Der Kinder- und Jugendchor gestaltet unter der Regie von Jürgen R. Weber und der Leitung seiner Dirigentin Ekaterina Klewitz mit Szenen aus Goethes „Faust“ einen Abend der Sonderklasse. Angekündigt als „musikalisches Traumspiel nach Johann Wolfgang von Goethe“ ist die szenische Collage mit Musik verschiedener Komponisten und mit Video-Animationen musikalisch und optisch ein Genuss. (Premierenrezension)
Besonders beeindrucken die solistischen Leistungen einzelner Chormitglieder, die sich die Rollen von Gretchen, Helena und Faust aufteilen. Hier zeigt sich die Fähigkeit der Chorleiterin Ekaterina Klewitz, ihre Schützlinge zu fördern und zu fordern.
Mit großem Geschick wählt Klewitz die Musikstücke aus. Aus Gounods „Faust“ übernimmt sie den Faust-Walzer, den Soldatenchor und das Lied vom goldenen Kalb, das Vincenzo Neri als Mephisto mit dem Chor gestaltet. Er ist ein junger Bariton mit einer beweglichen dunkel timbrierten Stimme und einer enormen Bühnenpräsenz, auch als Schauspieler, dem die Rolle offensichtlich liegt.
Neri, Neuzugang im Bonner Ensemble, glänzt auch mit Beethovens „Flohlied“ und mit „Brandners Lied“ und „Mephistos Lied“ aus Richard Wagners „7 Kompositionen zu ‚Faust‘“.
Sein Pakt mit Faust wird aus Arrigo Boitos „Mefistofele“ übernommen. Für diese Opernszene übernimmt Santiago Sanchez den Part des jungen Faust , auch er neu im Ensemble der Bonner Oper. Er hat ganz am Schluss seinen großen Auftritt mit einem Solo in einem Auszug aus Mahlers 8. Sinfonie: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis/Das Unzulängliche hier wird’s Ereignis/das Unbeschreibliche, hier wird es getan/Das Ewigweibliche zieht uns hinan.“
Coronabedingt sehr statisch verharren die Chormitglieder auf ihren zugewiesenen Plätzen, lediglich Faust, Mephisto und der Kaiser mit seiner Entourage bewegen sich über die Bühne. Auf zwei Türmen werden ein Stockwerk höher die Darsteller des jungen Faust (linker Turm) und Gretchens (rechter Turm) untergebracht. Auf diese Weise können bis zu 55 Chorsängerinnen und -Sänger auf der Bühne agieren.
Bewegung ergibt sich aus der Choreographie – sie bewegen sich alle synchron – und aus den faszinierenden Videosequenzen von Gretchen Fan Weber. Die Wand zwischen den beiden Türmen ist eine große Leinwand, auf der zum Beispiel zum „Flohlied“ ein Rad fahrender und krabbelnder Floh als Zeichentrick eingespielt werden.
Hervorragend gelungen ist die Darstellung der Gretchen-Tragödie, angefangen mit der bewegenden Ballade vom König in Thule, ergreifend schlicht gesungen von Barbara Prada Rojas, über Richard Wagners „Gretchen am Spinnrad“, in dem mehrere Gretchen-Darstellerinnen mit dem Mädchenchor deutlich machen, wie sehr die bedingungslose Liebe zu Faust die junge naive Margarete aus der Bahn wirft, und „Ach neige Du Schmerzensreiche“ auf eine Romanze von Verdi mit Chor interpretiert von Susanna Kilian. Das schlechte Gewissen aufgrund des Todes der Mutter wird mit dem Andante aus Beethovens 4. Klavierkonzert, die Schuldgefühle wegen der Kindstötung mit Beethovens „La Marmotte“ op. 53, Nr. 7 unterlegt.
Das Hexeneinmaleins wird souverän und polyphon auf Beethovens Große Fuge op. 133 gesungen, ein Rap mit Beatbox und Percussion schildert Fausts Leidenschaft für die schöne Helena. Dass dieser Stilmix nicht konfus wirkt liegt an der Rahmenhandlung, in die die Regisseur Jürgen R. Weber auch Szenen aus Faust II und Fausts Tod einbezieht.
Der Saxophonist Tobias Marc Rüger unterstreicht sehr ausdrucksstark hauptsächlich Mephistos Szenen mit passender Begleitung und verleiht der Instrumentierung einen besonderen Reiz. Die 13 Musikeri*innen des Beethoven-Orchesters im Orchestergraben spielen auf hohem Niveau, können aber natürlich nicht die Original-Instrumentierung der Opernszenen und der „Sinfonie der 1000“ und der „Faust-Sinfonie“ von Liszt wiedergeben.
Dirigentin Ekaterina Klewitz hat die Musik ausgewählt und arrangiert und dabei die Möglichkeiten ihres Chors und des kleinen Orchesters im Blick behalten.
Die Dialoge, alles Texte von Goethe, sind gesprochen mit englischen Übertiteln, die Gesangsnummern haben deutsche und englische Übertitel. Im Programmheft gibt es einen QR-Code, mit dem Zuschauer den kompletten Text auf ihr Smartphone laden können – sehr hilfreich für die Rezension oder wenn man einen Platz ohne Sicht auf die Übertitel hat!
Die für den Chor einheitlichen Kostüme von Tristan Jaspersen ermöglichen rasche Szenenwechsel, und Haarteile bzw. Bärte aus der Maske (Andrea Buuck-Grass, Madeleine Kurz und Michelle Deutz) verdeutlichen eindrucksvoll die Rollen.
Faust als alter Mann hat einen so langen Bart, dass man befürchtet, er werde darüber stolpern. Später wickelt er sich den um den Hals. Ludwig Grubert, Pseudonym für Jürgen R. Weber, der ihn selbst verkörpert, lässt auch den Humor nicht zu kurz kommen.
Als Opern- und Klassikfreund genießt man das Ratespiel um die Herkunft der Kompositionen, als Theaterfreak erlebt man einen herrlich erfrischenden Zugang zu Goethes „Faust“, und als junger Zuschauer ist man fasziniert von dem optisch und musikalisch überwältigenden Stück Musiktheater, das definitiv Lust auf mehr macht.
1992/93 vom Theater Bonn gegründet mit dem Ziel, einen Kinderchor für entsprechende Partien in großen Opern wie „Carmen“, „La Boheme“, „Rosenkavalier“ oder dem Musical „Evita“ zu haben, hat der Chor in den letzten Jahren auch mit Eigenproduktionen auf sich aufmerksam gemacht, unter anderem mit einer beeindruckenden szenischen Realisation von Schuberts „Winterreise“ in der Spielzeit 2015/16 mit dem Tenor Christian Georg, bei dem wie diesmal auch Jürgen R. Weber Regie führte und Ekaterina Klewitz für die Arrangements und die Choreographie verantwortlich war.
Damit haben sie die Stücke wie „Der kleine Schornsteinfeger“ (2000/01) oder „Brundibár“ (1999/2000 und 2018/19), die ausdrücklich für Kinder- und Jugendchöre komponiert wurden, eindeutig hinter sich gelassen.
Beim Konzert zum 25-jährigen Bestehen des Kinder- und Jugendchors am 18. März 2018 zeigten sie auch im Bereich des Musicals und der Pop-Musik die ganze Bandbreite ihres Könnens. Im Kinder- und Jugendchor werden die jungen Sängerinnen und Sänger nicht nur musikalisch gebildet, sie lernen auch Teamgeist und Durchhaltevermögen.
Intendant Dr. Bernhard Helmich setzt das Stück im großen Haus an, in dem die aufgrund des Hygienekonzepts 320 erlaubten Plätze alle ausverkauft sind. Es wird 90 Minuten ohne Pause gespielt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Bonn / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Bonn/FAUST/Kinder-u. Jugendchor Theater Bonn/Foto © Thilo Beu