Das großartige, unter die Haut gehende, Finale der Oper „DIALOGUES DES CARMÉLITES /Gespräche der Karmeliterinnen“ ist sicher für die allermeisten Opernliebhaber immer auch der musikalische und szenische Höhepunkt einer Inszenierung dieses Werkes von Francis Poulenc (1899-1963). Besonders für die Regie sind diese letzten Minuten eine besondere Herausforderung an Kreativität und einer damit einhergehenden künstlerischen Verbindung mit der dabei erklingenden genialen Musik. Das Musiktheater im Revier darf sich glücklich schätzen, mit Ben Baur einen Regisseur für seine Neuinszenierung dieser französischen Oper gewonnen zu haben, der dieses Opernfinale zu einem höchst packenden und berührenden Moment werden lässt. Einerseits vermittelt er die Tragik des Geschehens, gleichzeitig aber auch den, von den kurz vor ihrer Hinrichtung stehenden Nonnen, ersehnten Wunsch nach himmlischem Frieden durch die sehr ruhige, zurückhaltende und dadurch umso mehr eindrucksvolle, Personenführung. Sind mitunter Regisseure, ob berechtigt oder nicht, viel Kritik ausgesetzt, so ist hier jedes Lob für Ben Baurs Inszenierung gerechtfertigt. Dazu noch die glänzenden sängerischen Leistungen, ein Orchester (unter der Leitung von GMD Rasmus Baumann), welches diese so reich an Klangfarben bestückte Partitur nachvollziehbar und emotional interpretierte, bildeten eine mit Baurs Regie bestechende Einheit. Ein Opernerlebnis der ganz besonderen Art.
Das Stück spielt zur Zeit der Französischen Revolution. Es bezieht sich auf den historischen Fall der Ermordung der Karmeliterinnen von Compiègne im Jahr 1794. Im Zentrum der Handlung steht die von Lebensängsten geplagte Blanche, die hofft, in der Abgeschiedenheit eines Klosters ihre innere Ruhe zu finden. Obwohl die alte Priorin, – die während der Handlung einen qualvollen Tod erleidet -, Blanches Willen Nonne zu werden anzweifelt, wird sie dennoch in den Konvent aufgenommen. Doch die Revolution macht auch vor den Klostermauern nicht halt und auch dieses Kloster wird aufgelöst. Als die Schwestern daraufhin das Märtyrergelübde ablegen, flieht Blanche in das Haus ihres aristokratischen Vaters, der bereits von den Schergen hingerichtet worden ist. Dort erfährt sie von der Verhaftung der Mitschwestern und deren kollektivem Todesurteil auf der Guillotine. Auf dem Weg zum Schafott singen sie das Salve Regina. Blanche stößt im letzten Moment aus freien Stücken hinzu und folgt ihren Mitschwestern mit in den Tod.
Poulencs atmosphärisch dichte Oper in drei Akten mit 12 Bildern wurde 1957 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Ihren Erfolg verdankt sie nicht zuletzt dem paradoxen Umstand, dass der Versuch, religiöse Bindungen zerstören zu wollen nur neue Märtyrer erschafft und deren Aura umso mehr potenziert. Das Libretto beruht auf dem gleichnamigen Schauspiel von Georges Bernanos, welches die Novelle Die Letzte am Schafott von Gertrud von Le Fort zum Vorbild hatte.
Ben Baur, gleichzeitig für Regie und Bühnenbild verantwortlich, lässt die Handlung in einem wunderbar wandlungsfähigen Bühnenaufbau spielen. Es zeigt Wände einer Bibliothek, halb verfallen und teilweise in sich verrutscht, als wollten sie den Zerfall von Reichtum und auch menschlichen Werten versinnbildlichen, welcher zu dieser Zeit vorherrschend war. Diente das Bild in der Anfangsszene der Auseinandersetzung zwischen Blanche und ihrem Vater und Bruder, so war es in den darauffolgenden der bildliche Rahmen für die Handlungen und Dialoge im Kloster. Zudem ließ sich die Bühne durch eine raffinierte Drehtechnik in alle Richtungen verändern, teilen, öffnen oder auch zusammenfügen. Die adäquaten Kostüme von Uta Meenen, – klassische Nonnentracht und bürgerliche Kleidung der damaligen revolutionären Epoche – , ergänzten sich mit Baurs Regie vortrefflich. Insgesamt schuf Baur eine beklemmende Atmosphäre der Enge, der Angst und am Ende doch, der inneren, religiösen, Zuversicht und Befreiung. Die gezielt eingesetzten Videoprojektionen (Kevin Graber) rundeten den Gesamteindruck einer absolut meisterlich zu nennenden Regierarbeit ab. Jedes der einzelnen Bilder der Oper kam einem Kammerspiel gleich. Natürlich auch, weil Ben Baur mit einem derart vorzüglichen sängerisch, wie auch darstellerischem Ensemble zusammenarbeiten konnte. Über das so eindringlich gestaltete Finale der Oper durch Regisseur Baur soll an dieser Stelle nur ansatzweise berichtet werden. Hier sei daher der Besuch der Oper im Musiktheater im Revier ausdrücklich jedem empfohlen.
Musikalisch in nichts der herausragenden Regieleistung nachstehend, präsentierte sich das laut eigenem Bekunden „schönste Opernhaus im Revier“ auf internationalem Niveau. Alle Partien waren durchweg glänzend besetzt. Die kleineren Partien der Handlung, Bürger, Beichtvater,Kommissar und zwei Schwestern, waren mit Zhive Kremshovski, Apostolos Kanaris, Edward Lee, Lina Hoffmann und Silvia Oelschläger adäquat besetzt.
Piotr Prochera als Marquis de la Force, dem Vater Blanches, gab seiner Rolle aristokratische Züge. Sowohl in Darstellung, als auch im noblen Gesang. Bestens besetzt für diese kleinere, aber wichtige, Partie. Der junge Tenor Ibrahim Yesilay glänzte als Chevalier de la Force, dem Bruder der Blanche. Sein ausdrucksstarker und höhensicherer Tenor, der bereits schon jetzt über einen nicht zu unterschätzenden Wiedererkennungsfaktor verfügt, hatte beinahe schon Züge von Belcanto. Die Szene, in welcher er von von seiner Schwester endgültigen Abschied nimmt, war gesanglich ganz sicher einer der Höhepunkt der gesamten Aufführung.
Eine ebenso starke Leistung ist Noriko Ogawa-Yatake als Madame de Croissy, die alte Priorin, zu attestieren. Gänsehaut erzeugend ihre Todesszene. Überragend gesungen und gespielt. Zu Recht viele Bravos für diese faszinierende Interpretation vom Premierenpublikum im gut besetzten Haus.
Petra Schmidt als Madame Lidoine, die neue Priorin, gewohnt souverän und ausdrucksstark. Dongmin Lee lieferte als junge Schwester Constance eine überzeugende Leistung mit hellem Sopran und mit viel Spielfreude an der Partie der etwas jungen und unbedarften Ordensfrau.
Die höchst anspruchsvolle Partie der Mère Marie wurde von der großartigen Mezzosopranistin Almuth Herbst verkörpert. Und wie! Welch eine Leistung in Ausdruck, Darstellung und vor allem, Gesang. Ihre Mimik, ihr Spiel, waren von der ersten Minute an extrem stark und überzeugend. Bravo!
Als die unglückliche Blanche de la Force (später: Schwester Blanche von der Todesangst Christi) debütierte Bele Kumberger. Die Sopranistin spielte die Rolle anfänglich als ängstlich-naive junge Frau, die dann doch im Laufe ihrer Zeit im Kloster unter den dort vorherrschenden Bedingungen erwachsen wird, – werden muss. Bele Kumberger’s Rollendebüt darf als glänzend bezeichnet werden. Sie wusste ihre Stimme der Rolle entsprechend mal zart, mal ängstlich, dann auch wieder fordernd und emanzipiert, einzusetzen und konnte am Premierenabend auf ganzer Linie punkten.
Chor und Statisterie des MiR gewohnt hervorragend und in den Handlungsablauf an vielen Stellen sinnvoll und sinngebend eingesetzt.
Die Neue Philharmonie Westfalen unter der souveränen Leitung von Gelsenkirchens GMD Rasmus Baumann,- der den gesamten Abend die musikalischen Fäden fest und sicher in der Hand hielt -, auf hohem Niveau und voller Ausdrucksstärke, wie es die Partitur von Poulenc verlangt.
Langanhaltender Applaus und Bravorufe nach einem Moment der Stille nach dem ergreifenden Finale der Oper.
Fazit: Ein Opernabend der ganz besonderen Klasse. Eine Opernregie, wie man sie nicht alle Tage erlebt und Musiker, Solistinnen und Solisten von Rang.
DAS OPERNMAGAZIN kommt nicht umhin seinen Leserinnen und Lesern dieses Opernevent am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen absolut zu empfehlen!
- Rezension der Premiere vom 27. Januar 2018 im Großen Haus des MiR von Detlef Obens/DAS OPERNMAGAZIN © Detlef Obens
- weitere Infos, Termine und Karten unter DIESEM LINK
- Titelfoto: Dialogues des Carmélites/ Musiktheater im Revier/ Foto @ Karl und Monika Forster
- Musikalische Leitung Rasmus Baumann/ Gabor Hontvári
- Inszenierung und Bühne Ben Baur
- Kostüm Uta Meenen
- Dramaturgie Stephan Steinmetz
- Licht A ndreas Gutzmer
- Video Kevin Graber
- Chor Alexander Eberle
- Mit
- Marquis de la Force Piotr Prochera
- Blanche, seine Tochter Bele Kumberger
- Der Chevalier de la Force Ibrahim Yesilay
- Madame de Croissy, alte Priorin Noriko Ogawa-Yatake
- Madame Lidoine, neue Priorin Petra Schmidt
- Mère Marie Almuth Herbst
- Constance Dongmin Lee
- Mère Jeanne Silvia Oelschläger
- Sœur Mathilde Lina Hoffmann
- Beichtvater des Karmel Edward Lee
- 1. Kommissar Apostolos Kanaris
- 2. Kommissar, Thierry, Javelinot, Kerkermeister Zhive Kremshovski