STAATSOPER HAMBURG Madame Butterfly / Foto @ Bernd Uhlig

Puccinis „MADAMA BUTTERFLY“ an der Hamburger Staatsoper – Vorstellung vom 15.6.2017

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Madame Butterfly / Foto @ Bernd Uhlig

Stimmungsvoll, tief empfunden, ins Reich selbstzerstörerischer Sehnsuchtsträume entführt

Selbst der Skandal, der Misserfolg, der Uraufführung seiner „Madama Butterfly“ am 17.2.1904 konnte Giacomo Puccini nicht von der Überzeugung abbringen, mit ihr seine „am tiefsten empfundene und stimmungsvollste Oper“ geschrieben zu haben. Er war sich sicher „eine Revanche zu bekommen“. Tatsächlich feierte am 28.5. des gleichen Jahres die Provinzstadt Brescia, was die Metropole noch verhöhnte.
Auch heute noch ist „Madama Butterfly“ eine der beliebtesten und bekanntesten Opern überhaupt. Die Geschichte der fünfzehnjährigen Geisha Cho-Cho San, die, um die verarmte Familie zu retten, an den amerikanischen Marineoffizier B. F. Pinkerton verkauft wird, dies aber für eine legitime Ehe hält, berührt: Er sucht Amüsement und mietet eine Braut samt Wohnung für „999 Jahre.“ Sie konvertiert zu seinem Glauben, wird von der Familie verstoßen. Auch nach drei Jahren der Einsamkeit sieht sie, inzwischen Mutter eines blonden, blauäugigen Jungen, sich als Madama Pinkerton und nicht mehr als Madama Butterfly. Heiratsanträge, wie die Angebote einer erneuten Arbeit als Geisha lehnt sie, ab. Denn sie ist sicher, „un bel di vedremo“: Irgendwann kommt er zurück. Er tut dies, nun mit echter Ehefrau und nur zu dem Zwecke, das gemeinsame Kind in die Staaten zu holen. Dies bricht Butterfly, dem zarten Schmetterling, Flügel und Herz. Und so nimmt sie sich das Leben.

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Regisseur Vincent Boussard und Bühnenbildner Vincent Lemaire, – in Hamburg auch verantwortlich für eine weitere Puccini-Oper, eine ohne den üblichen Westernkitsch, „La Fanciulla del West“, unterstreichen auch hier die vorhandenen veristischen Elemente der Musik und der Handlung. Die Elemente, welche Realitätsnähe geprägt durch Leidenschaft und auch Grausamkeit widerspiegeln. Dominierten in „Fanciulla“ ein Bartresen, bzw,. ein altmodischer Kronleuchter das Bühnenbild, so ist es hier eine freischwebende Treppe, die von der Unterbühne bis in den Bühnenhimmel führt. Sie erinnert an eine papierene und damit fragile „Himmelsleiter“, die wider Erwarten alles hält und sogar einigen Halt bietet. Das Bühnenbild im Hintergrund ist schlicht und doch voller Symbolkraft: Weiße Prospekte mit zarten, fast schattenhaften Mohnblüten, jenen Blumen, die Butterfly bei der Vermählung im Haar trägt. Verantwortlich für die Kostüme zeichnet niemand geringerer als Modeschöpfer Christian Lacroix. Seine knallbunten, klassisch japanischen Kimono-Schöpfungen für Cho-Cho Sans Familie, sind gespickt mit westlichen Elementen, wie karierten Innenseiten der Kimonos oder an Florentinerhüte mahnende Kopfbedeckungen bei den Damen, und Hüten, die bereits zu Pucccinis Zeiten in der westlichen Welt getragen wurden, bei den Herren.

Nur Butterfly erscheint im ersten Akt wirklich unberührt-traditionell in einem weißen, mit zarten Gold – und Apricottönen verzierten Hochzeitskimono. Genauso konsequent ist sie im zweiten und dritten Akt dann in verhaltenen Grautöne und Jeans gekleidet, bzw., kurz vor ihrem Tod, in einen schwarzen Herrenbademantel, der ein Relikt von Pinkerton zu sein scheint. Boussard zeigt auf diese Weise ihre Veränderung. Nicht nur ihre Familie verstößt sie, sondern auch sie macht einen – fast kompletten – Cut. Sie sitzt, liegt und kauert in einem schweren Sessel aus Leder. Ob die Tatsache, dass dies das einzige Möbelstück ist und Whiskyflasche und -glas auf dem Boden bereitstehen, weil ihr und Suzuki langsam das Geld ausgeht, oder ob es ein letztes Klammern an ihre alte Kultur ist, bleibt dem Betrachter, seiner Fantasie und Interpretation überlassen. Wie vieles andere auch. Klar ist jedoch, dass Boussard, Lemaire und Lacroix weder ein romantisch-trauriges Märchen, noch eine politisch angehauchte Parabel zeigen wollen, sondern das Drama, das sich in der Psyche von ihrer Sehnsucht beherrschten Menschen abspielt.

Als Cho-Cho San gab eine Vorstellung zuvor, am 7. Juni, Lianna Haroutounian ihr Hausdebüt an der Staatsoper Hamburg. Die armenische Sopranistin, die in großen Opernhäusern, wie der Royal Opera in London, der Met in New York, Seattle, San Francisco, Zürich und Berlin zuhause zu sein scheint, besticht, schon bevor sie die Bühne betritt, mit einem Stimmvolumen, das auch der bekanntermaßen schwierigen Akustik in der Staatsoper Hamburg trotzt. Ihr, besonders in den Höhen metallenes Timbre, ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack, doch ist sie unbestreitbar eine, die die Rolle mit stimmlicher und darstellerischer Verve und auch Empathie für die Rolle ausführt. Ohne Schwierigkeiten wechselte sie vom zart, schüchternen Piano hin zu leidenschaftlichen Tönen. Ihre Stimmmodulation, besonders, wenn sie über ihren Sohn oder im Finale mit ihrem Sohn sang/sprach, verursachte Gänsehaut. So überzeugend stellte sie, die in einer Sehnsuchts-Traumwelt ganz und gar Gefangene, auch hörbar dar.

STAATSOPER HAMBURG Madame Butterfly / Foto @ Bernd Uhlig
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Denn Boussard verzichtet auf einen Kinderdarsteller, bei seiner Inszenierung gehört die Sehnsucht nach diesem Kind genauso zu Butterflys gelebter Selbsttäuschung, wie die nach Pinkerton. Es gibt eine Puppe, ungefähr so groß wie ein zweijähriges Kind und in einer Art Wandschrank unzählig viele kleiner Exemplare. Alle  blond, eine in weißer Uniform, wie ehemals Pinkterton. Diese Wendung ist etwas befremdlich, besonders wenn es textlich um die Übergabe des Sohnes an Pinkerton geht. Es kommt die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Lösung auf. Symbolisieren die vielen kleinen Puppen gar, wie spezielle japanische Puppen, die Seelen von Cho-Cho Sans oder auch Pinkertons Ahnen? Als letzte Bindung zu ihrem kulturellen Ursprung? Hat Sharpless (Alexey Bogdanchikov), der Konsul und stetige Mittler zwischen den Welten, es versäumt Pinkerton und seiner Frau mitzuteilen, dass es den Sohn, den sie abholen wollen, gar nicht gibt?

Weder Boussard noch die eher zurückhaltende, schauspielerische Leistung Alexey Bogdanchikovs helfen, eine Antwort zu finden. Bogdanchikov wirkte leider all zu oft nicht frei in seinem Spiel, was sich auch auf seinen Gesang auswirkt. Unnötigerweise, weil er im vergangenen Jahr als Onegin und 2015 als Marquis Posa in Verdis „Don Carlos“ bereits bewies, dass er nicht nur gefallen, sondern wirklich begeistern kann.

Der argentinische Tenor Marcelo Puente hingegen, der ebenfalls am 7.6. sein Hausdebüt gegeben hatte, zog das Publikum schnell in seinen Bann. Überzeugend gibt er den Dandy-haften Amerikaner, der in dieser Produktion von Anfang an dem Whiskey mehr zuspricht, als in anderen Inszenierungen. Scheint dies im ersten Akt noch wie die gleichgültig überhebliche Demonstration westlichen savoir-vivres, so wirkt er am Ende wie ein gebrochener Mann, der im Alkohol suchte, was er auch in seiner wahren Ehe nicht fand. Puentes Stimme scheint wie geschaffen für Puccini, denn als echter „tenore spinto“ liegt seine Stimmlage zwischen dem dramatischem und dem lyrischen Fach, was zu einem Pinkerton genauso gut passt, wie zu einem Rudolfo oder einem Cavaradossi. Letzteren sang er einen Tag vor seinem Auftritt in Hamburg an der „Deutschen Oper am Rhein“ in Düsseldorf. Das seine Stimme nicht – und nur zu Beginn leicht – angestrengt klang, verdankt er sicher einer sehr guten Technik. Sie erlaubte ihm strahlende Höhen betörend schöne Decrescendi- und Pianopassagen und ein dahin geschmettertes, schmerzlich zu Herzen gehendes „Butterfly, Butterfly …“ am Schluss.

STAATSOPER HAMBURG Madame Butterfly / Foto @ Bernd Uhlig
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Aber auch Michael Smallwood als Heiratsvermittler Goro, Peter Galliard als abgewiesener Bräutigam Yamadori, Cristina Damian als treue Dienerin Suzuki und Narea Son als Kate Pinkerton, verdienen eine Erwähnung. Wobei Damian und Son subtil und und unfreiwillig, der Inszenierung ein gewisses fragwürdiges Etwas hinzufügen:

Damians braun-rote Haarpracht, für eine Japanarin eher untypisch, wurde nicht unter einer Perücke versteckt. Und das eine Südkoreanerin, die als solche auch unter ihrer platinblonden Perücke zu erkennen ist, Pinkertons Gattin spielt, wirkt, als hätte ihr Gatte doch noch Sehnsucht, nach der einst gekauften Braut.

Das Dirigat von Johannes Fritzsch jedoch wurde an diesem Abend der Vielschichtigkeit der Musik Puccinis nicht gerecht, der schon zu Beginn in der Ouvertüre westliche Hektik hörbar macht und die gesamte Oper hindurch geschickt westliche wie exotisch- asiatische Elemente so verknüpft, dass Stimmungen, Emotionen und vieles mehr, nicht nur durch Aktionen auf der Bühne, sondern auch mit dem Ohr erkannt werden können. Ferner fehlte es Fritzsch manchmal an der Sensibilität, zu erkennen, wann die Sänger der Lautstärke des Orchesters einfach nicht mehr gewachsen sein konnten.

Fazit: Die komplexe Inszenierung, die Fragen offen lässt, aber noch mehr Lianna Haroutounian und Marcelo Puente, sind es wert, über einen weiteren Besuch von „Madama Butterfly“ an der Hamburger Staatsoper nachzudenken. Und Puccinis Musik sowieso.

 

*Besuchte und rezensierte Vorstellung vom 15. Juni 2017, Rezension von Birgit Kleinfeld, Hamburg

*Homepage Staatsoper Hamburg

*Titelfoto: STAATSOPER HAMBURG/ Madame Butterfly / Foto @ Bernd Uhlig

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