Dortmunder Philharmoniker: Gustav Mahler – 9. Sinfonie – Fast nicht von dieser Welt

Dortmunder Philharmoniker und GMD G. Feltz/ Foto @ Anneliese Schürer

„….Mahler – 9. Sinfonie D-Dur – 4. Satz Adagio“…. Die Streicher beginnen mit einer langen Melodie, welche dann in eine große Elegie mündet. In diesem Moment denke ich, dass sich nun jeden Augenblick das Dach des Konzerthauses öffnen müsse, um den Blick ins Weite freizugeben. Um dieser Musik den Raum zu geben, den sie benötigt um vielleicht begreifbar zu werden. Was Gustav Mahler seiner Nachwelt hinterlassen hat, ist in nüchternen und klaren Worten gar nicht ausreichend genug zu beschreiben. Aber bei seiner letzten Sinfonie, der 9., bedarf es schon besonderer Eindrucksschilderungen, die weit über das rein Gehörte hinausgehen müssen, um nur ansatzweise und annähernd deren machtvolle musikalische Wirkung in möglichst nachzuvollziehende Worte zu fassen. Mahlers Musik ergreift und packt und öffnet innere Horizonte. Sie lässt träumen, gibt Ängsten, Wehmut, Sehnsüchten und Verzweiflung Ausdruck, ohne gänzlich hoffnungslos zu sein und sie wirkt – unmittelbar. Am gestrigen Abend gab es zum Ausklang der Konzertsaison der Dortmunder Philharmoniker unter ihrem GMD Gabriel Feltz dieses geniale Werk. Der Jubel des Publikums, welcher nach einem Moment ergriffener Stille einsetzte, war groß und hochverdient. (Konzert am 2.7.2019 im Konzerthaus Dortmund)

 

Die 1912 in Wien uraufgeführte 9. Sinfonie in D-Dur ist Mahlers letztes vollendetes Musikwerk. Mahler selbst konnte dies nicht mehr erleben. Er war im Jahr zuvor gestorben. Seine „Neunte“ gilt vielen als sein genialstes Werk, fast als eine Art musikalisches Vermächtnis. Eines, was seiner Zeit weit voraus war und von dem noch heutzutage behauptet wird, dass wir immer noch nicht so weit seien, dieses Musikwerk in all seiner Gesamtheit zu verstehen. Als Mahler 1907 mit der Komposition an seiner 9. Sinfonie beginnt, durchlebte er gerade ein Jahr voller dramatischer und schicksalhafter Ereignisse. Beruflich, aber auch, und vor allem im privaten Bereich, erleidet er heftige Schicksalsschläge. Seine kleine Tochter stirbt mit vier Jahren an einer Infektion. Über diesen Tod zerbricht letztendlich dann die Ehe mit seiner Frau Alma und überdies treten die ersten ernsthaften Anzeichen einer Herzerkrankung  bei ihm auf. Eine Erkrankung, an der Mahler vier Jahre später stirbt. All dies fließt mit ein in seine Arbeit an dieser 9. Sinfonie. Es beleuchtet manches, aber erklärt letztlich auch nicht alles, was diese Sinfonie so bedeutsam machen sollte.

Gustav Mahler / @ Gustav-Mahler-Kohut.jpg – by. wikipedia-gemeinfrei

Seine eigene Angst eine „9.Sinfonie“ zu komponieren und damit vielleicht in den für ihn unheimlichen Kreis derer zu geraten, die gerade mit dieser Zahl ihre Abschiedssinfonien schrieben, wie Beethoven oder Bruckner, war, wie sich herausstellen sollte, eine begründete. Auch für Mahler sollte es keine weitere, keine 10., mehr geben. Und er hinterließ der Nachwelt ein Werk von einer solchen Größe, Schönheit, Schwermut und Unendlichkeit, welches in Worte zu fassen, schier unmöglich ist. In einem Interview mit dem NDR erzählte der Dirigent Thomas Hengelbrock davon, dass ihm sein großer Musikerkollege Lorin Maazel einmal sagte, dass er diese 9. Sinfonie von Mahler nicht mehr dirigieren wolle, weil sie ihn traurig und depressiv mache. „Das ist Musik, die einen ständig mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert. Aber weil es so wahrhaftig und aus dem Leben gegriffen und in große Kunst umgesetzt ist, erfüllt sie uns mit Lebenskraft und neuem Mut.“ Vielleicht ist in diesem Zitat das meiste, das entscheidende, über dieses geniale Musikwerk gesagt. Mahlers Abschiedswerk von der Welt.

GMD Gabriel Feltz wählte Mahlers letzte Sinfonie für das letzte Konzert der Saison 2018/19. Eine Sinfonie, welche Abschiede hör-und nahezu spürbar macht. Welche die Zuhörer mitnimmt auf unbestimmte, unfassbare Reisen. Ein Werk, welches dann anfängt zu wirken, wenn es endet und das so unergründlich wie aufwühlend ist.

Mahlers 9. Sinfonie D-Dur beginnt mit dem 1. Satz, „Andante comodo„. Der Komponist Alban Berg schrieb in einem 1912 an seine Frau verfassten Brief darüber: „Der erste Satz ist das allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat.“ Feltz lässt die Dortmunder Philharmoniker diesen Satz sanft angehen. Dadurch ist die Wirkung der beiden musikalischen Ausbrüche dieses Anfangssatzes umso intensiver und mächtiger und mit großer Wucht. Der Satz endet ruhig ausklingend. Aber irgendwie nicht auf entspannende Weise, mehr wie in gespannter Erwartung.

Diese Erwartung wird dann in den beiden folgenden Sätzen nur annähernd befriedigt. Der zweite Satz, („im Tempo eines gemächlichen Ländlers„) beginnt mit einer schwer begreifbaren Heiterkeit, klingt doch das Schwermütige noch im Ohr, das Mahler in so großem Maße in seinen Anfangssatz mit hinein komponiert hat. Im „Rondo-Burleske„, dem dritten Satz der 9. Sinfonie, wird der Zuhörer in einen wahren Strudel aus Tönen und Klängen mitgenommen und geworfen, der plötzlich im Mittelteil ein wenig scheinbare Ruhe verströmt, um dann wild und mächtig in einem furiosen musikalischen Ende zu gipfeln.

Gabriel Feltz / Foto @ Marcel Urlaub

Welch ein großer Moment für Feltz und seine Dortmunder Philharmoniker! Die Zuhörer im bestens besuchten Konzerthaus können nur tief und ergriffen Luft holen und sich ihren Applaus für das Ende aufsparen. Denn es folgt der großartige vierte Satz, „Adagio„.  Zu diesem habe ich eingangs bereits versucht zu erklären, welche Wirkung er auf mich, und vermutlich auch auf viele der anwesenden Musikfreunde, hatte. Feltz lässt mit all seiner Erfahrung und seinem inneren Verständnis, – und sicher auch seiner persönlichen Hochachtung -,  für Werk und Komponisten, die Dortmunder Philharmoniker auf ruhige, fast feierliche, Weise beginnen. Die Geiger nehmen ein Motiv auf, welches sich zu einer großen Elegie entwickelt. Lange bleibt dieser letzte Satz ruhig und langsam in seinem Tempo. Und doch entwickelt sich eine Spannung, die ihren kurzen Ausbruch zwar findet, aber die sich nicht auflöst. Mahler lässt seine Sinfonie in leisen Klängen enden. Er selbst schreibt für die Spielanweisung das Wort „ersterbend“ dazu. Und so wirken die letzten Augenblicke dieser Sinfonie. Momente, die immer ruhiger werden. Wie Atemzüge, die immer flacher werden. bis hin zum letzten Aushauchen.

Großes Kompliment und Anerkennung für Gabriel Feltz und für die wunderbaren Dortmunder Philharmoniker!

Abschied Roman Nowicki/Foto Opernmagazin

Und zum Ende des Abends gab es auch noch einen realen Abschied. Roman Nowicki, seit 1978 Solobratscher der Dortmunder Philharmoniker, beendet mit diesem 10. Philharmonischen Konzert seine Tätigkeit und geht in den Ruhestand. 41 Jahre war Nowicki für die Musik und die Kunst in Dortmund tätig. Das Publikum, seine Philharmoniker-Kolleginnen und Kollegen und nicht zuletzt auch GMD Feltz – der sehr freundliche Worte für den Abschied fand – dankten ihm dafür mit herzlichem und langanhaltendem Applaus. DAS OPERNMAGAZIN und auch ich schließen uns den guten Wünschen für Roman Nowickis weitere Zukunft sehr gern an.

Ein bedeutsamer Konzertabend. Für die Dortmunder Philharmoniker, ihren GMD Feltz, für das anwesende Publikum und eine weitere musikalische Visitenkarte für die Stadt Dortmund.

Von diesem Konzert wird es auch wieder eine CD geben. Sobald näheres zum Erscheinungsdatum vorliegt, wird DAS OPERNMAGAZIN seine Leserinnen und Leser umgehend informieren.

Am heutigen Abend (3.7.) gibt es das Konzert ein weiteres Mal. Wer es sich nicht entgehen lassen will, kann unter diesem Link noch direkt Karten online erwerben. DAS OPERNMAGAZIN empfiehlt es Ihnen nachdrücklich!

 

 

 

 

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2 Gedanken zu „Dortmunder Philharmoniker: Gustav Mahler – 9. Sinfonie – Fast nicht von dieser Welt&8220;

  1. Mahlers 9. ist ein Genuss! Diese großartig geschriebene Kritik ist es aber auch! Gratulation an Feltz und seine Dortmunder Philharmoniker

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