Köln: Lang Lang begeistert in der ausverkauften Philharmonie mit Bachs Goldberg-Variationen

Lang Lang / Foto © Olaf Heine
29.11.2021

Eine Viertelstunde lang standing Ovations nach einem ungeheuer intensiven Musikerlebnis in der restlos ausverkauften Kölner Philharmonie, und das nach einem Stück, das normalerweise nur Bach-Fans in einen Konzertsaal lockt! Der chinesische Pianist Lang Lang präsentiert seine eigene Interpretation der Goldberg-Variationen auf einem Konzertflügel mit ungeheurer Farbigkeit und Dynamik. Man hatte das Gefühl, dass hier ein Theaterstück aufgeführt wird, in dem mit jeder Variation eine weitere Person dazu kommt. (Rezension des Konzerts v. 29.11.2021)

 

 

Dass Lang Lang am 29.11.2021 in der Kölner Philharmonie auftritt ist ein Zeichen dafür, dass dieses Haus in der internationalen Liga renommierter Konzerthäuser agiert. Die nächsten Konzerte führen Lang Lang unter anderem nach Mailand, Barcelona, Berlin, Miami und Toronto. Seine Weltkarriere begann, als er als Siebzehnjähriger bei der „Gala of the Century“ des Chicago Symphony Orchestra in letzter Minute einsprang und unter Christoph Eschenbach Tschaikowskys Erstes Klavierkonzert aufführte. Danach wurde er weltweit von Spitzenorchestern und in die renommiertesten Konzertsäle der Welt eingeladen, allerdings vorwiegend für das romantische Repertoire. Crossover-Formate mit Herbie Hancock, Metallica und Pharell Williams und sein Auftritt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking 2008 sorgten dafür, dass auch Menschen, die mit klassischer Musik nichts anfangen können, seinen Namen kennen und seinem Charisma erliegen.

Der Superstar des Klavierzirkus, international bekannt durch Auftritte in TV-Shows und Crossover-Formate wie „Dragon Songs“, lässt es sich nicht nehmen, in der komplett ausverkauften Kölner Philharmonie vor 2.000 Zuschauern Bachs „Goldberg-Variationen“ zu spielen, ein Stück, mit dem sich in Horrorfilmen hochintelligente Psychopathen auseinandersetzen. Es ist komponierte Mathematik und besteht aus einem Thema mit 30 Variationen nach den Regeln des Kontrapunkts, die zu Bachs Zeit galten. Bach publizierte diese „Clavier-Übung, bestehend aus einer Aria mit verschiedenen Veraenderungen vors Clavicimbal mit zwei Manualen. Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergetzung verfertiget von Johann Sebastian Bach“ 1741 in Nürnberg. Der Bach-Biograf Johann Nikolaus Forkel schrieb 1802, niemals sei Bach für ein Stück so fürstlich entlohnt worden: mit einem goldenen Becher, angefüllt mit 100 Louisd´or. Das entspricht einem heutigen Materialwert von etwa 25.000 €. Er habe im Auftrag des Grafen Keyserlingk für dessen Diener Johann Gottlieb Goldberg diese Variationen über immer dieselbe Grundharmonie geschrieben, damit Goldberg seinem Herrn diese Musik in seinen schlaflosen Nächten vorspielen könne. Goldberg muss ein exzellenter Musiker gewesen sein, denn der Schwierigkeitsgrad wird extrem hoch eingeschätzt. Die Musik ist sehr abstrakt, es ist keine Programmmusik.  Die Goldberg-Variationen sind unerschöpflicher Gegenstand musikwissenschaftlicher Analysen und in der Regel für normale Hörer viel zu komplex. Ich selbst habe beim Versuch, sie von CD zu hören, immer sehr schnell den Faden verloren. Die Differenzierungen sind so subtil, dass man sich schon sehr konzentrieren muss um zunächst die Struktur der einzelnen Teile, dann aber auch den gesamten Spannungsbogen der immer kühner werdenden Variationen zu erfassen.

Als der chinesische Pianist Lang Lang im September 2020 das Album „Goldberg-Variations“ herausbrachte war das für die Feuilletons ein willkommener Anlass, über Bachs Meisterwerk zu schreiben und herausragende Interpretationen auf LP und CD zum Vergleich heranzuziehen. Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen stellen so etwas wie einen Mount Everest der pianistischen Karriere dar. Viele Einspielungen liegen vor, Maß aller Dinge sind immer noch die Einspielungen von Glenn Gould von 1955 und 1981, an denen sich jeder Interpret messen lassen muss. Es kommt nicht nur darauf an, jede einzelne dieser 30 Variationen über ein Thema perfekt zu interpretieren, sondern auch, über die gesamte Strecke die Spannung zu halten. Vorbildlich für eine Interpretation in historischer Aufführungspraxis ist die Einspielung von Andreas Staier aus dem Jahr 2010, aber das Cembalo bietet im Vergleich zum Konzertflügel erheblich weniger Klangfarben. Lang Lang ist kein Verfechter des Originalklangs, aber seine Interpretation wurde ernst genommen. Helmut Mauró von der Süddeutschen Zeitung schreibt: „Endlich: Der chinesische Pianist Lang Lang wagt sich an die Goldberg-Variationen von Bach. Lange hat er sich mit den historischen Aufnahmen beschäftigt – und sein eigenes Meisterwerk geschaffen.

Dieser Eindruck bestätigte sich in der Kölner Philharmonie. Im Gegensatz zu einer Studio-Einspielung zählt beim Live-Konzert die Tagesform. Lang Lang betrat die Bühne, auf der sonst Sinfonieorchester mit bis zu 120 Musikern platziert sind, mit dem einsamen Steinway in der Mitte schüchtern lächelnd mit vielen Verbeugungen und spielte sich mit der Arabeske C-Dur op. 18 von Robert Schumann erst mal warm.

Nach einer kurzen Pause folgten die Goldberg-Variationen an einem Stück aus einem Guss wie eine unendliche Melodie. Die Aria, zunächst zögernd und vorsichtig tastend entwickelt, wie eine sich langsam entfaltende Blüte schlug die 2000 Konzertgäste in ihren Bann. Die Spannung war aufgebaut und endete nach 30 Variationen in der Auflösung durch die Wiederholung der Aria am Schluss als Ergebnis der Reflektion durch unterschiedliche Stilmittel, wie Satztypen, Tempi, Taktarten und Tongeschlechter.

Lang Lang, 1982 in Shenyang, China, geboren ist wohl einer der bekanntesten Star-Pianisten unserer Zeit. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit den Goldberg-Variationen und hat sich von Experten beraten lassen und auch die Original-Instrumente besichtigt und ausprobiert. Sehr schnell war klar, dass das Cembalo nicht sein Instrument ist, dass er einen modernen Konzertflügel einsetzt und Spieltechniken nutzt wie Pedale, die das Cembalo nicht hat. Einzelne Variationen wirken dann auch fast wie impressionistische Musik mit perlenden Klangkaskaden und imponierender Lautstärke. In der Regel ist der Klang jedoch sehr subtil und eher leise, denn die Raffinesse liegt in polyphonen Strukturen. Lang Lang spielt die Variationen als unendliche Melodie und nimmt die Zuhörer auf der Reise durch die unterschiedlichsten Ausdrucksmöglichkeiten mit.

Haupteingang der Kölner Philharmonie Foto: ©KölnMusik/Guido Erbring

Für mich war es ein Erlebnis, das mich motiviert hat, mich näher mit diesem hochgradig abstrakten Werk zu beschäftigen und Lang Langs Einspielung, die es im Doppelpack der Studio-Aufnahme mit einer Live-Einspielung aus der Thomaskirche Leipzig gibt, wieder und wieder zu hören.

Johann Sebastian Bach hätte sich sicher nicht träumen lassen, dass sein Werk einmal vor 2.000 Zuhörern auf einem modernen Konzertflügel gespielt werden würde. Die sehr trockene und direkte Akustik der Kölner Philharmonie kommt dem Format sehr entgegen, denn auch leise Töne tragen durch den ganzen Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Die Entscheidung für den Konzertflügel impliziert, dass Lang Lang sich aller Mittel dieses Instruments bedient um die Struktur und den musikalischen Inhalt des Stücks zum Ausdruck zu bringen. Lang Langs Auseinandersetzung mit den Variationen ist ein ungeheuer spannendes Konzertformat mit Mitteln, die der Komponist zum Teil noch gar nicht kannte und war für mich eine Offenbarung. Lang Langs Interpretation ist packend und stellt seine technische Perfektion in den Dienst des Ausdrucks. „Man merkt ihm an, dass er sich in das Stück verliebt hat“, so Mascha Drost vom Deutschlandfunk in einem Interview zu den Einspielungen, die Lang Lang im September 2020 vorgelegt hat.  www.deutschlandfunkkultur.de/bachs-goldberg-variationen-lang-lang-schreit-die-liebe-zum-100.html

Die Live-Aufführung fügt dem noch die Dimension des Gemeinschaftserlebnisses hinzu, das kein Stream, keine CD und keine LP ersetzen kann. Es war eine Sternstunde zum 35-jährigen Bestehen der Kölner Philharmonie.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Kölner Philharmonie
  • Titelfoto: Blick in den Saal der Kölner Philharmonie / Foto © KölnMusik/Guido Erbring
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