Es gibt wohl kaum eine Oper, welche allein wegen eines Chorstücks eine derartige Popularität erreicht hat. Der Gefangenchor ist zu einem Wunschkonzertliebling geworden, aber auch zu einem Symbol gegen Unterdrückung und begeistert auch heute selbst die Menschen, welche nicht zu den regelmäßigen Opernbesuchern gehören. Doch nebst diesem «Renner» ist NABUCCO eines der genialsten Werke von Giuseppe Verdi. Verdi war erst 29 Jahre alt, als die Uraufführung am 9. März 1842 im Teatro alla Scala stattgefunden hatte. (Rezension der Premiere vom 23. Juni 2019 im Opernhaus Zürich)
Die Handlung welche neben den großen Chorszenen die Tragödie einer Familie aufzeigt, bietet Raum für eine zeitgemäße Inszenierung. Die Themen Kampf um die Macht, Familie und Liebe spielten damals wie heute eine zentrale Rolle im menschlichen Zusammenleben.
ANDREAS HOMOKI hat die Handlung in die Entstehungszeit der Oper angesiedelt und zeigt in seiner Inszenierung die Zwistigkeiten und Kämpfe um die Macht mit eindringlicher Kühlheit. Sein Bühnenbildner WOLFGANG GUSSMANN hat zusammen mit SUSANA MENDOZA, welche die Kostüme entworfen hat, klare Bilder geschaffen und bietet der Musik und vor allem den Chorszenen einen sehr eindrücklichen Rahmen.
Wenn sich während der Ouvertüre der Vorhang der Oper Zürich öffnet, sehen wir eine in herrliche Kostüme gekleidete, aber wie versteinert wirkende Familie. Die beiden Kinder stellen Nabucco’s Töchter dar und erscheinen während der ganzen Aufführung immer wieder als Erinnerung an die Zeit, als sie zusammen aufgewachsen sind.
Mit einer riesigen grünen Steinwand, welche sich in alle Richtungen bewegen lässt und einen durch die Lichtgestaltung von FRANCK EVIN sehr abweisenden und gleichzeitig edlen Effekt erzielt, werden die rasch wechselnden Szenen und Chorauftritte unterteilt und stellen trotzdem ein harmonisches Ganzes dar. Besonders erwähnen muss man die Logistik, welche das Auftreten des Chors in immer wieder wechselnden Kostümen der jeweiligen Völker erlaubt. Der Chor ist unglaublich gefordert und meistert diese Aufgabe hervorragend. Dank der choreographischen Mitarbeit von KINSUN CHAN wirken diese Auftritte souverän und sehr eindrücklich.
An allererster Stelle der musikalischen Seite müssen der CHOR DER OPER ZÜRICH gemeinsam mit dem ZUSATZCHOR DES OPERNHAUSES und den CHORZUZÜGERN genannt werden. Diese Oper fordert mit seinen vielen Chorszenen ein Höchstmaß an Beweglichkeit und Disziplin und diese Aufgabe meisterten die 90 Sänger mit Bravour. Unter der Leitung von JANKO KASTELIC wurde eine Höchstleistung erbracht und über den Gefangenenchor hinaus zu einem Highlight des Abends. Großartig.
Mit Generalmusikdirektor FABIO LUISI stand ein großer Kenner der Verdi Opern am Pult und brachte diese herrliche Musik mit der PHILHARMONIA ZÜRICH zum Leuchten. Gerade die vielen Stimmungswechsel dieser Oper erfordern einen raschen Wechsel der Tempi und in den kommenden Aufführungen werden diese sicher noch souveräner gespielt werden.
Bei den Sängern gab es vier Rollendebuts:
MICHAEL VOLLE als Nabucco, ein seit vielen Jahren am Opernhaus geschätzter Sänger, sang diese Partie mit erhabener Stimme und eindrücklicher Kraft. Gerade weil er nicht nur den reinen Schöngesang in den Vordergrund stellte, sondern eine intensive Darstellung gestaltete, war man von seiner Leistung beeindruckt.
Seine vermeintliche Tochter Abigaille wurde von ANNA SMIRNOVA mit großer Stimme und imposantem Ausdruck interpretiert. Sie war nach der Absage der ursprünglich dafür vorgesehenen Sängerin spontan bereit, diese Partie zu übernehmen und in die Proben einzusteigen.
Die leibliche Tocher Nabucco’s, Fenena, sang VERONICA SIMEONI mit viel Gefühl und Ausdruck. Die Darstellung dieser liebenden und leidenden Frau im Kontrast mit Abigaille war sehr eindrücklich.
Mit dem berühmten Bassisten GEORG ZEPPENFELD stand eine der besten Stimmen dieses Fachs als Zaccaria auf der Bühne und wurde seinem Ruf als hervorragender Sänger einmal mehr gerecht.
Die Tenorpartie des Ismaele wurde von BENJAMIN BERNHEIM gesungen. Er ist seit dem Anfang seiner Karriere als ehemaliges Mitglied des Internationalen Opernstudios mit dem Haus verbunden und heute auf vielen bedeutenden Bühnen ein gern gesehener Gast. Die Rolle des Ismaele ist von Verdi nicht mit großen Arien ausgestattet und erfordert trotzdem einen vollen Einsatz. Die strahlende Stimme dieses Tenors erklang aufs Schönste und man freut sich bereits auf seine weiteren Auftritte in Zürich.
In der Rolle des Oberpriesters des Baal war STANISLAV VOROBYOV zu erleben, welcher ebenfalls an diesem Abend debütierte. OMER KOBILJAK als Abdallo und ANIA JERUC als Anna ergänzten das Ensemble.
Das Publikum feierte alle Mitwirkenden dieses Abends, welcher Live auf ArteConcert übertragen wurde und damit einmal mehr den hervorragenden Ruf dieses Hauses in die Welt hinaustrug.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Opernhaus Zürich/NABUCCO/ M. Volle + A. Smirnova/ Foto @ Monika Rittershaus