Gestern (7. Februar 2019) hatte eine der bekanntesten und populärsten Opern der Musikgeschichte, in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog und in Bühnenbild und Kostümen von Mathis Neidhardt, ihre bejubelte Wiederaufnahme. George Bizets Oper CARMEN basiert auf der Novelle von Prosper Mérimée, in der er die, dank der Oper, weltweit bekannte Geschichte de freiheitsliebenden Zigeunerin und Zigarettenverkäuferin Carmen erzählt. Sie ist in all ihren Entscheidungen selbstbestimmt, liebt wen sie lieben will, egal welche Konsequenzen es hat. Don Josè, der pflichtbewusste Soldat, der bis dato nur die Liebe der sanften Micaëla kennt, erfährt von Carmen, dass Leidenschaft und Eifersucht stärker sein können als Pflichtfertigkeit. So dass er nicht anders kann, als sie zu töten, als sie sich für Escamillo entscheidet und sich noch im selben Augenblick für diese Tat zu stellen. (Rezension der besuchten WA vom 7.2.2019)
Diese in Musikstil und Inhalt bereits dem Verismo zuzuordnende Oper fiel bei ihrer Uraufführung im März 1875 an der Opéra Comique durch. Ihr bis heute ungebrochener Erfolg begann im Oktober des selben Jahres in Wien. Bizet war zu der Zeit bereits nicht mehr am Leben.
Herzog und Neidhardt verzichten auf jede Art der Romantisierung des lebensnahen Inhalts. Sie betonen die Armut und Ausweglosigkeit der Menschen des Stückes,machen die Herstellung und den Verkauf von Zigaretten, aber auch dem eigenen Körper, zu den einzigen Mitteln des Gelderwerbs. In Nebenhandlungen beziehen sie auch Jugendkriminalität mit ein und lassen einen der Jugendlichen scheinbar ungerührt den Mord an Carmen beobachten. Ab und zu gibt es Brüche zwischen Text und Handlung, zum Beispiel, wenn von Fächern und Orangen gesungen wird, aber nur Zigarettenstangen zum Angebot zählen. Mag diese Produktion auch polarisieren, so ist ihr nicht abzusprechen, dass sie nah an Libretto und auch Musik bleibt, etwas im Zuschauer anrührt, mag es auch unerwünscht oder unangenehm sein und dass sie den Darstellern eine breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten bieten.
Nadezhda Karyazina ist eine Mezzosopranistin von der man in naher Zukunft erwartet, sie auch auf den Bühnen anderer großer Häuser zu sehen, und sich gleichzeitig wünscht, sie möge noch lange an der Staatsoper Hamburg bleiben. Ihr Stimmvolumen, wie auch ihr Register sind beeindruckend. Ihre, an den warmen, nachhallenden Ton einer Glocke erinnernde Stimmfarbe, hat hohen Wiedererkennungswert. Schon in ihrem Debüt gelingt es ihr, ihrer „Carmen“ Kontur zu geben. Sie ist nicht die männermordende Zigeunerin, sondern eine selbstsichere Frau, die einen Weg gefunden hat mit ihren ärmlichen Lebensumständen umzugehen. Sie agierte, authentisch und natürlich, ohne jegliche Attitüde. Ihre „Habanera“ zog in den Bann, ebenso wie ihre anderen Arien und Duettszenen. Die Beiläufigkeit mit der sie nach einem stimmschön mitreißenden Streit, Don José bewusst in das Messer lief, gab der Szene noch einen Hauch Dramatik, mehr, als sie durch die Musik bereits hat.
Zehn Jahre ist es her, da begann Teodor Ilincai an der Staatsoper Hamburg als Macduff (Verdi, Macbeth) seine internationale Gesangskarriere. Nun war er als Don Josè der zweite Debütant. Sein José machte in Spiel und Gesang eine deutliche Entwicklung durch. Anfangs noch zurückhaltend und geringfügige Anstrengung in den Höhen zeigend, fasziniert sein Tenor, dessen Stimmfarbe und Timbre, nicht anders als „schön“ zu nennen ist, letztendlich durch sichere Formbarkeit und strahlende Klarheit. Spätestens sein letztes, präzise intoniertes und doch fast geseufztes „Carmen, je t’aime …“ überzeugte auch den letzten Zweifler von dem Talent und dem „Kaliber“ des Rumänen. Das dramatisch leidenschaftliche Finale tat dann ein Weiteres.
Die Sopranistin Ruzan Mantashyan gab als Micaëla ihr Hausdebüt und wird bald zusammen mit ihrem Ehemann Oleksiy Palchykov als Lenski in der Rolle der Tatjana (Eugen Onegin) zu sehen sein. Sie hat alles, was für beide Partien wichtig ist: Mädchenhaft scheuen Charme am Anfang und ernste Reife am Ende. Sie verzaubert und berührt. Glockenhell, doch bereits mit der Schwere und Fülle die einem lyrischen Sopran wie dem ihren, ein breites Spektrum an Rollenmöglichkeiten bietet.
Als Escamillo singt Gábor Bretz den „Gassenhauer“ unter den vielen Hits dieser Oper: „Auf in den Kampf (Votre toast, je peux vous le rendre) …“ Damit hat er das Publikum schon auf seiner Seite, doch Bretz, der im Januar bereits in Verdis „Messa da Requiem“ an der Staatsoper Hamburg zu hören war,bietet mehr. Er ist auch im goldenen Trainingsanzug und mit Elvistolle, ein souveräner Escamillo, der im Duett mit Carmen einen zärtlichen Kern offenbart.
Katharina Konradi, die ihr Rollendebüt als Frasquita hatte, Marta Swiderska (Mercédès), Victor Rud (Dancaïro) und Ziad Nehme (Remendado) bildeten ein stimmstarkes Team, mit individueller Ausstrahlung. Zak Kariithi, Moralès, müsste sich heutzutage fraglos ständig wegen sexueller Belästigung und Nötigung vor Gericht verantworten. Denn Kariithis Spiel ist so überzeugend, wie sein Bariton warm und voll klingend dem Ohr schmeichelt.
Alin Ancas , Zuniga, war am wenigsten überzeugend. Es fehlte ihm an diesem Abend an stimmlich wie darstellerisch ein wenig an Substanz. Veselina Teneva, Julius Vecsey, Catalina Mustata und Mark Bruce als Zigarettenverkäufer unterstrichen mit ihren kurzen Soli, die momentan durchweg gute Leistung des Chors der Hamburgischen Staatsoper.
Der 28 jährige Schweizer Lorenzo Viotti überraschte bei seinem Hausdebüt schon im Vorspiel mit einem äußerst temporeichen Dirigat, das im Laufe des Abends vereinzelt der Harmonie zwischen dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und den Sängern auf der Bühne im Wege stand. Interessante musikalische Akzente und ein einfühlsam von Flöte und Harfe gespieltes und von Viotti dirigiertes Vorspiel zum dritten Akt, ließen kleine Schwächen vergessen.
Fazit: Alles in allem war es ein erfolgreicher, von den Zuschauern bejubelter Abend mit absolut gelungenen Debüts. Hier und da ist noch die berühmte „Luft nach oben“ und das ist das Spannende. Das reizt, eine der berühmtesten Opern der Welt in dieser Besetzung noch ein zweites Mal anzuschauen. Oder auch ein erstes!
- Rezension der besuchten Vorstellung von Birgit Kleinfeld/Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Titelfoto: Staatsoper Hamburg/CARMEN/Repertoire-Foto/ Fotograf: Brinkhoff-Mögenburg
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