutlich den größten Anteil am Gelingen der Opernabende der Maifestspiele 2020 in Wiesbaden, denn am Flügel ersetzt sie scheinbar mühelos ein ganzes Orchester. Zusammen mit den hochkarätigen Sängerinnen und Sängern fokussiert sie in der Produktion „Tristan und Isolde Ausschnitte“ den Blick auf die Dreiecksgeschichte zwischen Isolde, Tristan und König Marke.(Rezension der Vorstellung vom 31.5.2020)
Catherine Foster, seit 2013 Darstellerin der Brünhilde bei den Bayreuther Festspielen als Isolde, Andreas Schager, vermutlich zurzeit der meist gebuchte Heldentenor als Tristan, und René Pape, der den König Marke auch in Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung verkörpert, stehen mit Margarete Joswig (Brangäne), Thomas de Vries(Kurwenal) und Aaron Cawley (Melot) auf der Bühne und spielen in kompletten Szenen und Arien die Protagonisten.
Als Präludium gibt die Geigerin Lidia Baich mit Alexandra Goloubitskaia zu Ehren Ludwig van Beethovens, dessen Feiern zum 250. Geburtstag durch den Corona-Lockdown empfindlich gestört wurden, den ersten Satz der Kreutzersonate Nr. 9 in A-Dur und ein Albumblatt von Richard Wagner in einer Bearbeitung für Violine und Klavier von August Wilhelmi. Frau Baich ist seit dem 23. Februar 2017 mit Andreas Schager verheiratet. Sie spielt auf einer Geige aus dem Jahr 1732 von von Giuseppe Guarneri del Gesù „ex Guilet“, die ihr von der Österreichischen Nationalbank zur Verfügung gestellt wurde. In der Szene „Oh sink´ hernieder, Nacht der Liebe“ spielt sie die Violinstimme.
Der Kammermusik folgt das Vorspiel zur Oper „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner vom Band, was einem schmerzlich klar macht, dass man wegen der Abstandsregeln wohl noch länger auf das Orchester wird verzichten müssen. Die opulente Instrumentierung Richard Wagners mit großem Orchester, das zu sinfonischem Ausmaß ausgebaut ist und das die Gesangslinien nicht nur untermalt, sondern auch ausdeutet, kann Frau Golubitskaia mit dem Klavier nur begrenzt andeuten, aber nach ein paar Takten merkt man gar nicht mehr, dass die Begleitung nur am Klavier stattfindet, weil so perfekt und mit Herzblut gesungen wird, und weil das Klavier die wesentlichen melodischen Linien abbildet. Die Akkorde klingen zum Teil schärfer, weil die Obertöne des Klaviers anders sind als die der Orchesterinstrumente.
Nur das Englischhorn, das symbolisch das Gift verkörpert, das die Liebenden zueinander führt, habe ich schmerzlich vermisst.
Die vorletzte Inszenierung von „Tristan und Isolde“, die ich gesehen habe, war im Jahr 2017 die von Katharina Wagner in Bayreuth unter der Leitung von Christian Thielemann. Sie nimmt sich aus wie ein großes Ölgemälde im Vergleich zu Detailskizzen in schwarzer Tusche.
Anhand von fünf Ausschnitten fokussiert man die „Handlung in drei Akten“ nach dem Versroman des Gottfried von Straßburg auf das Dreiecksverhältnis zwischen Tristan, Isolde und König Marke, das in den Arien und Ensembles, bei denen die Handlungsträger Brangäne, Kurwenal und Melot zu Stichwortgebern reduziert werden, im gesungenen Text beschrieben wird.
Die Klage Isoldes: „Weh, ach wehe, dies zu dulden“ aus dem 1. Aufzug erzählt die Vorgeschichte. Wie immer in den Opern des 19. Jahrhunderts geht es um die Unmöglichkeit der Liebe im Umfeld politischer Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Konventionen. Catherine Foster ist zurzeit wohl die führende Isolde auf dem Zenit ihrer Karriere und verkörpert mit ihrem hochdramatischen Sopran die stolze Königstochter und Heilerin, die unsterblich in Tristan verliebt ist und ihn umso mehr hasst, weil sie ihn so sehr liebt.
Morold, Verlobter der irischen Königstochter Isolde wurde nach Kornwall entsandt, um von König Marke den fälligen Tribut einzufordern. Dabei wurde er von Markes Ziehsohn Tristan erschlagen, hat aber vorher Tristan mit seinem von Isolde mit Gift präparierten Schwert verletzt. Nur sie, eine Heilerin, kennt das Gegengift, und hat Tristan, der unter dem Namen Tantris ihre Hilfe in Anspruch nahm, gesund gepflegt. Als sie bemerkt, dass Tantris in Wahrheit der Mörder ihres Verlobten ist will sie ihn mit seinem eigenen Schwert selbst erschlagen, hat sich aber in dem Moment, als sein Blick den ihren traf, unsterblich in ihn verliebt. Der genesene Tristan reist nach Kornwall zurück und überzeugt seinen Ziehvater König Marke davon, zum Zeichen der Unabhängigkeit Kornwalls von Irland Isolde zu heiraten. Als er sie auch noch als Brautwerber für seinen König Marke aufsucht, ist das für sie die ultimative Kränkung. Die Konsequenz kann nur sein: „Tod uns beiden!“
Das berühmte Liebesduett „Oh sink´ hernieder, Nacht der Liebe“, das musikalisch keinen Zweifel daran lässt, dass es sich hier nicht nur um romantische Schwärmerei, sondern auch um einen handfesten Ehebruch handelt, in dessen Folge die Liebenden von König Marke und Melot, der die Falle arrangiert hat, erwischt werden, wird gefolgt vom der Quintett „Rette Dich, Tristan“ mit Kurwenal, Tristan, Melot, König Marke und Isolde. Es ist der dramatische Höhepunkt der Oper.
In König Markes „Tatest Du´s wirklich“ beklagt René Pape seine tiefe Kränkung und Enttäuschung über das Verhalten Tristans, den er wie einen Sohn aufgezogen hat und dem er als Freund zugetan ist. Herzergreifender kann man die Enttäuschung über den Treubruch Tristans nicht zum Ausdruck bringen. Pape hat die Rolle des König Marke an vielen Häusern, auch in Bayreuth, verkörpert und gestaltet Markes Klage mit unfassbarer emotionaler Tiefe.
Tristan provoziert mit seinem Ruf: „Melot, wehr dich“ bewusst seinen eigenen Tod. Damit wird der Zuschauer in die zweite Pause entlassen.
Tristan ist ausgestoßen und wird auf seiner Burg in der Bretagne von seinem Freund und Vertrauten Kurwenal gepflegt. Die Wunde, die Melot ihn zugefügt hat, wird ihn töten, er liegt, Isoldes Ankunft sehnlich erwartend, im Fieberwahn: „Wo ich erwacht“, doch Kurwenal kann nur melden: „Es ist kein Schiff zu seh´n.“ Andreas Schager ist nicht umsonst der derzeit meistbeschäftigte Heldentenor. Seine Stimme ist unverbraucht und metallisch strahlend, er hat aber auch die gestalterische Tiefe, die brünstige Lust des entfesselten Liebhabers im zweiten Akt und die zehrende Sehnsucht des schwer versehrten Verbannten im dritten Akt auszudrücken.
Isolde, die gekommen ist, Tristan zu pflegen, findet nur seine Leiche und löst sich in der Schlussszene „Mild und leise, wie er lächelt“, von der Welt. Hier zeigt Catherine Foster, dass sie auch die lyrische Tiefe hat, die Auflösung: „Ertrinken, versinken, unbewusst höchste Lust“, im „Liebestod“ zu feiern. Nach dieser Szene rührt sich erst einmal gar nichts, weil alle so ergriffen sind.
Der Beifall der überregional angereisten Besucher ist enthusiastisch, und auch die Sängerinnen und Sänger wirken überaus beglückt, ein solches Kunstwerk geschaffen zu haben.
Die Sänger agieren im Frack, Isolde und Brangäne in Konzertgarderobe, den Hintergrund bildet eine Leinwand, auf die etwas wie ein Wasserfall projiziert ist. Während des Liebesrauschs im 2. Akt zeigt man Liebesszenen und Kampfszenen aus Filmen (‚Children of Men‘ (2006, Alfonso Cuarón), ‚The New World‘ (2005, Terrence Malick) und ‚Les Amants réguliers‘ (2005, Philippe Garrel)), die in schwarz-weiß projiziert werden, in ihrer Banalität aber eher stören. Da hätte man sich besser auf Catherine Foster, Andreas Schager und Alexandra Goloubitskaia verlassen, die diese Szene vom musikalischen Ausdruck her so intensiv gestaltet haben, dass man dachte, sie fallen gleich übereinander her. Aufgrund des Hygienekonzepts mussten die Protagonisten allerdings mindestens eineinhalb Meter Abstand halten.
Die Aufführung kann man als semi-konzertant bezeichnen, denn die Ensembles werden von der Personenführung in Laufenbergs Regie ausgedeutet, wobei der Abstand von 1,5 m natürlich immer eingehalten wird. Beim Liebesrausch im 2. Akt folgt man gezwungenermaßen dem Regieansatz von Heiner Müller (Bayreuth 2010) und Patrick Kinmoth (Köln 2019), bei dem Tristan und Isolde sich zwar im selben Raum aufhalten, aber einander nicht physisch berühren. Die Liebenden sind erst im Tod vereint.
Das ZDF war bei der Derniere und hat Uwe Eric Laufenberg, Catherine Foster und Andreas Schager interviewt (LINK):
Die Wiesbadener Maifestspiele wurden nach dem Vorbild Bayreuths 1896 erstmalig veranstaltet und lediglich von 1939 bis 1950, bedingt durch den 2. Weltkrieg, ausgesetzt. Mehr dazu –LINK-.
Im Gegensatz zu den Bayreuther Festspielen hat die Kurstadt Wiesbaden ein Drei-Sparten-Haus, das bis auf die Sommerferien durchgehend bespielt wird.
Als sich in Hessen Lockerungen unter strengem Hygienekonzept abzeichneten hat Intendant Uwe Eric Laufenberg das Programm der Festspiele unter Berücksichtigung der Restriktionen, die sich aus dem Abstandsgebot für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Sängerinnen und Sänger und die Musiker des Orchesters ergeben, an die Erfordernisse angepasst und so für die geplanten Opern ein neues Format „Auszüge“ entwickelt, bei dem das Orchester durch ein Klavier ersetzt und die Handlung auf Kernszenen mit wenigen Sängerinnen und Sängern mit angepasster Personenführung fokussiert wird.
Das Sicherheitskonzept betrifft auch das Publikum, denn von den 1049 Plätzen werden nur 200 besetzt. Im Gebäude ist Maskenpflicht und jede zweite Reihe bleibt frei, zwischen zwei fremden Personen bleiben drei Sitze unbesetzt, das Foyer ist gesperrt, Catering gibt es nur draußen, und alle Besucher müssen beim Kartenkauf ihre Kontaktdaten mitteilen, damit im Fall einer Corona-Infektion im Publikum alle Besucher informiert werden können, dass sie sich in Quarantäne begeben sollen und sich testen lassen.
Im Opernbetrieb sind Planungen nur mit sehr langen Vorlaufzeiten möglich, aber Uwe Eric Laufenberg hat jetzt schon gezeigt, dass man grundsätzlich auch mit reduziertem Ensemble und ohne Chor und Orchester beziehungsweise mit kleiner Besetzung große Kunst schaffen kann.
Vorstellungen gibt es auch nach dem Ersatzprogramm der Maifestspiele zunächst bis zum 21. Juni 2020, weitere Informationen folgen.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / RED: DAS OPERNMAGAZIN
- Staatstheater Wiesbaden
- Titelfoto: Alexandra Goloubitskaia (Klavier) und Andreas Schager/Maifestspiele Wiesbaden 2020/Foto: Andreas Etter
- Alle Fotos von den Maifestspielen 2020 /Tristan und Isolde/ Fotos @ Andreas Etter
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