Staatsoper Hamburg: „Manon Lescaut“ – Erinnerungen an verlorene Liebe, Intrigen und brünstige Begierden

Staatsoper Hamburg/Innenraum/Foto @ Niklas Marc Heinecke

Manon Lescaut ist nach Le Villi und Edgar Giacomo Puccinis dritte Oper und war sein erster wirklicher Erfolg. Am 7. November 1893 war der Komponist persönlich anwesend, als hier in Hamburg die deutsche Erstaufführung seines Werkes stattfand. Am 01.04.2012 dann öffnete sich zum ersten Mal der Vorhang für die derzeitige Inszenierung, die nun ein weiteres Highlight der 2. italienischen Opernwochen darstellt. „Manon Lescaut“ erzählt die Geschichte des jungen Studenten Des Grieux‘ der sich unsterblich in die junge Manon verliebt, die zwischen ihrer Liebe zu ihm und der Liebe zu einem Luxusleben an der Seite des alten Geronte hin und hergerissen ist. Letztlich will sie mit Des Grieux fliehen, aber ohne auf ihre Juwelen zu verzichten. Dies hat eine gemeinsame Deportation und Manons Tod in einer einsamen Wüste zur Folge. (Rezension der besuchten Vorstellung v. 21.3.2019)

 

Auch von Jules Massenet gibt es eine oft gespielte, beliebte Oper, die sich mit dem Roman des Abbé Prevost beschäftigt. Puccini sagte dazu: „Massenet fühlt das Stück als Franzose, mit der Atmosphäre von Puder und Menuetten. Ich werde es als Italiener fühlen, mit der Leidenschaft der Verzweiflung.“ Regisseur Philipp Himmelmann sieht es ähnlich, denn er stellt die fast krankhafte Liebe zwischen Manon und Des Grieux in den Mittelpunkt seiner Produktion. Wir erleben die Oper als Des Grieux Erinnerung. Es ist allein Manon, die er ansieht, die er berührt, alle anderen sehen zwar ihn, sprechen zu ihm doch er kehrt ihnen stets den Rücken zu. Eine wirklich interessante, gut durchdachte Idee. Und doch passt jener Anmachspruch aus dem heutigen Leben, in dem es heißt: „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch ein Mal vorbeigehen?“ Auf den ersten Blick nämlich scheint Himmelsmanns Inszenierung zu jenen zu gehören, bei denen der Regisseur die eigene Meinung über Handlung und Musik stellt. Es braucht, den Willen sich einzulassen und ein zweites oder auch drittes Mal Puccinis wunderbare Musik zu genießen um die Qualität der Regie zu erkennen. Was sich jedoch wirklich lohnt. Denn an der oft fast chroreograffierten, und nur wenig stereotypen Personenführung Himmelmanns gibt es kaum etwa zu bemängeln. Das Befremdliche liegt an den Kostümen von Gesine Völlm und dem Bühnenbild von Johannes Leiacker, die in gewisser Weise „übermanteln, statt zu verdeutlichen.

Staatsoper Hamburg/ MANON LESCAUT/ Foto @ Monika Rittershaus

Den Bühnenhinterdgrund und auch die Seiten dominiert eine Fotowand mit schier unzähligen Porträts, aus der Zirkus-, beziehungsweise Varieté-Welt um die Jahrhundertwende 19/20 Jahrhundert. Völlm kleidet Chor und Protagonisten in einem ähnlichen Stil: Es tummeln sich in Weiß gewandete Clowns und Seiltänzerinnen auf der Bühne, Geronte erinnert zuerst an einen Bösewicht aus einem Dickens-Roman oder das Factotum Riff-Raff aus dem Kultfilm „Rocky-Horror Picture Show“ später wie alleseine männlichen Gäste an einen Satyr. Des Grieux Freund Edmondo stolpert in Riesenschuhen als eine Art schwarzer Harlekin hinter Des Grieux her. Lescaut, Manons Bruder, trägt ein Make-up, das an den Joker aus den Batman-Filmen erinnert. Des Grieux trägt zeitlosen Anzug, gegeltes Haar und „Puccini“-Bärtchen. Manon ist stets in Rot gekleidet. Zuerst in einem leicht schwingenden 20iger ahe Kleid, dann in eine Robe aus dem 18 Jahrhundert.
Mag dies alles anfangs wirklich befremdlich und überzogen wirken, so wird nach einer Weile doch deutlich, wie sehr es ins Konzept passt: Denn schließlich sehen wir die Erinnerungen, Träume eines Mannes der seine große Liebe, erst an eine Welt des Scheins, dann an den Tod verlor.

Musikalisch jedoch braucht es keinen zweiten oder dritten Anlauf um sich dem Genuss, einer wirklich hochkarätigen Aufführung hinzugeben.

Dem Philharmonisches Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa gelang es durch einfühlsame Harmonie nicht nur, die Facetten verschiedenster Emotionen und Themen hörbar zu machen. Das Vorspiel zum 3.Akt, beginnend mit einem Streicher-Dialog, verleitete einige Zuschauer zurecht zu einem Zwischenapplaus. Auch der Chor der Hamburgischen Staatsoper und die Darsteller der kleineren Rollen wie Shin Yeo (L’Oste), Ang Du (Un Comandante di Marina), Dongwon Kang (Il Maestro di Ballo), Hiroshi Amako (Un Lampionaio) überzeugen. Besondere Erwähnung verdienen hier der quirlige, stimmschöne „Un Musico“ von Gabriele Rossmanith und Jóhann Kristinsson als „Un Sergente degli Arcieri“, der seine Stimme aus der Haltung eines Primaten heraus, zum Klingen bringt. Oleksiy Palchykov zeigt als Edmondo seine komödiantische Seite, und die reine Klarheit seines lyrischen Tenors.

Vor 8 Jahren brillierte der Bass Tigran Martirossian als Mephisto in Gounods Faust/Margarete, nun zeigte er als Geronte di Ravoir, dass er seine dämonische Seite noch lange nicht verloren hat.

Doch natürlich sind es stets die Protagonisten, die das wahre Interesse, das „Hauptohren und Augenmerk“ des Publikum auf sich ziehen. Gestern bot die Staatsoper Hamburg mit Jorge de León als Des Grieux und Kristine Opolais in der Titelrolle, zwei Sänger auf die längst einen Platz in der Riege der Opernstars innehaben.

Es wird nicht lange dauern, dann wird auch er endgültig dazu gehören: Der junge italienische Bariton Vittorio Prato, der schon jetzt als Spezialist für Belcanto gilt und gestern in der Partie des Lescaut, sein Rollen-,wie auch Hausdebüt gab. Und welch ein Debüt! Prato besitzt eine selbst verständliche Bühnenpräsenz und eine wunderbar leichte Selbstverständlichkeit in Spiel und Bewegung und dazu eine frische Eleganz. Dies alles passt gut zu dem nicht leicht durchschaubaren Lescaut, der auf der einen Seite inzestuöse Gefühle für seine Schwester zu hegen scheint. Andererseits jedoch nicht zögert, sie an Geronte zu verkaufen.

Staatsoper Hamburg/MANON LESCAUT/ Foto @ Monika Rittershaus

Vielleicht liegt es daran, dass Manon Lescaut die Themen, Liebe und Luxus behandelt, denn seine Stimme legt einfach eine Metapher nahe, die aus dem kulinarischem kommt: Sein, in allen Lagen mühelos geführter Bariton, schmeichelt dem Ohr und den Sinnen: dunkel, voll und doch weich. Gleich einem edlen Rotwein, dessen Bouquet keiner Beschreibung, doch nur des Genusses bedarf.

Der von Teneriffa stammende Tenor Jorge de León begeisterte bereits im vergangenen November in der Rolle des unglücklich Liebenden. Auch er besticht durch intensives Spiel, weiß im ersten Akt Glück Leichtigkeit ebenso auszudrücken wie abgrundtiefes Leid am Ende. Er lässt schmunzeln, wenn er verträumt lächelnd mit sich selbst tanzt oder auf zwei Stühlen stehend, seinen Triumph auskostet, Manon Geronte entrisen zu haben. Seine Verzweiflung über ihr Leiden und Sterben geht unter die Haut.

Sein Tenor ist kraftvoll und erreicht den letzten Winkel des Zuschauersaals, ohne dass de León, den Eindruck vermittelt, es kostete ihm viel Kraft. Zumindest anfangs lässt er hier und da stimmliche Zartheit missen. Um bei kulinarischen Metaphern zu bleiben, erinnert seine Stimme, an einen alten kräftigen Whiskey der erst im Abgang, erst im Finale, wirkliche Weichheit zeigt. Dann aber umso intensiver. Denn der letzte Akt war an stimmlicher und darstellerischer Emotion und Schönheit kaum zu überbieten.

Dazu trug natürlich auch sie bei: Kristine Opolais. Ihre Manon ist voller Leben, voller innerer Zerrissenheit und entwickelt sich von dem unbedarften jungen Mädchen, über die Des Grieux, aber auch den Luxus liebt, hin zu der reifen, sterbenden Frau. Die erst als es zu spät ist, erkennt, was wirklich Bedeutung hat. Ihr Gesang ist voller Leidenschaft aber auch Zartheit, ihre Stimmfarbe ist besonders. Sie vereint Spritzigkeit mit einer gewissen Schwere und Reife. 

Am gestrigen Abend einhelliger Jubel des anwesenden Publikums in der Hamburger Staatsoper.

Wie sagt das Volk im ersten Akt dieser Oper? Ma bravo! Festeggiam la serata! Vortrefflich! Lasst uns den Abend feiern!

 

  • Rezension der besuchten Vorstellung von Birgit Kleinfeld/Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Weitere Termine, Infos und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
  • Titelfoto: Staatsoper Hamburg/MANON LESCAUT/ Foto @ Monika Rittershaus
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