„Die heil’ge deutsche Kunst!“ – Die Meistersinger (von Nürnberg) der Bundesrepublik Deutschland“ an der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper Unter den Linden/MEISTERSINGER VON NÜRNBERG/Foto: Bernd Uhlig

Kurz vor Weihnachten brachte die Staatsoper Berlin die Produktion der Meistersinger von Nürnberg unter der Regie von Andrea Moses zum wiederholten Mal auf die Bühne. Ihre Premiere feierte diese anlässlich des 25-jährigen Gedenken der deutschen Wiedervereinigung am 3. und 4. Oktober 2015, damals aufgrund von Verzögerungen der Renovierungsarbeiten des Hauses unter den Linden noch im Schillertheater. Dieser Festtag der deutschen Einheit scheint der Inszenierung so eingeprägt zu sein, dass er selbst bei einer neun Jahre später statthabenden Aufführung zu anderer Jahreszeit im Vordergrund zu stehen scheint. Die bleibende Aktualität mag zwar unbestritten sein, ob es dem Werk jedoch umfassend gerecht wird, mehr einer offiziellen und dadurch bei allem versuchten Witz leicht biederen Gedenkveranstaltung als einer Wagner’schen Oper zu gleichen, sei dahingestellt. Der diesmalige Aufführungszeitpunkt im festlichen Advent schien immerhin gesanglich abzufärben, ein Sängerfest: Bei Christopher Maltman’s überragendem Hans Sachs könnte man meinen, etwas vom inkarnatorischen Kern des Weihnachtsfestes zu hören. (Rezension der Vorstellung v. 22.12.2024)

 

 

Ein eklektischer Versuch der Darstellung deutscher Identität

Die Behandlung des Wesens und der Bedeutung der deutschen Kunst, die im Aufruf zu ihrer Wertschätzung und Bewahrung mündet, sowie davon ausgehend die Frage nach der deutschen Kultur, gar „dem“ Deutschen als solchem bilden ein wesentliches Zentrum der „Meistersinger“, war doch die historische Zunft in ihrem Selbstverständnis, ihrer ideellen Wirkung, auch hinsichtlich der in den Liedern behandelten Themen zwar maßgeblich reformatorisch, doch eben im Sinne der deutsch-lutherischen Reformation und so wesentlich deutsch. Die Sorge, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation könnte seine Substanz, sein gut gepflegtes und geordnetes kulturelles Erbe verloren gehen, verweist auf die auch dem Werk Wagners zugrundeliegende Reflexion über den Stellenwert der Kunst für ihre Nation, ihren wesentlichen Wert als Teil der Bildung und Bewahrung von Tradition und Identität. Obgleich die Tradition der Meistersinger letztlich nicht bewahrt werden konnte und das heutige Deutschland jenem des 16. Jahrhunderts nur wenig gleicht, ist es so nicht nur naheliegend, sondern durchaus zu begrüßen, dieses das Werk durchziehende Thema auch in einer in die Gegenwart transferierten Produktion in den Mittelpunkt zu stellen. Politisch wie kulturell ist die Frage nach dem, was Deutschland und Deutschsein ausmacht, weiterhin aktuell und brisant, wenn auch in ihrer Klärung aus (leider nicht nur) historischen Gründen durchaus riskant, wie sich auch exemplarisch an der Rezeptionsgeschichte der Oper und ihren Abgründen zeigt.

Andrea Moses greift diese Frage in ihrer Inszenierung auf, zeigt das heutige Deutschland, das von gesellschaftlich divergierenden Gruppierungen sehr konträr verstanden und gestaltet werden will, und beantwortet jene schließlich mit einem dezenten Verweis auf die bereits innerhalb Deutschlands existierende Vielfalt, die als solche geschätzt werden muss, um nicht zu zerfallen, aber auch der unausweichlichen Anerkennung des Fremden und Anderen, um nicht der Selbstüberhöhung und Diskriminierung zu verfallen. Bereits der Kreis der Meistersinger erweist sich als überaus divers, es finden sich darin edle Herren der alten Schule, extravagante Künstler, der bodenständige, über alles Gehabe erhabene Hans Sachs, aber auch der dem Klischee des pedantischen deutschen Bürgers entsprechende Beckmesser.

Walther von Stolzing scheint nicht in diese Gruppe zu passen, wirkt jedoch auch nicht wie ein junger Ritter aus dem Frankenland, sondern eher wie ein betont und peinlich Junggebliebener, der nicht zum Johannisfest, sondern am 1. Mai auf seiner Harley zum Bikertreff nach Nürnberg gekommen ist. In der nächtlichen Eskalation prügeln sich edle Bürger mit einer Gruppe von Punks, auf der Festwiese versammelt sich die gehobene Gesellschaft in Abendkleidung gemeinsam mit Vertretern der traditionellen Zünfte und Feierlustigen in Tracht. Auch sonst scheint es, als wollte die Regisseurin durch ein Potpourri an deutschen Details die Vielfalt des Landes einfangen, jedoch ergibt sich dadurch eher ein disparates Bild, das mehr den Eindruck eines klischeehaften Tourismusvideos erweckt. Wenn im Hintergrund der Sängerversammlung ein übergroßer Mercedesstern kreist, obwohl Mercedes weder in Bayern noch in der Bundeshauptstadt seinen Sitz hat, die Namen der Meistersinger auf einer Sponsorentafel prangen oder als Leuchtreklamen die nächtliche Stadt erhellen, Fußballfans mit Fahnen von Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin in das Getümmel stürmen oder hinter dem fränkisch angehauchten Fest das Berliner Schloss zu sehen ist, wird zwar klar, dass es hier um Deutschland geht – die von Anfang bis Ende beinahe überpräsente Flagge sollte dies ohnehin deutlich gemacht haben. Jedoch stellt sich für jene, die doch dem Werk selbst folgen wollen, die Frage, welcher Ort denn nun als Schauplatz dieser eigentlich sehr eindeutig lokalisierten Handlung fungieren soll.

Hier gilt’s der Kunst“?

Staatsoper Unter den Linden/MEISTERSINGER VON NÜRNBERG/Foto: Bernd Uhlig

Insgesamt zielt die Inszenierung in ihrer Gestaltung vorrangig auf die humorvolle, gar komische Ebene des Stücks ab. Diese ist in jenem, besonders im Vergleich zu den meisten anderen Wagner-Opern, durchaus angelegt, jedoch mehr in Form von klugem Wortwitz, subtilen Anspielungen und zwischenmenschlicher Komik, deren Witz im Amüsement über die Eigenheiten des anderen liegt, dass dieser nicht immer als solches verstehen mag. Gelegentlich gelingt die Umsetzung und entstehen unterhaltsame Momente, allzu oft kippt es jedoch vom An- zum Aufgelegten, sodass die Gefahr des Platten nicht weit ist und man sogar den Eindruck gewinnen könnte, der deutsche Humor sei tatsächlich nicht besser als sein Ruf. Wenn nun aber pünktlich zum Vers „Keiner so wie nur er zu werben weiß!“ die Sponsorentafel auf die Festbühne geholt wird, ist es in doppeltem Sinne gar zu plakativ. Dies ist besonders hinsichtlich der zwar mehrfach angedeuteten, jedoch nicht zu Ende geführten politischen Aussage bedauerlich.

Zwar werden durch verschiedene Elemente einige Aspekte angeschnitten, eine durchtragende Positionierung ergibt sich allerdings nur an der Oberfläche. Am konkretesten wird es in dieser Hinsicht zu Ende, wenn der „welsche Dunst und Tand“ mit einer rechtsextremen Gruppe mit Reichsfahnen identifiziert wird, die mit ihrer radikalen Ideologie die Bundesrepublik zu unterminieren droht. So sehr dieser Interpretation im Kern und mit Nachdruck zuzustimmen ist, reicht diese Szene nicht, um in der Inszenierung im Ganzen eine tiefere, auch politische Auseinandersetzung zu erkennen. Dass es in dieser Oper neben der Frage nach der deutschen Nation und Kultur auch und womöglich sogar vorrangig um die Kunst geht, gerät zu sehr in den Hintergrund. Ursprünglich als heiterer Kontrast zu „Tannhäuser“ gedacht, entwickelten sich die „Meistersinger“ doch zu einem Werk eigener Größe, das zwar weiterhin Ähnlichkeiten aufweist, bestehend unter anderem in über Liebe singenden Rittern und der Suche nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit, jedoch auf gänzlich verschiedene und bedeutend zentralere Weise das Thema der Kunst in den Mittelpunkt rückt, besteht doch der Hauptkonflikt in der Diskussion über die richtige Form der Kunst. Der Verein der Meistersinger gründet sich auf einer streng regulierten Art des Singens, deren selbst die Mitglieder, wie die Merker sehr deutlich anzeigen, kaum mächtig sein können. So unbestritten diese hohe Kunst sein mag, werden ihre Grenzen doch rasch aufgezeigt, indem Walthers Gesang, der wahrlich nicht als schlecht bezeichnet werden kann, bei den meisten auf Ablehnung stößt. Nur Hans Sachs erkennt in dieser ihm unbekannten, noch nicht zur Gänze verständlichen Form eine hohe Kunst und bewirkt so gewissermaßen eine Weiterentwicklung des Meistergesangs durch Integration des Neuen in das Format des Gewohnten. Dieser auch für die Kunst weitreichende Schritt, der tiefgehend ergründet werden könnte, wird von Andrea Moses jedoch als solcher kaum aufgegriffen, sondern stattdessen, der Dynamik der Inszenierung eingefügt, rein für die Frage nach der Identität Deutschlands in Anspruch genommen. Darin liegt zwar gesellschaftspolitisch ein nicht unbedeutender Wert, doch es geht eine wichtige Dimension des Stücks in der interpretierenden Darstellung verloren, die gleichzeitig durch Musik und Text so präsent ist, dass bei Betrachtung der Gesamtheit der Aufführung hinter dem Potenzial zurückbleibende Lücken entstehen.

Ein Sachs ward heut geboren: Glanzvolles Stimmenfest

Doch selbst eine thematisch etwas zu eng festgelegte und dabei wenig tiefschürende Inszenierung vermag es nicht, den Kern, die Musik und den Gesang, gänzlich zu überdecken. Dies ist vor allem Christopher Maltman zu verdanken, welcher nun in seiner ersten ganz großen Wagner-Partie debütierte: Er formte aus dem Stand heraus den Sachs aus einem Guss, stimmlich eloquent und wohlklingend schien ihm diese Rolle perfekt zu liegen. Auch darstellerisch wusste er mit facettenreicher, leicht humorvoll angelegter, zugleich natürlich anmutender Bühnenpräsenz zu glänzen.

Von der Premierenbesetzung erhalten blieb Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing. Mit strahlend klarem Timbre, fast gänzlich ohne Vibrato, und gewohnter Sicherheit trug seine Tenorstimme bis in die letzte Ecke der Staatsoper. Er ließ dabei spüren, dass es sich um seine Paraderolle handelte. Und auch wenn man ihm den schönen Klang kaum absprechen kann, es bleibt doch zu beckmessern, dass dieser über die Stunden etwas gleichförmig anmutete. Dieser Stolzing wirkte wahrlich etwas zu stolz, denn er blieb stets unnahbar. An gesanglicher wie darstellerischer Gestaltung ließ Vogt die tieferen Nuancen des Charakters seiner faszinierenden Figur missen.

Einen starken Kontrast dazu bildete Martin Gantner als Sixtus Beckmesser, der gekonnt ungewollt wirkend für komische Momente sorgte und auch stimmlich die penible Art des ikonischen Meistersingers enthusiastisch und charakterstark porträtierte. Siyabonga Maqungo bewies als David erneut sein hohes gesangliches Niveau. Mit großer Klarheit und Frische im Ton verkörperte er den euphorischen Lehrbuben von Sachs und brachte überzeugend dessen Streben nach Aufnahme in die Zunft der Meistersinger zum Ausdruck. Auch Hanna-Elisabeth Müller, im glitzernden Abendkleid eine Eva, die klar der gehobenen Gesellschaft zugehört, hier aber wohl nicht an einem edlen Ritter, sondern einem freiheitsliebenden Junggesellen interessiert zu sein schien, begeisterte mit vollen, zugleich mit spielerisch-mozartschen Zwischentönen ausgestatteten Klangfarben.

Alexander Soddy hat sich zunehmend in der ersten Riege der etwas weniger bekannten Dirigenten insbesondere im Wagner/Strauss-Fach etabliert. Bei den großen Premieren ist sein Name (noch) kaum zu finden, für orchestral beglückende Wiederaufnahmen ist dieser jedoch von London bis zur Wiener Staatsoper hochgeschätzt. So bewies Soddy auch an der Berliner Staatsoper erneut, wie sehr er sein kapellmeisterliches, musikdramatische Handwerk doch versteht: Diese Meistersinger glückten ihm mit frischem, leichtem Klang in raschen, nie überhetzten Tempi, die zugehörigen Chorszenen waren fein abgestimmt und bestens disponiert. Soddys Wagner unterhält und berührt zugleich, ohne dass er sich als Dirigent zu sehr in den Vordergrund rückt. Die Meistersinger als Ensemblestück, ganz so, wie Wagner sie erdacht hat.

Keine Sekunde Langweile und doch beglückend

Staatsoper Unter den Linden/MEISTERSINGER VON NÜRNBERG/Foto: Bernd Uhlig

Obwohl es der Inszenierung an Tiefgründigkeit mangelt, zahlreiche Witze eine zu flache Wirkung haben oder schlichtweg platt wirken und das zentrale Thema der Kunst gestalterisch über das Unausweichliche hinaus ausgespart wird, entsteht im Gesamteindruck eine unterhaltsame Aufführung, bei der es ratsam ist, sich entweder auf Musik und Text zu konzentrieren oder die intellektuellen Ansprüche zu verringern, um einen für Wagner’sche Verhältnisse locker-leichten Opernabend zu erleben. Besonders ersteres drängt sich durch die herausragende musikalische Darbietung auf, wobei besonders Maltmans wahrhaft meisterlicher Sachs wünschen lässt, ihn noch oft in dieser Rolle erleben zu dürfen. Eventuell einmal in einer festlichen Opernpremiere, gerne dann auch einmal mit Alexander Soddy am Pult.

 

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