Beethoven-Zyklus: Christian Thielemanns exklusives Da Capo in der Elbphilharmonie

Sächsische Staatskapelle Dresden / Christian Thielemann, Elbphilharmonie, Hamburg, 12.9.21/Foto @ Sebastian Madej

Die beiden Werke des Konzertprogramms der Staatskapelle Dresden bei ihrem Gastspiel in der Elbphilharmonie Hamburg bedurften keiner weiteren Erläuterung: Die Sinfonie Nr. 6, op. 68 in F-Dur „Pastorale“ gefolgt von der 7. Sinfonie, op. 92 in A-Dur des Komponisten Ludwig van Beethoven. Am Pult der Staatskapelle stand ihr Chefdirigent Christian Thielemann. Er gilt als mitunter bedeutendster Interpret unserer Tage für das „Deutsche Fach“ von Komponisten wie Richard Wagner, Richard Strauss, oder eben Ludwig van Beethoven. Mit einer fulminanten Konzertreihe in der Semperoper Dresden vollendete er erst in der Woche zuvor mit der achten und neunten Sinfonie seinen über zwei Jahre erarbeiteten Zyklus der Beethoven-Sinfonien. (Rezension des Konzertes v. 12.09.2021)

 

Da pandemiebedingt sämtliche angedachten Gastspiele ausfallen mussten, verwöhnte Christian Thielemann sein Dresdner Publikum stattdessen mit sich thematisch fügenden Sonderkonzerten – beispielsweise mit Beethovens Violinkonzert, seinen frühen Sinfonien und den Klavierkonzerten. Auch für die so erstklassigen ProArte-Konzerte der Elbphilharmonie war dies ein ganz einmaliges Gastkonzert. Denn exklusiv für Hamburg, als einziges Gastspiel seines Beethoven-Zyklus, studierte Thielemann die sechste und siebte Sinfonie mit der Staatskapelle erneut ein. Ursprünglich führte er diese beiden Werke schon vor knapp einem Jahr, kurz vor dem zweiten Lockdown, im Rahmen seiner Dresdner Konzertreihe auf.

Mit der „Pastorale“, seiner 6. Sinfonie, antizipierte Beethoven schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts die aufkommende Epoche der Romantik. Thielemann nahm in seiner Interpretation die Anweisung des Komponisten „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ wörtlich. Denn wie kein anderer Dirigent ist seine Beethoveninterpretation geprägt durch eine aus der Gefühlsage entsteigenden Subjektivität, ganz persönlich, nie überprobt und stets frei im spontanen Ausdruck einer Empfindung. Besonders charakteristisch zeigte sich dies im ersten Satz, dem Allegro ma non troppo. Thielemann wählte in der Exposition zunächst einen recht konventionellen Ansatz um erst in der Wiederholung zunehmend zu variieren. Er unterlegte die themenführenden Instrumentengruppen mit einem Decrescendo, während er die Begleitstimmen prägnant in den Vordergrund stellte und somit dem Kopfsatz einen ganz andersartigen, faszinierenden Charakter gab. Der Orchesterklang wirkte so in der Wiederholung nuanciert divergent. In der Durchführung wagte Thielemann auch schlagartige Lautstärkeänderungen oder auch mal ein plötzliches Accelerando. Besonders eindrucksvoll geriet ihm der vierte Satz – das Gewitter – in extremer, zugleich kontrollierter Lautstärke bei gleichbleibend homogenem Klang seiner Staatskapelle. Eine musikalische Interpretation, die wie von Beethoven gefordert, vollends die Empfindung bediente, in diesem Falle die Empfindungen ihres Dirigenten.

Sächsische Staatskapelle Dresden / Christian Thielemann, Elbphilharmonie, Hamburg, 12.9.21/Foto @ Sebastian Madej

Nach einer kurzen Pause folgte Beethovens siebte Sinfonie, welche in ihrem 2. Satz, dem Allegretto, mit einem durch den Rhythmus bestimmtes Thema die mitunter musikalisch gehaltvollste Motivik des Komponisten beinhaltet. Als Höhepunkt des Konzerts konnte das Publikum in diesem Satz Thielemann bei seiner handwerklichen Tätigkeit beobachten, wie er ständig präsent den Klang regulierte, Maß nahm oder auch mal das Orchester einige Takte einfach spielen ließ. Spannend, ihm zuzuschauen und die Reaktionen seiner ihm zu Füßen liegenden, jede Nuance aufnehmender Staatskapelle zu beobachten. Welch werthaltige, höchst vertrauensvolle und äußerst fruchtbare Kollaboration zwischen einem Dirigenten und seinem Orchester!

Der dritte und vierte Satz der siebten Sinfonie gerieten selbst für Thielemanns Verhältnisse ungewöhnlich straff und flott. Vom pochenden Auftakt bis zu den dröhnenden Kontrabässen der Schlusstakte zog er das Publikum wie in einem Klangstrudel in seinen Bann. Sämtliche zuvor im Allegretto gewährten Freiheiten schien er von seinem Orchester zurückzufordern: „Die letzten 20 Minuten des Beethoven-Zyklus gehören mir“. Und damit wurde das pandemiegeplagte und gewissermaßen ins Folgejahr verlängerte Beethoven-Jubiläum auch für Christian Thielemann abgeschlossen. Fortan wolle er sich mit der Staatskapelle den Orchesterwerken von Anton Bruckner, Richard Strauss oder sogar manch unbekannterem Komponisten widmen. In der Elbphilharmonie schwangen in dieser exklusiven Zugabe, Thielemanns Da Capo eines Beethoven-Zyklus, noch die Dresdner Klänge der Vorwoche von „Freude schöner Götterfunken“ mit – ein Konzert voller Überwältigung!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Elbphilharmonie
  • Titelfoto: Sächsische Staatskapelle Dresden / Christian Thielemann, Elbphilharmonie, Hamburg, 12.9.21/Foto @ Sebastian Madej 

 

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