An der Wuppertaler Oper hat mit Beginn dieser Spielzeit wirklich eine neue Ära begonnen, denn mit Antritt des neuen Intendanten besitzt das Theater Wuppertal als erstes Haus kein eigenes Sängerensemble mehr. Die Produktionen werden jeweils mit Gastsängern in Serie hintereinander abgespielt und tauchen vielleicht noch als Wiederaufnahme irgendwann wieder auf.
Meiner Meinung nach ein falscher Weg, denn das Publikum eines Stadttheaters identifiziert sich stets mit seinen Lieblingen und möchte diese gerne in verschiedenen Rollen erleben. Derartige persönliche Identifikation des Zuschauers mit seinem Haus hält nicht nur ein Theater zusammen, sondern fördert auch die Kontinuität im Sinne guter, zuverlässiger Besucherzahlen.
Dazu kommt leider ein Spielplan, der zu den langweiligsten der Theaterlandschaftgehört; die bekannten Werke von Puccini, Wagner, Mozart und Strauss werden gegeben, wie an der Wiener Staatsoper (nur die spielt überwiegend für Touristen!). Das aufregendste ist noch die Übernahme einer szenischen Produktion von Bachs „Johannespassion“, dazu zwei Wiederaufnahmen ( Rossinis „Barbier“ und Humperdincks „Hänsel“), die für die Wuppertaler stets wichtigen Sparten vom Operette und Musical finden nicht statt.
Soweit meine Bedenken zur Entwicklung des Wuppertaler Theaters (siehe auch weiter unten den Kommentar unseres Chefredakteuers, Dr. Manfred Langer Quo Vadis, Wuppertal). Doch unvoreingenommen nun zu dieser ersten Produktion der neuen Saison: Giacomo Puccinis (vor zwölf Jahren zuletzt gespielter) „Tosca“.
Für die Inszenierung konnte der italienische Regisseur Stefano Poda gewonnen werden, der das Werk schon am Klagenfurter Theater in ähnlicher Form auf die Bühne gestellt hatte. Doch Poda, mit seinem Assistenten Paolo Giani Cei, ist nicht nur für die Regie zuständig, sondern auch in Personaluion für das Bühnenbild, die Kostüme und die Lichtgestaltung.
Mit den gewaltigen Akkorderöffnungen Puccinis öffnet sich die Bühne in ihrer gesamten Höhe zu einem imposanten Bild: schwarzer, weiß geäderter Marmor geriert eine Architektur, die an die monumentalen Bauten des italienischen Faschismus erinnert, auf der Mitte der Drehbühne eine Skulptur, die sowohl an in umgekehrtes Kreuz, wie auch an die Reiter in Schützengräben denken lassen, weiße Schwaden komplettieren den bedrohlichen Eindruck. In diesem gelungenen Interieur findet das Geplänkel zwischen dem Maler Cavaradossi und dem Messner statt, warum letzterer zum Angelus Liegestütze macht, erschließt sich mir nicht.
Bis jetzt keine große Spannung, doch das sollte sich mit dem Auftritt Floria Toscas ändern. Aus dem Hintergrund betritt eine Stehlampe mit Hüften die Bühne, nein, es ist Tosca mit einem selten dämlich aussehenden Hut, der sowohl kein Gesicht sehen läßt, als auch stimmhindernd ist. Nach drei Minuten nimmt sie dieses Gerät zum Glück ab, doch statt einer jungen, naiven, verliebten Künstlerin sehen wir eine Art Gouvernante in Kostüm mit strengem Dutt.
Da befinden wir uns schon mitten im ersten Problem dieser Inszenierung: Poda baut große Bilder, die recht schönen Beleuchtungen ändern sich minütlich, doch das konzentrierte Kammerspiel, das packende Psychodrama, findet nicht statt. Die Protagonisten bleiben recht papierene Opernklischees mit Stehen, Knien und Legen.
Der Chor absolviert einen Teil seiner Auftritte unnötigerweise vom Seitenrang. Die Bühne dreht sich, das Licht leuchtet, doch die Regie weiß nicht einen Deut für die Figuren zu interessieren; daran ändert weder das Papiergeschmeiße von großen Tisch des zweiten Aktes, noch die Stahlinstallation des dritten Aktes etwas. Wenn zwei Sekunden vor Schluß auch noch mit einem enormen Bühneneffekt aufgewartet wird (den ich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch für zutiefst falsch halte), ist das nach zwei Stunden Langeweile zutiefst unbefriedigend.
Manche schlechte Inszenierung wurde durch eine gute musikalische Seite aufgefangen. Doch hier haben wir das zweite, größere Problem des Abends: AnToshiyuki Kamiokas unbefriedigende Operndirigate während der Wuppertaler Umbauspielzeiten kann ich mich noch gut erinnern ( Wagners „Tristan“ sei hier nachdrücklich ausgenommen), nach den vergangenen Jahren hat er anscheinend nichts dazugelernt. Er mag ein guter Konzertdirigent sein, mit Musiktheater, zumal italienischer Oper, hat er nichts am Hut. Warum?
Weil er sich mit dem Orchester zwar gut geprobt durch die Partitur arbeitet, doch weder vom Text und dessen dramatischer Faktur, noch vom Gesang etwas zu verstehen scheint. Ein guter Operndirigent muß mit seinen Sängern atmen, doch Kamioka will stets seine Tempi durchsetzen, ob die Sänger da mithalten können oder nicht scheint ihm egal. Gerade bei den Schlagern „Vissi d àrte“ und „E lucevan le stelle“ läßt er seine Protagonisten schier verhungern. Auch mit der Lautstärke kennt er kein Pardon, ob der Sänger untergeht oder sich die Stimme aus dm Leibe schreien muß, was kümmert das. Ein trauriges Bild…
Was sollen da die Sänger schon an Rollenportrait arbeiten, wenn sie kaum Hilfe aus dem Graben zu erwarten haben, sondern mit der musikalischen Bewältigung ihrer Aufgaben beschaftigt sind, dabei könnte die Besetzung durchaus zufriedenstellen.
Mirjam Tola besitzt für die Titelpartie einen ansprechenden, durchsetzungsfähigen Sopran mit leichtem Vibrato, die gutturalen Gewohnheiten dieser Partie fallen bei ihrem eher hellen Timbre weg, doch was sind Gewohnheiten. Bei den gewaltigen, ungefilterten Klangeruptionen des zweiten Aktes singt sie sich jedoch fest, so geraten die Höhen in dritten recht angestrengt. Mikolaj Zalinski ist ein routinierter Scarpia, der sich mit Geschick aus der Affäre zieht, seine „Verismen“ sind jedoch nicht meine Geschmackssache. Xavier Moreno ist im Programmheft, zu Recht, als lyrischer Tenor angegeben; nun ist der Cavaradossi aber nicht wirklich eine genuin lyrische Partie. Zwar muß man um keinen Ton fürchten, doch die eminenten Höhen werden unter Druck angegangen. Rein vom Musikalischen ist er der sicherste der drei Hauptsänger, doch auf die Dauer tut er sich mit dieser Rolle stimmlich nichts Gutes an.
Dieter Goffing singt einen guten Messner, der leider die durchaus humoristischen Seiten der Partie nicht abgewinnen darf. Ein vokaler Totalausfall ist der Angelotti von Greg Ryerson dessen recht abgesungener Bariton entweder durch Sprechgesang oder quallige Intonation auffällt. Johannes Grau und Jan Szurgotals Spoleta und Sciarrone zeigen dagegen frisches Stimmpotential und auffällige Bühnenpräsenz. Warum sie böse, bisexuelle Jesuitenzöglinge darstellen müssen, weiß der Regisseur.
Jochen Bauer als Kerkermeister und Dominik Eitner als Hirtenknabe (warum sich dazu eine nackte junge Frau mit Busch einen Weg durch gruselige Francis-Bacon-Bischöfe bahnen muß, weiß ebenfalls der Regisseur alleine) komplettieren die Solisten. Der Wuppertaler Opernchor macht seine Sache ordentlich, wobei das Te Deum recht fahl klang, was wohl eher dem Dirigenten zugeordnet werden muß.
Fazit: Insgesamt die langweiligste „Tosca“ meines Lebens, den Schlußapplaus des an einem Mittwochabend erstaunlicher Weise nur halbvoll besetzten Hauses habe ich nicht mehr abgewartet. Auf der Premiere soll es – wie verlautet – jubelstürmende Ovationen gegeben haben.
Kritik von : Martin Freitag 12.9.14 / Der Opernfreund
Fotos: Uwe Stratmann / Oper Wuppertal