Oper Leipzig: „Der Liebestrank“ – vergnüglich, unkonventionell

Oper Leipzig/DER LIEBESTRANK/Foto © Kirsten Nijhof

Vergnüglich, wenn auch unkonventionell inszenierter „L’elisir d’amore“ („Der Liebestrank“)

Es kommt vor, dass Regisseure den Opern Ideen aufzwingen, die die Handlung entweder zu sehr vereinfachen oder falsch darstellen. Obwohl Rolando Villazón Gaetano Donizettis zweiaktiges „melodramma giocoso“ L’elisir d’amore als „Westernfilm“ statt in einem Dorf im Baskenland, etwa im Jahr 1815, inszeniert hat, beeinträchtigt der Wechsel des Schauplatzes weder die Figuren noch ihre Interaktionen untereinander. (Rezension der Vorstellung v. 21.05.2023)

 

In der Aufführung, die ich besucht habe, wurde Rolando Villazón den scheinbar komischen Aspekten Felice Romanis Librettos voll gerecht, und sein Konzept sorgte dafür, dass Nemorinos Liebe zu Adina nie in Frage gestellt wird. Eine Stärke der Inszenierung ist, dass sie nicht in Klischees über den nordamerikanischen „Wilden Westen“ verfällt. Die Bühne von Johannes Leiacker und die traditionellen Kostüme von Thibault Vancraenenbroeck und Agnès Barruel bringen uns die Handlung und den Schauplatz besser nahe als die Filme, die diese Produktion inspiriert haben. Villazóns Idee, die Oper auf einem Filmset zu inszenieren, zeigt einen interessanten Unterschied zwischen der Handlung vor der Kamera, die dem Verhalten von Menschen ähnelt, die wissen, dass sie beobachtet werden, und den Interaktionen „hinter den Kulissen“, bei denen die Figuren authentisch miteinander umgehen können. Belcore präsentiert ein falsches Bild des Militärdienstes, um Nemorino zum Dienst zu locken; Dulcamara macht Karriere als reisender „Apotheker“. Adinas und Nemorinos Gefühle füreinander erweisen sich als echt und werden daher in der Endfassung des „Films“ nicht gezeigt.

Ein Grund für die anhaltende Beliebtheit dieser 12. Mai 1832 am Mailänder Teatro della Canobbiana, uraufgeführten Oper ist der Fokus auf die Sehnsucht nach Liebe und Intimität sowie auf die Mittel, die die Menschen dafür einsetzen. Im ersten Akt liest Adina aus der Legende von Tristan und Isolde vor, wie Tristan durch einen Liebestrank die unerreichbare Liebe von Isolde gewinnt. Das bringt Nemorino auf die Idee, Dulcamara mit der Zubereitung eines Getränks zu beauftragen, das die wohlhabendere und besser gebildete Adina zu ihm locken soll. In der Folge hat Richard Wagner diese mittelalterliche Geschichte anders interpretiert. Während der Liebestrank in Wagners Tristan und Isolde letztlich zum Tod der beiden Protagonisten führt, vereint der von dem Scharlatan Dulcamara bereitgestellte Trank, der eigentlich aus Bourbon besteht, Adina und Nemorino in Liebe. Anders als in der Legende, die Adina im ersten Akt liest, erzählt Dulcamara ihr von dem sogenannten Elixier und davon, dass Nemorino sich im Militärdienst verkauft hat, um das notwendige Geld dafür zu erhalten. Adina erkennt die Tiefe von Nemorinos Liebe zu ihr und offenbart ihre Gefühle für ihn.

Diese Inszenierung sowie das außerordentliche Engagement der Sängerbesetzung brachte die Komplexität dieser Belcanto-Oper zur Geltung. Athanasia Zöhrer in der Rolle der Adina beherrschte die Bühne während der gesamten Aufführung. Neben einer bezaubernden Koloraturstimme verkörperte Zöhrer die Rolle in all ihren Aspekten. Ihr Auftritt war so fesselnd, dass sie die volle Aufmerksamkeit auf sich zog, wenn sie anwesend war. Athanasia Zöhrer vereinte alle Facetten von Adinas Persönlichkeit in sich: belesen, intelligent, flirtend, neckisch, humorvoll und unter ihrem fröhlichen Äußeren zuweilen auch melancholisch und fürsorglich. Die Herausforderungen von Donizettis Gesangspartien meisterte sie technisch und verlieh der Rolle eine klangliche Ausdrucksbreite, die auch ohne die visuellen Elemente der Inszenierung zu einem erfreulichen Hörerlebnis geworden wäre.

Der Schweizer Tenor Matthias Stier stellte Nemorino als einen unschuldigen jungen Mann dar, der sich nach Adinas Liebe sehnt. Gleichzeitig achtete Stier darauf, Nemorino nicht verzweifelt oder übermäßig aufdringlich gegenüber Adina zu machen. Stier hat eine hell klingende Tenorstimme, die authentisch italienisch und für Belcanto bestimmt scheint. Ohne die mit der Rolle verbundenen Komik vermissen zu lassen, machte Stier auch deutlich, dass in Nemorinos Charakter eine echte Traurigkeit steckt, die in eine Tragödie hätte umschlagen können, wenn Dulcamara Adina nicht das „Geheimnis“ des sogenannten Liebestranks verraten hätte.

Als Belcore strahlte Jonathan Michie Selbstvertrauen und sogar Angeberei aus, genau wie die Figur im Libretto beschrieben wird. Dieser Belcore ist bereit, Adina zu heiraten, aber es ist nicht klar, warum er sie den anderen Frauen vorzieht, die Interesse an ihm zeigen. Belcore ist ein einigermaßen gebildeter Sargent, der die Geschichte von Paris und dem goldenen Apfel aus Homers Ilias zitiert. Er ist auch in der Lage, Nemorino zum Militärdienst zu manipulieren, um das Geld für den Kauf einer zweiten Dosis Dulcamaras „Liebestrank“ zu bekommen. Michies vollstimmige Baritonstimme und Schauspielerei stellen Belcore als einen geschickten Verführer dar, der nicht traurig ist, wenn Adina beschließt, Nemorino zu heiraten.

Oper Leipzig/DER LIEBESTRANK/Foto © Kirsten Nijhof

Sejong Changs große Stärke als Dulcamara liegt darin, dass er ehrlich zeigt, wie die Figur wirklich ist: ein eigennütziger Betrüger, der Elixiere verkauft, die angeblich Gesundheit und Wohlbefinden fördern. Dulcamara hat es sich zum Beruf gemacht, Menschen zu täuschen und ihre Naivität zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Gleichzeitig weiß Chang, dass Dulcamara anziehend und umgänglich sein muss, um seine Ziele zu erreichen. Seine kraftvolle, aber beruhigende Bassstimme und sein persönlicher Charme lassen keinen Zweifel daran, dass Dulcamara schon lange gefälschte Medikamente verkauft und dass sein Erfolg wahrscheinlich anhalten wird.

Mit ihrer strahlenden Mezzosopranstimme schöpft Clara Fréjacques die vergleichsweise kleinere Rolle der Gianetta optimal aus. Der Chor der Oper Leipzig und die Komparserie der Oper Leipzig waren fast während der gesamten Aufführung in das Geschehen eingebunden, nicht nur musikalisch, sondern auch charakterlich mit wesentlichen Rollen. Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Samuel Emanuel spielte mit Virtuosität und einer Leichtigkeit der Textur, die für ein Orchester, das sich vor allem auf das romantische Repertoire konzentriert, nicht selbstverständlich ist.

Diese Aufführung ist eine Erinnerung daran, wie anspruchsvoll Donizettis Orchesterkomposition sein konnte, eine Eigenschaft, die diesem Komponisten selten ausreichend gewürdigt wird. Das Leipziger Gewandhaus auf der anderen Seite des Augustusplatzes der Oper Leipzig ist derzeit Aufführungsort des Gustav-Mahler-Festivals. Obwohl diese Komponisten sehr unterschiedlich sind, gibt es Anklänge an Donizettis Orchestrierung, insbesondere an Schlaginstrumenten (wie zum Beispiel gedämpfte Pauken und sanfte Beckenschläge) und Blasinstrumenten, die Mahlers Verwendung dieser Instrumente, insbesondere im Eröffnungssatz seiner dritten Symphonie, vorwegnehmen.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Leipzig / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Leipzig/DER LIEBESTRANK/Foto © Kirsten Nijhof
  • (Alle Fotos von der Premiere 14.09.2019)
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