
Eine Bombenstimmung und vielfacher Szenenapplaus für die anspruchsvoll choreographierten Tanzszenen und zündenden Gags mit ihrem perfekten Timing – Mel Brooks hat mit seinem Musical „Young Frankenstein“ (2007) eine umwerfend komische Horrorkomödie geschaffen, die den Film „Frankensteins Monster“ von 1931 persifliert. Auch in der zweiten Vorstellung war das überwiegend recht junge Publikum restlos begeistert und ließ sich zu stehenden Ovationen hinreißen. (Rezension der besuchten Vorstellung vom 25.08.2023)
Der Film „Frankensteins Monster“ wurde als einer der ersten Tonfilme 1931 nach dem Gothic-Roman von Mary Shelley aus dem Jahr 1817 gedreht. Es geht um den Forscher Dr. Victor Frankenstein, der in den transsilvanischen Bergen mit erheblichen photoelektrischen Effekten in seinem Schloss aus Leichenteilen ein lebendes Monster schafft. Boris Karloff ist als Darsteller dieses lebenden Monsters unsterblich geworden. Der 1926 geborene amerikanische Entertainer Mel Brooks schuf mit Co-Autor Thomas Meehan 1974 zu diesem Film die entsprechende Parodie: „Young Frankenstein“, selbstredend in schwarz-weiß, einen seiner größten Erfolge, die wegen ihres Drehbuchs und ihrer Dialoge für Oscars nominiert und ein Kassenrenner wurde. Der Film passte mit seinem respektlosen Witz genau in die Zeit der sexuellen Befreiung. Am 17. November 2007 krönte Mel Brooks die Erfolgsstory mit der Premiere der Musical-Version im Hilton-Theater in New York, zu der er selbst die Songs schrieb. Die spritzige Choreographie der Premiere wurde in Bonn übernommen und riss mit ihrem Tempo und ihrem Schwung das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Was die 18 TänzerInnen und MusicaldarstellerInnen da aufführten, nicht zu reden von den zahlreichen StatistInnen, die die Bühne füllten, war Broadway-verdächtig.

© Emma Szabó
Die Bonner Inszenierung arbeitet mit schwarz-weißen Videoeinspielungen, mit Prospekten und Maschinen, die der Kulisse des Frankenstein-Films von 1931 nachempfunden sind und beginnt wie ein Schwarz-weiß-Film. Die Unterbühne spielte beim Abstieg in den Horrorkeller eine große Rolle. Vor allem die zahlreichen zuckenden Blitze oder elektrischen Entladungen erzeugten eine unheimliche Atmosphäre wie im Klassiker von 1931, als man ein Labor für die Erschaffung von Monstern aus Menschenteilen darstellte.
Die brillante 13-köpfige Band unter der Leitung von Jürgen Grimm kreierte eine tolle 30-er-Jahre-Bigband-Atmosphäre mit Hits wie „Denn es war Liebe“, Ingas Jodelsong „Roll in The Hay“ und „Transsylvania Mania“ in großen Revue-Szenen. Spiel und Gesang (Regie: Jens Kerbel) gingen nahtlos über in flotte Tänze (Choreographie: Sabine Arthold). Die typgerechten Kostüme von Verena Podlowski gaben Farbtupfer im ansonsten überwiegend schwarz-weißen Bühnenbild von Momme Hinrichs mit Videos von Judith Selenko in der Lichtregie von Max Karbe. Das Sounddesign von Stephan Mauel sorgte dafür, dass Text und Musik gut verständlich waren, dazu gab es Übertitel mit dem englischen Originaltext, denn die Gags konnten von Frank Thannhäuser und Iris Schumacher nicht immer 1:1 übersetzt werden.

Das Darstellerteam überzeugte auf der ganzen Linie: Matthias Schlung als weltfremder Medizinprofessor Frederick Frankenstein, der an die Güte im von ihm geschaffenen Monster glaubt, Carina Sandhaus als verwöhnte selbstverliebte Beauty, die den rustikalen Reizen des Monsters verfällt, Kara Kemeny als jodelndes Naturkind Inga, das Frankenstein nicht nur im Labor assistiert, Daniela Ziegler als heiße Haushälterin Frau Blücher, die zugibt, Geliebte des verstorbenen Dr. Frankenstein gewesen zu sein, Hans-Jürgen Schatz als Inspector Kemp und als blinder Eremit, Nico Hartwig als Geist von Victor Frankenstein, Bernhard Niemeyer als Ziggy, der als Regieassistent auch für den erkrankten Regisseur Jens Kerbel die Endproben leitete, Michael Heller als buckliger schräger Diener Igor und vor allem Ethan Freeman als das Monster, das aufgrund einer „Intelligenzübertragung“ von Frederick Frankenstein eine Entwicklung vom grunzenden Kretin zum attraktiven Entertainer durchmacht, tanzten alle Nummern mit und gaben typgerechte Rollenstudien.
Am 18. November 2023 soll Mel Brooks den Oscar für sein Lebenswerk erhalten. Er gilt als Meister der Parodie. Es wurde kein Tabubruch ausgelassen: Störung der Totenruhe, Andeutungen über animalischen Sex, respektlose Witze über verschrobene Wissenschaftler, frigide Schönheiten, lüsterne ältere Damen, Blinde, Bucklige, Amputierte, Untote und Werwölfe in der Atmosphäre Transsylvaniens: die Gags explodierten Schlag auf Schlag und ließen kein Fettnäpfchen aus. Beklemmend war die Furcht des mit Gewehren und Mistgabeln bewaffneten Mobs vor dem Unbekannten gezeichnet: „He´s loose“.
Der Spannungsbogen im ersten Akt ist einfach nur genial. Er beginnt mit einer öden Vorlesung Professor Frederic Frankensteins über das Gehirn und gipfelt in der Konfrontation der aufgebrachten Dorfbevölkerung mit dem ausgebrochenen von Frankenstein geschaffenen und belebten Monster. Der zweite Akt ist etwas kleinteiliger, weil der Film weitgehend nachgespielt wird, aber auch hier war jede einzelne Szene aufgrund der Situationskomik ein Knaller. Der blinde Eremit, der dem Monster heiße Suppe in den Schoß statt in den Teller schüttet, die Jagd der aufgebrachten Bevölkerung auf das Monster, die sehr direkten Anspielungen auf sexuelle Zügellosigkeit des Monsters, das Elizabeth kidnappt und vergewaltigt, die sich daraufhin in ihn verliebt, sind heute wohl nicht mehr ganz politisch korrekt, aber gerade das macht den Reiz der Komödie aus. Anrührend ist der Glaube Frankensteins an die Güte in seinem Monster, dem er durch Gehirnübertragung zu Intelligenz und Sprache verhilft, bezeichnend der Umgang der Staatsmacht mit Frankenstein, der kurzerhand wegen Erschaffung eines Monsters hingerichtet wird und nur durch ein Wunder vom Scheintod wieder zum Leben erwacht.

Der weltfremde Professor für Neurochirurgie Frederick Frankenstein, der sich anfangs von seinem Monster schaffenden Großvater distanziert, dann aber aus purer Experimentierlust ein Monster schafft, für das er die Verantwortung übernimmt, ist eine Art moderner Prometheus. Naturgemäß nimmt die Beschreibung der Panik, in die das Monster die Bevölkerung versetzt, einen geringeren Raum ein als im Film. Dafür wird Frankensteins Werben für das Monster „Du bist gut“ umso beeindruckender in Szene gesetzt, und die Entwicklung des Monsters zu einem charmanten Entertainer, zunächst eher ungelenk in der Musiknummer „Puttin´on the Ritz“ von Irving Berlin, dann als brillant plaudernder Bräutigam Elizabeths ist einfach nur anrührend.
Es ist ein Feuerwerk an überdrehten Gags und spektakulären Effekten und garantiert einschließlich Pause einen dreistündigen Genuss ohne Reue. Die Oper Bonn zieht alle Register, das Stück genregerecht zu illustrieren. Ich habe lange kein so kurzweiliges Musical mehr gesehen. Der im April 2023 verstorbene Operndirektor Andreas K.W. Meyer hatte den richtigen Riecher, die Aufführungsrechte für dieses Musical zu kaufen. Zahlreiche weitere Vorstellungen gibt es bis zum 9. März 2024.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Bonn / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Bonn/Frankenstein jun./ Mathias Schlung, Ethan Freeman/Foto © Emma Szabó