Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair

„Fidelio“ in der Hamburger Staatsoper: Freude hat einen Namen – Durchweg begeisternde Leistungen

Simone Schneider / Foto @ Arno Declair
Staatsoper Hamburg / FIDELIO/ Simone Schneider / Foto @ Arno Declair

Am 28. Januar 2018 hatte Beethovens einzige Oper in der Inszenierung von Intendant George Delnon Premiere an der Staatsoper Hamburg. DAS OPERNMAGAZIN  berichtete. Nun erlebte Fidelio eine Wiederaufnahme mit Protagonisten, die sich fast gänzlich von denen der Premierenbesetzung unterscheiden.  (Rezension der WA vom 9.4.2019)

Nur Bariton Kartal Karagedik ist in der Rolle des Don Fernando wieder dabei. Und Simone Schneider verdingt sich erneut in der Partie Leonore/Fidelio als Mann verkleidet als Bursche bei Kerkermeister Rocco in dem Kerker, in dem ihr Gatte Florestan als unschuldiger, politischer Gefangenen festgehalten wird. Isoliert von allen anderen. Es gelingt Leonore tatsächlich, ihn zu befreien. Dank des Ministers und Freund Florestans Fernando, wird willkürliche Grausamkeit beendet und auch den anderen Gefangenen die Freiheit geschenkt. Auf dem Weg zur Rettung ihres eingesperrten Gatten jedoch muss Fidelio/Leonore die Zärtlichkeiten vor Roccos verliebter Tochter Marzelline über sich ergehen lassen. Diese wiederum wehrt sich gegen die Avancen des Pförtners Jaquino.

Wie im Premierenbericht bereits ausführlich beschrieben, beschäftigt sich Delnons Inszenierung, ohne allzu eindeutige Hinweise auf den Nationalsozialismus, mit der Frage: Was ist deutsch? Es gibt abgesehen von der versuchten Vergewaltigung Marzellines durch Jaquino, die Don Pizzaro augenscheinlich unauffällig im Bühnenhintergrund vollendet, und einigen plakativ platzierten verletzten Gefangenen, kaum Provokantes. Alle Andeutungen bleiben subtil und relativ bieder. Abgesehen vielleicht von der Videoprojektion eines sich nähernden Waldes samt Reh zu Beginn und eines Waldes in dem das Reh durch einen weißen Wolf ersetzt wird, in der „Vergewaltigungsszene“. Doch brachte der zweite Besuch ein Detail ins Bewusstsein, welches beim ersten unterging. Noch vor den ersten Takten der Ouvertüre sehen wir Rocco an einer mechanischen Schreibmaschine sitzen und auch am Ende sitzt er da, vor dem ganz in weiß gekleideten Chor, der Florestan und Leonore aus dem Fokus der Zuschauer verdrängt hat und schlägt dann, in einer Geste der Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammen. So stellt sich die Frage, die vielleicht eine gewisse Tiefe in Delnons Sichtweise offenbart: Hat Rocco alles nur erdacht, erträumt? Wird Freiheit für alle immer Fiktion bleiben?

Christopher Ventris, Falk Struckmann, Simone Schneider und Werner Van Mechelen / Foto @ Arno Declair

Wie dem auch sei, Simone Schneider, erlaubt ebenfalls eine neue, noch positivere Sichtweise auf ihre Leistung als Fidelio/Leonore. Von Anfang an ist sie die furchtlose Heldin, bereit, für wahre „Gattenliebe“ alles zu tun. Alles ist glaubhaft. Sei es die starke Willenskraft oder der Widerwille gegen Gewalt und Ungerechtigkeit an sich und Don Pizzaro im Besonderen. In ihrer großen Szene „Abscheulicher, wo eilst du hin?“ offenbart Schneider uns vor einem schwarzen Vorhangprospekt jede Einzelheit von Leonores Gefühlen durch Gestik, Mimik und vor allem auch, Stimme. Ihr Sopran ist durchweg mit einer Selbstverständlichkeit geführt, der staunen lässt. Sämtliche Übergänge, seien es die der Tempi-, Lautstärke, oder auch Tonhöhen, meistert sie ohne Probleme. Diejenigen, die aufgrund einiger etwas zu metallener Klänge in der Mittellage, Schärfe in den Höhen befürchten, belehrt sie eines besseren. Ihre Töne sind klar strahlend oder auch zart und das Ohr umschmeichelnd. Sie ist in die Rolle hineingewachsen und wird ihr in jeder Beziehung gerecht.

Eric Cutlers Florestan berührt und begeistert in erster Linie durch intensives Spiel und sein erster Ton von „Gott, welch Dunkel hier!“ raubt dem Publikum ob seiner Ausdauer augenblicklich den Atem. Doch er macht Cutler keinesfalls atemlos. Nur an wenigen Stellen wäre etwas mehr Volumen und Kraft wünschenswert, doch macht er diese kleinen Schwächen durch Ausstrahlung und Ausdruck sofort wieder wett. Und sein Duett mit Leonore „Oh, namenlose Freude“ ist voll von Kraft, Hoffnung und Gänsehaut verursachender Innigkeit.

Auch Jochen Schmeckenbecher als Don Pizarro bedient sich seiner Bühnenpräsenz und seiner Fähigkeit, auch durch kleine Gesten und mit intensiven, authentischem Minenspiel, um kleine stimmliche Widrigkeiten, die ihn gestern zu quälen schienen, vergessen zu lassen.

Er ist jeder Zoll der Herrscher über sein Reich, das Gefängnis und da Wilhelm Schwinghammer als Rocco ebenfalls ein überzeugender Darsteller ist, bot sich so manche spannungsgeladene Szene zwischen Herrn und Bediensteten. Zeigt Schwinghammer schauspielerisch viele Facetten eines Mannes, der gezwungen ist, vieles zu tun, das er nicht will und sich endlich wehrt, so besticht er daneben mit einem Bass, der nicht anders als charismatisch genannt werden kann. Es ist eine wandlungsfähige Stimme, die ihn befähigt, als Rocco, wie aber auch als strenger Sarastro (Zauberflöte) oder fast schelmischer Figaro (Figaro Hochzeit) zu glänzen.

Staatsoper Hamburg/FIDELIO/ Foto @ Arno Declair

Tenor Sascha Emanuel Kramer hat als Jaquino Gelegenheit die Schönheit seiner Stimme in Maßen und seine Freude an der Darstellung von, nicht ausschließlich sympathischen Charakteren, voll und ganz zu offenbaren.

Kartal Karagedik als Don Fernando macht aus der kurzen, wenn auch wichtigen Partie, stimmlich wie auch im Spiel das Beste, das geht.

Katharina Konradi dann, die gestern als Marzelline ihr Rollendebüt gab, zog mühelos mit mädchenhaften Charme, aber auch der Fähigkeit zu tiefer Verletztheit in ihren Bann. Es lässt lächeln, wenn sie über die Bühne tanzt und mit glockenreinem Sopran flötet: „Ich werde glücklich sein.“ Und es berührt tief, wenn sie im Finale, während alle um sie herum die Liebe und die Freiheit feiern, lange Zeit regungslos am Stutzflügel sitzt. Ihr Gesang geht ihr in allen Lagen mit einer Leichtigkeit von den Lippen, die innere Freude erweckt. Freude darüber, sie zu erleben und auch darüber, dass dies noch des öfteren der Fall sein wird.

Natürlich soll aber auch der momentan ausgezeichnet gestimmte Chor der Hamburgischen Staatsoper nicht unerwähnt bleiben und heute da besonders Tenor Thomas Gottschalk, dem es wirklich gelang aus dem kurzen Auftritt des 1. Gefangenen, eine echte Rolle zu machen.

GMD Kent Nagano und sein Philharmonisches Staatsorchester Hamburg rundeten den Abend mit einer vor Spannungsbögen überbordenden Ouvertüre, bis in zum ergreifenden Finale, mit einer zu Recht umjubelten Leistung ab.

 

 

 

  • Rezension von Birgit Kleinfeld / RED. DAS OPERNMAGAZIN
  • Homepage der Staatsoper Hamburg
  • Titelfoto: Falk Struckmann, Simone Schneider, Christopher Ventris, Kartal Karagedik, Thomas Ebenstein, Mélissa Petit und Chor der Hamburgischen Staatsoper / Foto @ Arno Declair

 

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