
Flankiert von einer Filiale des kleinen Bruders einer großen Steakhauskette auf der einen und der altehrwürdigen Schwanenapotheke mit ihrem stolz in der, fast blutrot untergehenden Sonne auf der anderen Seite, reckt sie ihre hanseatisch kühle, schnörkellose, fensterreiche Fassade der Dammtorstraße mit ihren Restaurants Geschäften und Bürogebäuden entgegen. Sie, die Staatsoper Hamburg, einst mit Hilfe von Ephraim Lessing von Hamburger Bürgern erbaut um allen, nicht nur dem Adel, die Möglichkeit eines Opernbesuchs zu ermöglichen. (Besondere Eindrücke des Opernabends am 16.4.19 in der Staatsoper am Dammtor in Hamburg)
Heute ist einer der Tage, an dem man sich wünscht, die Staatsoper Hamburg hätte so eine exponierte Stellung und auch so eine edle Fassade wie das Hamburger Schauspielhaus, das jeden, der mit dem Zug in die Hansestadt reist, sofort entgegenblickt. Oder sie würde über eine Freitreppe verfügen wie so viele andere Opernhäuser, einfach um diesem Abend ein wenig hanseatisch untypischen oberflächlichen Glamour zu verleihen. Während man den wahren Glanz auf der Bühne erwartet und den nächsten drei Stunden sogar entgegenfiebert-
Warum? Nun, nach erfolgreich beendeten 2. Internationalen Opernwochen, einer eindrucksvollen Neuproduktion von Verdis Nabucco und der deutschen Erstaufführung von George Benjamins Lessons in Love and Violence, steht ein weiterer großer Abend an. Nach einem umjubelten Auftritt als Maler Cavaradossi, in einer Galaaufführung von Giacomo Puccinis Tosca im vergangenen Jahr, an der Seite vom Anja Harteros, die für ihn ist, was Freni für Domingo, Ricciarelli für Carreras war.

Jonas Kaufmann, einer der beliebtesten und meist gefeierten Tenöre der Gegenwart. Ein Mann, dessen optische Attraktivität ebenso in den Bann zieht, wie die wandelbare Schönheit seiner Stimme und seine Ausstrahlung. Dieses Mal verkörpert er in George Bizets Oper Carmen, den Soldaten Don José, der die Liebe der Zigeunerin Carmen gewinnt. Doch wegen des Torreros Escamillo, Josés besitzergreifender Eifersucht un ihrer eigenen unbändigen Freiheitsliebe, entzieht sich Carmen ihm wieder. Und dies bringt ihr den Tod durch Josés Hand.
Voller Leben jedoch sind schon einige Zeit vor Beginn der Vorstellung die Foyers des Hauses, und zwar auf eine andere Weise als gewöhnlich,einfach auf ungreifbare Art und Weise spannungsgeladen und doch gleich zeitig von erwartungsvoller Leichtigkeit, ja Fröhlichkeit.
Dann verdunkelt sich der Raum, für den Bruchteil einer Sekunde scheint es, als würde der ganze Saal kollektiv einatmen und dann reißen und Dirigent Pier Giorgio Morandi und das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, fast zu schwungvoll aus dem Hier und Jetzt und ziehen uns hinein in die Welt, die sich Regisseur Jens-Daniel Herzog und sein Bühnen- und Kostümbildner Mathis Neidhardt für diese Produktion erdachten. Es ist eine Welt frei von Zigeunerromantik, eine Welt in der ums Überleben geht, die Zigarettenfabrik und Zigarettenschmuggel, die Haupteinnahmequellen sind und Stierkampf das größte Vergnügen sei es auch nur via TV in der örtlichen Bodega. Es sei vorweggenommen, dass das Vergnügen, das die Damen und Herren des Orchesters und ihr Leiter dem Publikum boten, sich in Grenzen hielt. Denn leider gab es ab und zu Diskrepanzen zwischen ihnen und den Darstellern auf der Bühne, die auch schon mal zu Dissonanzen führten.

Doch zurück zu dem Geschehen auf der Bühne, da sehen wir sie also, die Damen des, auch heute wieder gut disponierten Chors der Hamburgischen Staatsoper, als Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik, die sich einer Leibesvisitation durch die Soldaten unterziehen müssen. Auch heute überzeugt Zak Kariithi ein Mal mehr als rücksichtsloser, unsympathischer Morales, der für seinen fiesen Charakter, eine viel zu schöne, zu weich-schmeichelnden Tönen fähige Baritonstimme besitzt. Ach, aber es gibt noch andere zwielichtige Charaktere in dieser Oper, die aber an diesem mit guten bis wunderbaren Stimmen von spielfreudigen Sängern besetzt sind. Zum Beispiel die beiden Schmuggler Remendado und Dancaïro, die von Ziad Nehme und Viktor Rud, gesanglich, wie darstellerisch überzeugend porträtiert werden. Und dann ist da noch er, Florian Spiess als wunderbar widerlicher Zuniga. Imponiert er schon allein durch seine hünenhafte Gestalt, so möchte man sich schütteln oder selbst gewalttätig werden, sieht man, wie er Carmen umgeht oder auch den Chef vor Don José „heraushängen“ lässt. Sein betrunkenes Lachen im Zwischenspiel vom ersten zum zweiten Akt qualifiziert ihn als Bösewicht schlechthin.
Gut, der nächste Herr ist weder ein Bösewicht, noch wirklich zwielichtig. Obwohl … Für die Menschen in „Carmen“ außer für Don José, ist er ein Held, für viele in unseren Breiten, durch seinen Beruf ein Tierquäler: Escamillo, der Torrero und Carmens letzte Liebe. Alexander Vinogradov ist der erste Escamillo, der in dem goldenen Trainingsanzug ,in dem er seinen ersten Auftritt hat, nicht „prollig“ sondern schon ganz „cool“. Vinogradov hat eine natürliche Eleganz, gepaart mit der Fähigkeit zur Selbstironie. Diesen von sich überzeugten Sunnyboy und seine lässige Art, sich immer wieder die Elvistolle aus der Stirn zu streichen, muss „frau“ einfach lieben. Dazu kommt dann auch noch sein ebenfalls elegant und volltönender Bass, der in jeder Tonlage regelrecht bezaubert.

Und wieder, liebe Leser, habe ich Sie dem Anfang des ersten Aktes entrissen und vorgegriffen. Nun befinden wir uns an jener Stelle, wenn die Frauen einschließlich Carmen in der Fabrik verschwunden sind und die schüchterne Micaëla nach ihrem innig geliebten Don José sucht. Ruzan Mantashyan ist eine großartige Verkörperung dieser Frau, die bereit ist all ihre Ängste zu überwinden für den Mann, den sie liebt. Hier am Anfang besticht sie noch mit mädchenhafter Scheu, im dritten Akt aber ist sie erwachsen und reif geworden. Mantashyans Sopran ist von glockenklarer Reinheit. Seit ihrem Rollendebüt am 7.2. diesen Jahres, wirkt ihre Stimmführung noch sicherer, noch freier.
Ist es Micaëla gelungen, den Neckereien der Soldaten zu entfliehen, kommen die Kinder des Ortes dargestellt von den Alsterspatzen – Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper, um von den Soldaten Zigaretten erbetteln und ihnen dann Pfandflaschen und Morales die Geldbörse stehlen.
Und dann ist endlich Wachablösung und Jonas Kaufmann, – gefühlt – ständiger Gast in allen Opernhäusern der Welt, außer an der Staatsoper Hamburg, betritt die Bühne. Grau ist er geworden und doch hat er nichts von seinem Charme und seiner sympathischen Ausstrahlung verloren. Sein Don José ist von Anfang an voller Widersprüche, wirkt in einem Moment seinen Kollegen gegenüber überheblich, dann wieder fast jungenhaft um im nächsten Moment aufzubrausen oder leidenschaftlich zu verzweifeln. Spätesten im zweiten Akt, zieht er völlig in seinen Bann und berührt zutiefst, noch bevor er den ersten Ton seiner Blumenarie angestimmt hat. Diese dann, trägt er mit gesanglichem Können und einer Innigkeit vor, die unter die Haut gehen. Überhaupt ist er mit wenigen kleinen Abstrichen, wenn die Anstrengung doch einmal hörbar wird, noch besser disponiert als im vergangenen Jahr. Seine stimmliche Modulation ist so vielseitig wie sein darstellerischer Ausdruck und auch hat er jenen Schmelz in der Stimme, der ihn stets auszeichnete, noch lange nicht verloren. Und im Finale packt er auch den letzten Zweifler und rührt andere dazu noch zu Tränen.

Clementine Margaine, die mit dieser Vorstellung ihr Hausdebüt an der Staatsoper Hamburg gab, ist zumindest auf den ersten Blick nicht so, wie wir uns eine „typische“ Carmen vorstellen. Sie hat ausgeprägte weibliche Rundungen, verzichtet auf die sonst üblichen, sehr knappen, sehr sinnlichen Kostüme. Neben ihren jungen und sehr modern gekleideten Freundinnen, Frasquita und Mercédès, wieder hinreißend gesungen und gespielt von Katharina Konradi und Marta Swiderska, wirkt diese Carmen, in ihren weit geschnittenen, knielangen Kleidern und der übergroßen himbeerroten Stola, zwar nicht bieder, aber doch eher bürgerlich. Margaine überzeugt auf den zweiten, und alle weiteren Blicke, dennoch voll und ganz. Sie zeigt in ihrer Darstellung, dass erotische Ausstrahlung, weniger von Kleidung und anderen Äußerlichkeiten abhängt, als viel mehr von der Einstellung zu sich selbst. Aus der Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem eigenen Körper, der eigenen Weiblichkeit. Clementine Margaine ist ein Vollblutweib mit reifer Sinnlichkeit und bei aller Freiheitsliebe auch voller Sehnsucht nach
Geborgenheit und vielleicht sogar Beständigkeit. Das zeigt sich in Gesten und Blicken.
Voll und reif ist auch ihr Mezzo, sie überrascht und fasziniert mit dem Umfang ihres Registers ebenso mit der Leichtigkeit, mit der sie stimmlich, von einem emotionalen Extrem zum anderen wechseln kann: In einem Moment singt sie kraftvoll und im nächsten dann, säuselt sie zärtlich und verführerisch. Sie besitzt eine ganze Palette an Klangfarben, die sie sicher einzusetzen weiß. Auch sie begeistert vom ersten Auftritt bis zum letzten Seufzer in Josés Armen.

Das Ende von Carmen an sich und des Opernabends im Besonderen kommt viel zu schnell, Aber zumindest für eine Person gerade richtig, denn bevor das Licht, bei noch offenen Vorhang erlischt und den, um Carmen trauenden José unseren Blicken entzieht, ertönt von irgendwo her ein, fast gehauchtes doch dennoch weithin hörbares aus dem Herzen kommedes „Toll!“. Ihm schließt sich mehrminütiger, mit Standing Ovation durchsetzter Jubel, an.
Das die Vorstellung beendet, der Applaus irgendwann verebbt ist, bedeutet zwar das Ende der Aufführung, doch nicht dass des Abends. Denn nun beginnt, besonders nach einer Vorstellung wie dieser, der für Einige wichtigste Teil: das Warten auf die Stars. Währenddessen wird mit Freunden über die Vorstellung gefachsimpelt. Später dann werden Papier und Stift gezückt, um sich Autogramme zu holen, Komplimente und Blumen werden verteilt. Manchmal auch Vitamine in Form von liebevoll polierten Äpfeln. Fotos werden gemacht und natürlich die obligatorischen Selfies. Schließlich aber verläuft sich die Menge. Die Lichter in der Apotheke, dem Fastfoodrestaurant und der Oper sind längst erloschen. Aus den Restaurants gegenüber schwebt der Duft von Pizza und edleren Speisen herüber, Musik ist zu hören, Lachen, Unterhaltungen.
Nun also ist ein schöner Abend an der Staatsoper Hamburg wirklich beendet. Und auch dieser Artikel, der dieses eine Mal, seine Professionalität zu einem großen Teil aus meiner persönlichen Freude am Spiel mit Worten und am „einfach so erzählen“ bezieht. Aber auch aus dem Wunsch, jene die nicht dabei sein konnten, so nachträglich teilhaben zu lassen, und zwar eher noch an der Atmosphäre, als nur allein an den Leistungen aller am Abend Beteiligten.
- Eindrücke eines besonderen Opernabends an der Hamburgischen Staatsoper von Birgit Kleinfeld/RED: DAS OPERNMAGAZIN
- Homepage der Staatsoper Hamburg
- Titelfoto: Foto @ Staatsoper Hamburg
- Das Aufführungsfoto entstammt nicht vom 16.4. – es ist eines der offiziellen Fotos der Staatsoper Hamburg
Dem kann ich nur zustimmen, der Abend war großartig. Verschiedene Unstimmigkeiten mit dem Orchester habe ich nicht bemerkt, bin aber auch eine ganz normale Operngängerin. Wobei, wenn schlecht gesungen oder gespielt wird höre ich das schon, so ist es nicht.
Selbst die Inszenierung fand ich jetzt beim 3. mal sehen akzeptabel.
Ein toller Opernabend mit hervorragenden Sängern,
Cornelia Lettau