Kirill Serebrennikov, neben der Regie, auch Hauptverantwortlicher für Bühnenbild und Kostüme, inszenierte Giuseppe Verdis Oper Nabucco an der Staatsoper Hamburg nicht vor Ort, sondern, da er in Moskau in Hausarrest sitzt, mittels wechselseitiger Videobotschaften und einem engagierten Unterstützer-Team hier in Hamburg.
Mehr denn je Sinnbild für die Freiheit, nicht nur der Gedanken: Nabucco an der Staatsoper Hamburg
(Rezension der Premiere v. 10.3.2019)
„Das sind sie.“ Dieser Satz steht während des Gefangenenchores auf einer Leinwand, die gleich unter den Obertiteln vor der Bühne hängt. Es werden Bilder von Flüchtlingen gezeigt. Meist Kinder mit und ohne Elternteil, aber auch junge und alte Menschen, Männer wie Frauen. Momentaufnahmen, die durch ihre Menschlichkeit berühren und durch ihre Aktualität nicht kalt lassen. Und zwischen dem, ganz in Schwarz gekleideten Chor der Hamburgischen Staatsoper und leicht zusammenklappbaren Zelten, sind echte ehemalige Flüchtlinge zu sehen.
Die Oper Nabucco, die am 9. März 1842 Uraufführung an der Mailänder Scala hatte, eröffnete das, was Verdi selbst seine „Galeerenjahre“ nannte, da er sich damals durch Verträge zum Schreiben von buchstäblich einer Oper nach der anderen verpflichtete.
Nabucco gehört dabei zu den erfolgreichsten dieser Zeit und behandelt den Krieg zwischen den Hebräern und den Baal anbeteten Leviten. Es geht um Macht, Krieg, und den Mangel an Religionsfreiheit und Menschlichkeit. Aber auch um verschmähte, wie erfüllte Liebe, Rache und letztlich Erkenntnis der eigenen Fehler,
Serebrennikov macht aus den damaligen Glaubensgegnern Gegner in Fragen der Flüchtlingskrise. So spielt der erste Akt im Sitzungssaal der Vereinten Nationen. Das Bühnenbild zeigt den obligatorischen runden Tisch, geöffnet nur, um Platz für das Rednerpult zu bieten. Auf einer Leinwand laufen Bilder ehemaliger, realer Demonstrationen. Abigail, Despot Nabucco und der positiv zu den Flüchtlingen eingestellte Zacharias posieren nacheinander für ein Fernsehteam. In der Pause geben sich nicht nur Ismaele und die Fenena, Tochter seines politischen Gegners Nabucco, ein Stelldichein, sondern auch andere Abgeordnete. Von dem Tisch für die Dolmetscher aus betrachtet die erboste, machthungrige Abigaille das Treiben. Kurz, wir sehen Menschen, wie wir sie aus unserem täglichen Leben kennen, keine überstilisierten Monster, an denen wir uns und unsere moralische Empörung reiben können. Ein Nabucco, der buchstäblich Köpfe rollen lässt oder auch der Einsatz von Kunstblut in Szenen der Auseinandersetzung, oder auch Videos und Fotos, die Sensationsheischend grausam sind, wären sicher leichter zu verdauen. Denn über so etwas kann man sich empören. Hier empört höchstens, dass ein Grund zu berechtigter Empörung fehlt.
Denn menschlich und realitätsbezogen geht es auch in den anderen Akten, den anderen Spielorten zu: Zum Beispiel im zweiten Akt, der ein komfortables, sehr edel in Grün und Gold tapeziertes, Büro darstellt. Ein digitalisiertes Spruchband informiert uns wann es das Büro von Abigaille, wann das von Zaccaria ist. In einer Szene nähert sie sich in einer Art, die wir sonst eher von männlichen Machthabern kennen, ihrem jungen Bodyguard. Ismaele der, da er aus Liebe zu Fenena die politischen Seiten wechselte, wird von seinen ehemaligen Parteikollegen verspottet. Nabucco wird nicht wahnsinnig, sondern erleidet augenscheinlich aus Selbstüberschätzung einen Herzinfarkt. Im dritten Akt dann fühlt sich ein Fernsehteam, das sich auf die Übertragung von Abigails Amtseinführung vorbereiten will, von staubsaugenden Putzfrauen gestört. Serebrennikov bietet uns noch viele weitere Kleinigkeiten, die uns auch im täglichen Leben begegnen, durchaus nicht nur tragisch, sondern auch augenzwinkernd. So ist zwischen den digitalisierten Lauftexten, die aus englischen Schlagzeilen bestehen, einer der lautet: „ Make Syrias people great again“
Stets wirkt alles authentisch und nachvollziehbar und dabei durchaus Werk- und Musikorientiert. Gibt es auch Worte, die in dieser Umsetzung fehl am Platz scheinen, so hält sich Serebrennikov ansonsten weitgehend an die Textaussagen. Und besonders in der Ouvertüre passt er die Handlung den musikalischen Passagen an: Putzfrauen, die, zum Motiv des Gefangenenchores dem Saal den letzten Schliff geben, während beim zackigen Finale die Abgeordneten den Raum betreten.
In den Umbaupausen wird der Bezug zum hier und jetzt noch deutlicher. Denn da spielt der syrische Musiker Abed Harsony auf der Oud. Auch singt er allein oder gemeinsam mit der auch aus Syrien geflohenen Sozialarbeiterin Hana Alkourbah syrische Melodien während auf der erwähnten Leinwand Bilder des Fotografen Sergey Ponomarev gezeigt werden. Bilder zu den Themen; „Ankunft, Weg und Krieg.“ Auch die Bilder zu „Das sind sie“ und „Leere Städte“ stammen von Ponomarev. Zu letzteren intoniert vor dem Vorhang der aus ehemaligen Flüchtlingen bestehende Projektchor Nabucco noch ein Mal: Va pensiero sull’ali dorate …
Die Wirkung lässt sich ideal mit einem etwas abgewandelten Zitat aus Heinrich Heines Deutschland – ein Wintermärchen, beschreiben: „Sie sangen mit wahrem Gefühle. Und leiser Stimme, doch ward ich sehr gerühret von ihrem Spiele.“
Auch die berufsmäßigen Sänger ließen es weder an ausdrucksstarkem Spiel, noch an schönen Stimmen, fehlen. Das gilt für den Chor der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Eberhard Friedrich ebenso, wie für Sungho Kim in der kleinen Partei des intriganten Abdallo, Na’ama Shulman als Zaccarias Schwester und rechte Hand Anna und auch Alin Anca, hier eher Staatschef Abigailles statt Hohepriester. Alle füllen das Profil, das der Regisseur ihren Rollen gab, adäquat und gut aus.
Die Charaktere der Protagonisten sind natürlich noch intensiver ausgearbeitet.
Oksana Dyka ist als Abigalle eine ganz und gar schillernde Persönlichkeit. Anfangs, im Dominanz unterstreichenden, roten Hosenanzug, sticht sie durch selbstsicher bis herrisches Verhalten aus der Menge der Politiker hervor. Im letzten Akt jedoch ist aus dieser Frau ein zerbrechliches, im Tod und den Armen anderer Frauen Schutz suchendes Wesen geworden. Ihr Sopran ist von ungewöhnlicher Stimmfarbe und daher von hohem Wiedererkennungswert.Stimmvolumen und besonders ihre Stimmkraft sind immens, manchmal klingen leichte Schwierigkeiten im Wechsel der Tonhöhen und Lautstärke an. Doch ihre Fähigkeit Abigailles Entwicklung höchst eindrucksvoll zu zeigen, macht alles, was es vielleicht zu bemängeln gibt, wett.
Auch Géraldine Chauvets Fenena, ist eine Frau und die, ab dem Moment, wenn sie ihrem Vater Nabucco erklärt nun Hebräerin zu sein, zu sich gefunden hat. Es ist eine Kleinigkeit in Chauvets Mimik, Geste uns Stimme in dieser Szene, die daran keinen Zweifel lässt. Und auch ihren Szenen mit Ismaele wohnt viel Intensität, Leidenschaft und Zärtlichkeit inne. Ihr schöner warm temperierter Sopran und dessen Ausdrucksfähigkeit kommt jedoch am besten in ihrer Arie an Nabuccos Krankenlager zu Geltung. Hier rührt sie an die Seele der Zuschauer.
Dovlet Nurgeldiyev, der im vergangenen Monat großen Erfolg an der Deutschen Oper Berlin als Don Ottavio (Don Giovanni) hatte, zeigt als Ismaele einmal mehr, dass das Ende der Fahnenstange seiner stimmlichen Entwicklung noch lange nicht erreicht ist. Es wird immer deutlicher, dass es an der Zeit ist für Nurgeldiyev, neben Mozart, für den er prädestiniert scheint, auch weitere Partien von Verdi und Puccini zu singen oder sich auch an einen Faust oder Werther zu wagen. Jene Rollen, die das Publikum so anzieht. Nurgeldiyev, der vor einigen Jahren noch sehr zurückhaltend im Spiel wirkte, zeigt aber auch, dass er nun nicht nur durch seinen lyrischen Tenor, sondern auch durch intensive, wandelbare Darstellung überzeugen kann: Liebevoll leidenschaftlich im Umgang mit Fenena, aufbrausend als er sich von Zaccaria ungerecht behandelt fühlt, enttäuscht aber auch entschlossen, als seine Parteikollegen ihn verspotten.
Alexander Vinogradov bietet als Zaccaria rein optisch schon das Bild des smarten, sympathischen, die Wähler für sich einnehmenden, Politiker. Der authentisch wirkt, in seiner Betroffenheit, aber auch zielstrebig in der Lage sich vor der Presse zu vermarkten. Der Stimmumfang des jungen Basses ist enorm, mühelos gelingt ihm der Wechsel der Tonlagen und die volle Wärme seiner Stimme geht unter die Haut.
Auch Dimitri Platanias, der die Titelrolle singt, verfügt über viel Wärme und Fülle in seinem Bariton. Seine Stimmmodulation zusammen mit empathisch intelligentem Spiel macht ihn ideal für die Partie des Nabucco. Überzeugte Platanias vor zwei Jahren als Macbeth hauptsächlich durch seinen eindrucksvollen Gesang, so kommt nun die Fähigkeit hinzu, auch als Despot, der durch Krankheit und Verlust geläutert wird, in seinen Bann zu ziehen. Bewunderungswürdig besonders die Szene, in der er zusammenbricht und über den Boden robbend singt und an Leben und Macht festhält oder auch die letzte Szene mit Abigaille. Beide Darsteller zeigen hier in Gesang und Spiel die innere Zerrissenheit von Vater und Tochter.
Die musikalische Leitung an diesem Abend hatte Paolo Carignani, der zusammen mit dem Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Verdis schwungvollen, wie auch lyrisch, dramatischen Melodien akzentuiert und einfühlsam Leben einhauchte.
Das Publikum brachte erst am Ende seine Begeisterung für die Leistung aller Darsteller und auch die auf ungewöhnliche Weise entstandene Regie, zum Ausdruck. Dann aber intensiv und wahrhaft vehement.
Natürlich ist dieser Nabucco auch ein politisches Statement, ein subtiles, moderates. Doch wer will es Co-Regisseur Evgeny Kulagin, Olga Pavlukh (Bühne) Tatyana Dolmatovskaya (Kostüme), Bernd Gallasch (Licht) und Videokünstler Ilya Shagalov, die Serebrennikovs Arbeit in Hamburg umsetzten, verdenken, dass sie sich nur stellvertretend für ihn feiern ließen und dabei fröhlich ein „Free Kiril“- Banner schwenkten?
- Rezension der Premiere von Birgit Kleinfeld / RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Weitere Termine, Infos und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
- Titelfoto: Hamburger Staatsoper /NABUCCO/Dimitri Platanias/ Foto @ Brinkhoff/Mögenburg
I had the possibility to follow this NABUCCO from HAMBURG by INTERNET : I agree with Birgit KLEINFELD of OPERN MAGAZIN !!
A fine Performance : unfortunately I couldn’t see the intelligent direction of Kirill SEREBRENNOKOV but I appreciated a lot the conductor CARIGNANI .
Amazing SINGERS : I heard Oksana DYKA at TEATRO alla SCALA of MI as Nedda of PAGLIACCI and she was fine .
Really overwhelming Géraldine CHAUVET as FENENA : I heard her a few times at ARENA di VERONA in the Leading Role of CARMEN, conducted by Placido DOMINGO, staged by Franco ZEFFIRELLI in 2009 & 2010 – then I was in New York where I heard her twice at THE METROPOLITAN OPERA, starring as Sesto in CLEMENZA di TITO and in LES CONTES D’ HOFFMANN as Nicklausse …. a fine Mezzosoprano !!
I also appreciated very much all the Men , especially PLATANIAS as Nabucco and VINOGRADOV as Zaccaria !!
I will do everything possible to get to HAMBURG in a few days, because I wanna attend this Performance of NABUCCO ….. I don’t wanna miss the Direction of KIRILL SEREBRENNIKOV and I will get ther togheter with other 5 Friend of mine !!
And finally I wanna thanks again the Writer BIRGIT KLEINFELD: the “Rezension” done on
OPERN MAGAZINE is really great and satisfying !!!
Thomas .