Die Last der Unsterblichkeit – „Die Sache Makropulos“ an der Staatsoper Berlin

Staatsoper Berlin/MAKROPULOS/Marlis Petersen (Emilia Marty) /Foto: Monika Rittershaus

Im Prag des ausgehenden 16. Jahrhunderts herrschte ein Kaiser, dessen Aufmerksamkeit weniger seinem politischen Amt und der Herrschaft über das mächtige Habsburgerreich galt, als vielmehr der Vision, Prag und die Burg auf dem Hradschin zu einem Zentrum für Kunst und Wissenschaft zu verwandeln, in der sich Künstler, Mathematiker, Astrologen und Alchimisten gleichermaßen ihre Schaffensstätte einrichten. Der Aufbau seiner heute noch bewunderten Kunst- und Wunderkammer, in der Kaiser Rudolph II. zahllose Kunstschätze anhäufte, galt nicht nur als exzentrischer Zeitvertreib, sondern auch als wichtiges Mittel zum Verständnis der Welt und Bewahrung ihrer Schätze. Seltene Objekte, heute im Wiener Kunsthistorischen Museum zu bewundern, wurden zu einer ebenso beeindruckenden wie einmaligen Sammlung zusammengestellt: Reich verzierte Nautiluspokale, rare Narwalhörner, vergoldete Automatenuhren, prunkvolles Kunsthandwerk und visionäre Instrumente zur Erforschung des Sternenhimmels. (Besuchte Vorstellung am 27.02.2022)

 

Darüber hinaus beschäftigte Rudolph II. eine Schar von brillanten Köpfen, allen voran der Mathematiker Johannes Kepler, der Astronom Tycho Brahe und der Magier John Dee. In einem Zeitalter in dem die Grenzen zwischen Magie und Wissenschaft noch fließend sind, suchten diese Männer neben wissenschaftlichen Studien auch die Geheimnisse der Alchemie zu erforschen, die sich neben der Verwandlung einfacher Metalle in Gold auch mit der Suche nach Erlangung des ewigen Lebens beschäftigt.

Der Frage, was passiert, wäre das Experiment, einen lebensverlängernden Trank zu brauen, geglückt, geht Leoš Janáčeks Oper „Die Sache Makropulos“ (tschech. „Věc Makropulos“) nach. Basierend auf dem gleichnamigen Schauspiel von Karel Čapek stellt sich die 1926 uraufgeführte Oper essentiellen Fragen – nicht nur nach den Möglichkeiten der Unsterblichkeit – vielmehr auch dem Sinn und der Fragilität des menschlichen Lebens. Diesen Fragen geht Claus Guth in seiner Neuproduktion an der Staatsoper Berlin nach.

Staatsoper Berlin/MAKROPULOS/Marlis Petersen , Jan Martiník, Tänzerin, Ludovit Ludha, Bo Skovhus /Fotos: Monika Rittershaus

Mittelpunkt der Oper bildet Elina Makropulos, der als junges Mädchen als Versuchskaninchen besagte Tinktur eingeflößt wurde und seitdem, bereits 337 Jahre alt, unter verschiedenen Namen, aber immer mit den Initialen E. M., mehrere Leben in einem lebt. Ob als gefeierte Opernsängerin Emilia Marty oder als längst verstorben geglaubte Ellian MacGregor – immer mehr Persönlichkeiten werden während des Erbschaftsstreits offenbart, der nur als vordergründige Handlung dient. An diesem Streit hat sie ein merkwürdig großes Interesse und kann auch bislang unbekannte Details beitragen. Doch eigentlich ist sie nur auf der Suche nach dem Rezept für den Trank, dass sie weitere 300 Jahre leben lassen soll und welches sie damals ihrem Testament beigefügt hat.

Regisseur Claus Guth lässt die Handlung in die Entstehungszeit der Oper aufleben und sofort taucht man in die Welt des mystischen, aber dennoch modernen und geschäftigen Prags der 1920er Jahre ein. Unweigerlich denkt man an die Werke Kafkas oder an Meyrinks „Golem“. Im geschäftigen Treiben der von braunen Aktenschränken gesäumten Kanzlei bewegen sich deren Mitarbeiter*innen  unter der Choreografie Sommer Ulricksons subtil hypnotisierend aber immer im Rhythmus Janáčeks einnehmender Musik. Spannend sind hierbei die vielen zeitlichen und räumlichen Überlagerungen, Rückblenden und parallele Handlungsverläufe, die sich durch die gesamte Inszenierung ziehen und die stets mit der Musik einhergehen und von ihr verstärkt werden.

E.M., Emilia Marty, tritt als verführerische Operndiva mit blonden Wasserwellen auf und manipuliert im Laufe der Oper wie eine Lulu oder Pandora einem Mann nach dem anderen, um ihrem Ziel näher zu kommen. Ihr erster Auftritt strotzt von Selbstbewusstsein, unbedingtem Lebenswillen und der Selbstverständlichkeit, sich alles zu nehmen, was sie will.

Die Sopranistin Marlis Petersen charakterisierte in dieser neuen Rolle eine vielschichtige, zerbrechliche, aber auch zielstrebige Frau, deren Lebenserfahrung ihr ganzes Handeln umgibt. Neben einnehmender Rollengestaltung ist es ihre zeitlose Stimme, die sie für die Verkörperung dieser Persona so prädestiniert erscheinen ließ. Ihr zarter und schlanker Sopran, erklang mit jugendlichem Esprit gepaart mit der formvollendeten Technik einer erfahrenen Sängerin.

Mit ihr trat ein wunderbar homogenes Ensemble auf, allen voran Bo Skovhus, der mit eindringlich kraftvollem Bariton den geprellten Jaroslav Prus sang, sowie Jan Martiník als hyperaktiver Anwalt Dr. Kolenatý und eine liebliche Natalia Skrycka als angehende Künstlerin Krista.

Staatsoper Berlin/MAKROPULOS/Marlis Petersen, Tänzer:innen/Foto: Monika Rittershaus

Trotz des mysteriösen, rätselhaften Sujets ist der Zugang zur Handlung durch das mitunter kryptische Libretto erschwert und erfordert ein eindrucksvolles und packendes Bühnenbild, das als verbindendes Element agiert. Étienne Pluss gelang dies mit der szenenweisen Verschiebung der Bühne und sowohl räumlichen als auch zeitlichen Unterbrechungen: In einem weißen, klinisch kahlen Raum kann E.M. durchatmen – sie legt alle Kostüme ab, die bloße Maskerade sind, und kann sich auf ihre nächste Rolle einstellen. Deutlich werden hierbei ihre zunehmende Müdigkeit und ihr Überdruss dem Leben gegenüber. Der Lebenshunger ist gestillt und die einst mit unendlich vielen Möglichkeiten lockende Unsterblichkeit macht nun einer Monotonie Platz – das Leben wird zur Last. Der Zahn der Zeit nagt gehörig an ihrer psychischen Gesundheit – nach außen eine von allen gefeierte und bewunderte Sängerin – aber innerlich nur eine leere Hülle, ein Schatten ihrer Selbst, die sie als groteske Karikatur erscheinen lässt.

Dem Sujet der Oper merkt man wenig an, dass das Theaterstück von Karel Čapek ursprünglich eine Komödie war. Durchs Janáčeks Aufarbeitung bekommt „Die Sache Makropulos“ eine überaus tragische, existenzielle Tiefe. Dennoch gelingt es Guth immer wieder die irrsinnige Komik des Werks durchscheinen zu lassen und so wird das Ganze zeitweilen zur Tür-auf-Tür-zu-Komödie, ohne jedoch zu sehr zu überzeichnen. Stattdessen gewinnt die Interpretation an dieser tragikomischen Färbung.

Das Wechselbad, die Vielschichtigkeit und Zerrissenheit der Protagonistin haben Dirigent Sir Simon Rattle und die Staatskapelle Berlin vortrefflich musikalisch umgesetzt. Sie spielen mit den Gegensätzen und verwandeln die Musik in wahres Gold. Mit überquellendem Esprit und einer transparenten Ausführung der so komplexen Janáček-Partitur ist ihnen eine Interpretation gelungen, die in ihrer schillernden Stahlkraft ihresgleichen sucht.

Das Rezept zur Lebensverlängerung ist unwiederbringlich verloren. Doch statt Trauer darüber schließt Emilia Marty Frieden. Sie öffnet die Tür ins Jenseits, aus der gleißendes Licht dringt. Erleichterung macht sich breit und sie blickt dem Ende ihres Lebens hoffnungsvoll entgegen. Der Tod birgt für sie keine Schrecken, vielleicht aber ein neues Abenteuer.

 

  • Rezension von Alexandra Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Berlin / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Berlin/MAKROPULOS/Marlis Petersen (Emilia Marty), Tänzer/-innen/Foto: Monika Rittershaus

 

 

 

 

 

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