(OPERNMAGAZIN/OM): Sie sind in Georgien geboren und aufgewachsen. Wie kamen Sie in Berührung mit dem Gesang und der klassischen Musik.
(Otar Jorjikia/OJ): Das war ein langer Weg. In unserer Familie hat niemand gesungen oder musiziert. Ich habe aber seit ganz früher Jugend immer und überall gesungen. Egal wo ich war, immer wollte ich singen. Unsere Nachbarn haben stets gesagt, diesen Jungen muss man fördern. Schritt für Schritt bin ich dann beim Singen angekommen. Ich habe auch viel Fussball gespielt und auch dabei gesungen. Ich bekam dann die Möglichkeit, mit einem Volksmusikensemble zu singen. Anfangs war ich ein tiefer Bass, dann machte ich meine klassische Ausbildung als Bariton. Ich wurde eingeladen, in Wien eine Musikschule zu besuchen. Das war jedoch eine Schule für Musicalsänger. Bei einer Audition lernte ich Johannes Prinz kennen, ein sehr guter Mann, welche den Chor im Musikverein dirigierte. Dort habe ich auch Deutsch gelernt. Das war gar nicht einfach, da ich in den ersten Monaten in Wien überhaupt nichts verstanden habe. Ich begann, alle Wörter die ich brauchte aufzuschreiben und am Ende hatte ich eine Sammlung von 2700 Wörtern, welche ich gelernt hatte. Auch hier haben sich die Geduld und Ausdauer gelohnt. Er hat mir gleich gesagt, dass ich ein Tenor bin und da ich noch keine große Erfahrung hatte, war ich ganz sicher, diesen Ratschlag zu befolgen. Von diesem Zeitpunkt an habe ich Tenor gesungen und habe nach meiner Rückkehr nach Georgien bei einem sehr bekannten Sänger in unserer Heimat meine Ausbildung in dieser Stimmlage begonnen.
Ich hatte Gelegenheit, mit vielen Musikern und Sängern in Kontakt zu kommen und habe viele gute Tipps bekommen. Eine ganz wichtige Rolle jener Zeit spielte der berühmte Bass Paata Burchuladze. Er hat viel für mich getan und immer an mich geglaubt. In einem großen Konzert hat er mir die Rolle im Quartett aus «Rigoletto» gegeben. Ich war ja erst Student und auch als er mich dann die ganze Partie in dieser Oper singen liess, war er stets derjenige der sagte: «Du schaffst das». Er hat mir den Weg geebnet. Ich besuchte Meisterklassen mit Renato Bruson, war in Parma, Busetto und Bologna. Das waren immer sehr lehrreiche Erfahrungen. Eine weitere wichtige Begegnung war diejenige mit Liudmila Ivanova, einer großen Musikerin. Sie ist eine hervorragende Begleiterin, welche mit vielen berühmten Sängern gearbeitet hat.
Für mich war es immer eine Vision, wenn ich einen berühmten Namen hörte und mir vorstellte ich könnte mal mit einem dieser Künstler auf der Bühne stehen. Und plötzlich befindet man sich dann in dieser Situation. Was für eine Freude! Ein schönes Gefühl. Und vor allem eine Motivation, immer weiter zu machen und mit dem Kopf zu arbeiten und auf dem Boden zu bleiben. Ich bin sehr dankbar für all diese Wegbegleiter von Anfang bis heute. Sei es in der Musikschule, am Konservatorium, im Opernhaus, stets wurde mir viel mitgegeben. Gerade weil ich ja von Haus aus niemanden hatte, der mich mit der Musik unterstützten konnte.
(OM): Am Konservatorium in Tiflis haben Sie Ihr Studium abgeschlossen und in einigen großen Rollen erfolgreich Erfahrungen gesammelt. Wie sind die Möglichkeiten in Georgien?
(OJ): Dort habe in den Magister gemacht. In Tiflis gibt es eine schöne Schule für klassische Ausbildung mit sehr guten Lehrern. Es hat auch ein Opernstudio mit großem Saal und Platz für ein Orchester, fast wie in der Oper. Bevor ich am Opernhaus sang, habe ich dort meine erste große Rolle gesungen. Den Tamino in der «Zauberflöte». Ich war sehr nervös, da es sich nicht um eine leichte Partie handelte. Doch es hatte sehr gut geklappt und daraufhin durfte ich Alfredo, Nemorino und Lenski singen. Man musste sehr viel lernen und immer mental und körperlich Fit bleiben. Es war eine ganz schöne Zeit an diesem Konservatorium.
(OM): Sie haben ja bereits sehr früh wichtige Preise gewonnen, welche Ihnen weitere Wege ebneten. Was war für Sie in dieser Zeit am schwierigsten?
(OJ): Ich hatte eine Zeit erlebt, da dachte ich, ich kann nicht mehr weiter machen mit Singen. Das hatte aber nichts mit dem Beruf zu tun, sondern mit privaten Gegebenheiten, welche mich stark einschränkten. 2010 war dies so und während 3-4 Jahren war es sehr schwer. Obwohl ich dachte, dass es mir zuviel würde, habe ich dank der Unterstützung vor allem meiner Ehefrau und Freunden wieder zurückgefunden und bin sehr glücklich darüber. Mein Professor hatte in Moskau eine Schule für Begleitung gegründet und wollte mit mir die «Dichterliebe» von Schumann einstudieren. Mein Vater war sehr krank und ich konnte nicht oft genug zum Studium beim Professor erscheinen. Er meinte es gut und hatte mir gesagt, dass ich dies nicht unbedingt machen müsste. Er gab mir nicht das Gefühl, es nicht zu schaffen, sondern dass es einfach nicht der richtige Zeitpunkt war. Er war eine große Hilfe und am Ende haben wir es dann doch geschafft. Solche Geschichten haben mich ermutigt weiter zu machen.
(OM): Sie waren am berühmten Opernstudio in Zürich und begegneten an diesem Haus vielen bedeutenden Sängern. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
(OJ): Unglaublich! Also mit der Schweiz habe ich nur die schönsten Erinnerungen. Vom ersten Tag an, als ich 2011 hier angekommen war, fühlte ich mich wohl und jedesmal wenn ich wiederkomme und aus dem Flugzeug steige, bin ich wie Zuhause. Ich hatte dann die Möglichkeit, für einen Kollegen die Tenorpartie im Verdi-Requiem zu übernehmen, welches als Ballett ein unglaublicher Erfolg war. Ebenfalls konnte ich dann für Marcelo Alvarez in Verdi’s «Maskenball» einspringen. Alle haben an mich geglaubt. Für jede Minute hier im Opernhaus Zürich bin ich froh und dankbar. Alle Menschen, die hier arbeiten, vor und hinter den Kulissen, sind stets sehr nett. Man kommt hierher und fühlt sich einfach wohl. Auch in Basel hatte ich eine sehr gute Zeit als ich den Pinkerton in «Madama Butterfly» sang. Meine Familie freut sich immer auf die Schweiz.
(OM): Vor kurzen waren sie an der Seite von Placido Domingo im «Simon Boccanegra» in Baden-Baden aufgetreten und am 13. Oktober 2019 sollte ja wieder eine Begegnung mit diesem berühmten Kollegen hier am Opernhaus Zürich stattfinden. Wie war Ihre Arbeit mit dieser Ikone der Opernwelt.
(OJ): Er ist eine lebende Legende. Ich habe ja bereits 2016 in St. Petersburg mit ihm in «Simon Boccanegra» gesungen. Er ist ein Gentleman und war stets sehr freundlich und hat mir Komplimente gemacht. Das war wirklich ein Erlebnis.
(OM): Sie sind hier in Zürich als Ismaele in «Nabucco» zu hören und stehen mit weiteren bekannten Kollegen auf der Bühne. Wie empfinden Sie diese Aufgabe?
(OJ): Diese Produktion ist sehr interessant für mich. Andreas Homoki hat es geschafft, mit nur einer Wand auf der Bühne diese Geschichte sichtbar zu machen. Das ist außergewöhnlich und sehr ästhetisch. Man kann sich als Zuschauer auf die einzelnen Figuren konzentrieren und die Chorszenen sind sehr eindrucksvoll.
(OM): Sie konnten viele Erfahrungen an verschiedenen Häusern sammeln und in großen Rollen auftreten. Was war Ihre grösste Herausforderung?
(OJ): Das war ganz sicher «Un ballo in maschera» hier in Zürich. Eine unerwartete Überraschung. Ich war am Abend vor der Vorstellung hier angekommen, weil das Opernhaus mich angefragt hat. Marcelo Alvarez fühlte sich nicht so gut und eventuell sollte ich für ihn einspringen. Ich erlebte eine große Unterstützung von allen Mitarbeitern im Haus. Am Tag der Vorstellung hatte man mir gesagt, wenn wir uns bis 12.00 h nicht melden, dann müsse ich nicht einspringen. Nach 12.00 h gingen wir dann einkaufen. Um 14.00 h kam der Anruf, ich sollte sofort kommen. Hatte dann die Proben gemacht, das Kostüm wurde angepasst, dann schnell nach Hause und ab auf die Bühne. Und es hat geklappt.
(OM): Die Karriere eines Opernsängers ist von sehr viel Geduld und Weiterbildung geprägt. Wie bereiten Sie sich auf die Rollen vor?
(OJ): Die Regisseure helfen sehr viel. Doch man muss mit ihnen den richtigen Weg finden. Zum Beispiel in «Carmen». Alle haben eine andere Vorstellung von der Interpretation. Als erstes höre ich zu und versuche zu verstehen, was das Konzept ist. Ich weiss ja, was ich singe. Doch manchmal ist die Vision des Regisseurs ganz entfernt von dem was ich singe und da muss man dann zusammen versuchen, eine Lösung zu finden. Ich hatte am Konservatorium sehr gute Lehrerinnen und dank diesen Erfahrungen kann ich mich heute auf der Bühne gut bewegen und die Ideen der Inszenierungen ausführen. In der Aufführung wirke nicht nur ich mit, es sind der Chor, das Orchester und alle Solisten und die vielen Menschen im Hintergrund da und wenn dann nur etwas nicht funktioniert, merkt man dies sofort. Wir sind ein Team.
(OM): Gerade an den ganz großen Häusern, an denen Sie ja bereits aufgetreten sind, herrschen oft strenge Hierarchien und die Erwartungen sind sehr hoch. Wie gehen Sie damit um?
(OJ): Es ist in jedem Haus anders. Manchmal mehr oder weniger. Einer der natürlich sehr viel geleistet hat und schon lange dabei ist, von dem hat man Respekt und kann von ihm viel lernen. Es ist ja klar, das jüngere Sänger sich zuerst bewähren müssen und die großen Sänger natürlich auch hinhören, wer da nun neu ist. Im Idealfall ist es ein Geben und Nehmen. Hierarchien gibt es ja in jedem Metier und das kann durchaus auch hilfreich sei
(OM): Die Reisen und der Aufenthalt an immer neuen Orten, brauchen viel Flexibilität. Wie gehen damit um? Was ist Ihr Ausgleich zum Gesang. Hobbys?
(OJ): Es ist nicht leicht. Heutzutage hat man aber viele Möglichkeiten in Kontakt zu sein. Oft reist man dann auch nur für einige Tage wieder nach Hause. Man lernt aber auch viele neue Leute kennen und andere Kulturen. Das macht solche Reisen natürlich auch interessant.
Ich hatte ja schon die Gelegenheit, in Australien an der Sydney Opera zu singen. Auch dort habe ich ganz tolle Erfahrungen gemacht, viele Eindrücke mitgenommen. Meine Hobbys sind vor allem geselliges Zusammensein. Ich mag sehr gerne den georgischen Wein, welcher wohl einer der besten Weine ist. Aber auch in Italien und in Frankreich, Spanien oder in Australien habe ich genug Gelegenheiten die verschiedenen Weine zu testen. Ich habe auch als Student in Mainz als Barmen gearbeitet. So konnte ich auch viele Weine kennenlernen. Das war gleich nach dem Studium. Ich mag auch Autos und fahre ab und zu auf Rennstrecken.
Bei uns in Georgien ist man gesellig und gerne mit den Freunden zusammen. Dann trinkt man Wein und isst gute Spezialitäten und teilt alles. Typisch ist auch, dass immer gesungen wird. Ohne Gesang ist man kein Georgier. Das ist noch Zusammensein, wie es heute immer weniger gepflegt wird.
(OM): Was sind Ihre nächsten Pläne?
(OJ): Meine nächsten Pläne sind Nemorino im «Liebestrank» in Toulouse. Das ist eine meiner Lieblingspartien. Eine herrliche Rolle. Eine fröhliche Rolle. Wie die Georgier am Tisch. Das Opernhaus dort ist sehr schön und auch das Team ist herzlich. Dann geht es direkt nach Sydney zu Carmen.
(OM): Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg. Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
- Das Interview führte Marco Stücklin für DAS OPERNMAGAZIN/Red. D/CH
- Titelfoto: Otar Jorjikia/Foto @ privat