Scarpia, Polizeichef von Rom, hat ein Terrorregime errichtet, das jede republikanische Regung im Keim erstickt. Auch die Sängerin Floria Tosca (Adina Aaron) und ihr Geliebter, der Maler Mario Cavaradossi (José Cura), geraten in einen tödlichen Konflikt mit dem brutalen Polizeichef (Samuel Youn). (Bericht der Wiederaufnahme „Tosca“ im Kölner Staatenhaus v. 30.6.2019)
Regisseur Thilo Reinhardt fokussiert den Blick auf die menschliche Tragödie, die auf dem Hintergrund der politischen Ereignisse dadurch ausgelöst wird, dass Cavaradossi seinem revolutionären Freund Angelotti, dem früheren Konsul der römischen Republik, zur Flucht verhilft.
Dadurch macht er sich angreifbar, und als Scarpia, der Tosca begehrt und sie besitzen will, Cavaradossi wegen dieser Fluchthilfe verhaften lässt hat er endlich ein Druckmittel in der Hand, Tosca gefügig zu machen. Nach einem Konzert Toscas lässt er sie in sein Arbeitszimmer bringen und erpresst sie mit der Folterung Cavaradossis in ihrem Beisein. Als während der Folterung die Nachricht vom Sieg der Revolutionstruppen unter Napoleon überbracht wird, bekennt Cavaradossi sich flammend zur Revolution.
Damit hat er sein Schicksal besiegelt. „Vissi d´arte, vissi d´amore“ – „Nur der Schönheit weiht´ ich mein Leben“ – so kommentiert Tosca schwer traumatisiert von Cavaradossis Folterung und Scarpias Übergriffen ihr Los. Tosca sieht nur eine Lösung: sie ringt Scarpia einen Passierschein für Cavaradossi ab, der ihm die Freiheit bringen soll und verspricht ihm dafür ihre Hingabe. Allerdings kommt es nicht dazu, denn bevor es zum Äußersten kommt bringt sie ihn in Notwehr um.
Der Betrug Scarpias – er hat Tosca eine Schein-Exekution versprochen, Cavaradossi wird aber tatsächlich hingerichtet – ist das tragische Ende. Tosca bringt sich um.
Puccinis am 14. Januar 1900 in Rom uraufgeführte Oper „Tosca“ ist vermutlich sein dramatischstes Werk und gehört mit seiner „Bohéme“ zu den 10 weltweit am häufigsten aufgeführten Opern. Alle großen Häuser haben Inszenierungen im Repertoire, die regelmäßig wieder mit den aktuellen Stars aufgenommen werden, weil „Tosca“ immer gute Auslastungen garantiert.
Eigentlich spielt das Stück genau am 17. und 18. Juni 1800 in Rom während der napoleonischen Besetzung Italiens. Im 1. Akt wird ausdrücklich Bezug genommen auf den Sieg der österreichischen Truppen über die revolutionären Franzosen bei Marengo am 14.6.1800. Scarpias Macht scheint unangefochten. Im 2. Akt überbringt Sciarrone Scarpia die Nachricht vom Sieg Napoleons gegen die mit dem Kirchenstaat verbündeten Österreicher in der Schlacht von Marengo. Das Ende von Scarpias Regime ist gekommen. Als Cavaradossi dies hört, bekennt er sich empathisch zu seinen politischen Idealen.
Es liegt nahe, die Oper in genau diesem Ambiente anzusiedeln mit Nachbauten der Kirche Santa Andrea della Valle in Rom im ersten Akt, Scarpias Arbeitszimmer im Palazzo Farnese im 2. Akt und dem Dach der Engelsburg im 3. Akt. Das Royal Opera House Covent Garden, London, macht genau das und ergänzt es durch historisch korrekte Kostüme, ähnlich die Staatsoper München. Es gibt sogar einen Film an Originalschauplätzen zu Original-Tageszeiten.
Auch in Köln gab es eine derartige Inszenierung vom damaligen Intendanten Michael Hampe, die ich am 13. Februar 1979 mit Janis Martin in der Titelpartie, Placido Domingo als Cavaradossi und Victor Braun als Scarpia gesehen habe. Sie war maßstabsetzend und zu Recht umjubelt.
Eine Neu-Inszenierung in Köln musste dieser Vorgeschichte gerecht werden und berücksichtigen, dass in der Übergangsspielstätte eigentlich nur ein Einheits-Bühnenbild realisiert werden kann. Die Premiere am 17. Mai 2012 fand im Musical-Dome, dem „blauen Zelt“ statt.
Das Bühnenbild von Paul Zoller hat als zentrales Element ein großes Kreuz, das zentral über dem Eingang der Kirche hängt und bewegt werden kann. Eine großer Altar, eine Staffelei, ein Abgang in eine Krypta und eine Marienstatue im ersten Akt deuten eine Kirche an, der zweite und dritte Akt spielt auch wieder in dieser Kirche, nur das Kreuz liegt schräg im Hintergrund. Der Altar ist mit zwei Kandelabern als Esstisch gedeckt, im Hintergrund liegt das Kreuz und wird als Folterbank genutzt.
Es werden durch die Lichtregie (Andreas Grüter) tolle Effekte erzielt, auch mit brennenden Fackeln am Ende des ersten Akts, wenn sich Scarpias Besessenheit, Tosca zu unterwerfen in einer Vision materialisiert, die zeigt, dass alle Werte aufgehoben sind.
Die Kostüme von Ulli Kremer zitieren faschistische Uniformen aus den 30-er Jahren, da weiß jeder Zuschauer, wer hier die böse Staatsmacht verkörpert. In Gestus und Körpersprache erinnern Scarpia und seine Truppe an die Nazis in entsprechenden amerikanischen Spielfilmen. Tosca trägt einen roten Mantel bzw. rotes schulterfreies Abendkleid, wie man es heute noch als Konzertgarderobe der Solistin sieht.
Im Fokus der Inszenierung steht Scarpia, der von Samuel Youn als extrem brutaler Sadist angelegt ist, der erst richtig Lust an einer Frau empfindet, wenn er sie seinem Willen unterwerfen kann. Er erzwingt die sexuelle Unterwerfung der Diva dadurch, dass er Cavaradossi in ihrem Beisein foltern lässt. Toscas Widerstand stachelt sein Begehren erst richtig an: „Cosi ti voglio!“ Die sexuellen Übergriffe Scarpias sind wirklich sehr konkret ausgestaltet. Obwohl er weiß, dass seine Herrschaft bald zu Ende ist betrügt er Tosca, indem er ihr verspricht, Cavaradossi werde nur zum Schein erschossen, in Wirklichkeit befiehlt er die Exekution des Malers („…come Palmieri“).
Die Folterszene, in der Cavaradossi auf dem jetzt schräg am Boden liegenden Kreuz gekreuzigt wird, ist nichts für schwache Nerven, denn im Gegensatz zu anderen Inszenierungen wird hier die Tortur offen gezeigt. Es fließt reichlich Blut.
Cavaradossi ist ein ganz naiver Gutmensch, der völlig unverschuldet in die Mühlen der Willkürherrschaft gerät. Seine menschlich absolut verständliche Fluchthilfe für Angelotti, den er in der Krypta der Kirche versteckt, in der er malt, setzt ihn erst Toscas unbegründeter Eifersucht aus. Als er nach seiner Verhaftung erfährt, dass die revolutionären Truppen gesiegt haben, bekennt er sich feurig zu seiner freiheitlichen Gesinnung und besiegelt damit sein Todesurteil. José Cura ist ein beeindruckender Cavaradossi. Seine Spitzentöne sind immer noch makellos und fokussiert, seine Bühnenpräsenz ist enorm. In den mittleren und tiefen Lagen wird er mitunter vom glänzend aufspielenden Gürzenich-Orchester unter Alfred Eschwé übertönt, das vor der Bühne sitzt.
Tosca, die Titelheldin, ist DIE Paraderolle für Operndiven wie Maria Callas, Renata Tebaldi, Birgit Nilsson, Anna Netrebko, Anja Harteros und viele andere.
Zunächst ist sie nur eifersüchtig auf die unbekannte Schöne, die ihr Geliebter Cavaradossi gemalt hat, dann aber muss sie sich gegen die massiven Übergriffe Scarpias wehren, und schließlich sieht sie sich in der Zwangslage, ihm zu Willen zu sein um Cavaradossis Leben zu retten. Die bereit liegende Waffe ist Mittel ihrer Notwehr. Als sie dann auch noch betrogen wird und realisiert, dass Cavaradossi exekutiert wurde, geht sie in den Freitod.
Adina Aaron ist eine begnadete Darstellerin, die die ganze Bandbreite der „Tosca“ von der Eifersucht über die Auseinandersetzung mit Scarpia und die abgrundtiefe Verzweiflung über Cavaradossis Tod schauspielerisch und sängerisch grandios bewältigt. Sie hat eine große Stimme, die auch Orchester und Chor überstrahlt.
In den kleineren Rollen überzeugen Lukas Singer als sehr nobler Angelotti, Michael Mrosek als bigotter Mesner, Yunus Schahinger als Sciarrone, Veronika Lee als Attavanti und vor allem Martin Koch als seinem Chef Scarpia hündisch ergebener schleimiger Spoletta.
Die Sensation des Abends ist Samuel Youn als Scarpia, der hier die Faszination des Bösen zeigt. Er hat 1999 im Kölner Opernstudio angefangen und in Köln wichtige Bass-Bariton-Partien erarbeitet. Stimmlich ist Youn zweifellos auf dem Höhepunkt seiner Karriere, nachdem er in Bayreuth 2012 den „Holländer“ verkörperte und international alle wichtigen Partien seines Fachs gestaltet. In der Inszenierung von Thilo Reinhardt gibt er den amoralischen skrupellosen Machtmenschen, der seine Funktion als Polizeichef missbraucht, um seine sexuelle Gier zu befriedigen. Dabei schreckt er auch vor Blasphemie nicht zurück, die Szene, in der er breitbeinig über Tosca auf dem Altar steht und Messwein säuft und Hostien frisst, umstanden vom Chor mit brennenden Fackeln ist ein bildstarker Schluss des 1. Akts. Dieser Scarpia hat keinen Respekt vor der Religion oder vor Sitte und Moral!
Größte Spannung entwickeln die Szenen zwischen Tosca und Scarpia, in denen es auch körperlich sehr handfest zugeht. Da bleiben keine Zweifel, dass es hier um sexuelle Übergriffe der übelsten Form geht.
Die Inszenierung trägt stellenweise sehr dick auf, zum Beispiel, indem sie Cavaradossis Folterung als Kreuzigung darstellt. Die Musik gibt das her und das Publikum geht mit. Feinheiten des Texts gehen dabei unter.
Die Inszenierung stellt die Mechanismen eines Terror-Regimes sehr klar mit starken Bildern dar: Unschuldige geraten in die Mühlen der Willkür-Justiz, der Machthaber missbraucht seine Macht um sich persönliche Vorteile zu sichern.
Der Zuschauer ist zufrieden, weil er den Sturz des Diktators und seinen Tod durch die Hand einer wehrlosen Frau erlebt und ergriffen, weil die Liebe Cavaradossis und Toscas bis zum Tod währt.
Es ist eine sehr gelungene Arbeit des Regietheaters, die einen ganz anderen Blick auf eine immer wieder gespielte Oper ermöglicht.
Nach der Vorstellung verabschiedete die Intendantin, Frau Dr. Birgit Meyer, fünf langjährige Chormitglieder und eine Herrenschneiderin, die seit 1978 im Opernhaus gearbeitet hat, in den Ruhestand und entließ auch die Sopranistin Veronika Lee nach einem Jahr Opernstudio und den lyrischen Tenor Jeongki Cho nach zehn Jahren in der Kölner Oper in Engagements in andere Häuser.
In Anbetracht der Hitze hatte man Wasserspender aufgestellt und den Preis für eine Flasche Wasser auf 1 € herabgesetzt. In der Halle war es kühler als erwartet.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer/RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln/TOSCA/ Adina Aaron (Floria Tosca)/Foto © Paul Leclaire
Voltairianer … ich habe gerade eben 08.12.2019 20:15 … leider nur im Fernsehen ARTE … die Saisoneröffnung der Scala mit Tosca gesehen. Das war eine meiner völlig unmaßgeblichen Meinung nach eine wirklich grandiose Aufführung. Die Besetzung war grandios, die Regie war grandios, die musikalische Leitung und das Orchester waren grandios, das Bühnenbild war grandios
… und …
die Gesamtwirkung durch die sarkastisch, machtpolitisch libidinöse Mehrfachbrechung der Inszentierung – durch, im und mit dem Bühnenumfeld, also dem Publikum dem Ambiente, also der gesamten Situation sei göttlicher Dank – war einfach unwiederbringlich genial.
So eine Gesamtwirkung kann niemand wirklich gezielt inszenieren – das nur zum Troste vieler Dramaturgen und Theater-Regisseure – hier kam durch eine Fügung ALLES zusammen.
Axel Arnold Bangert – Herzogenrath 08.12.2019