Thomas Stuhrmann / Nijinski Ballett/ Hamburg Ballett / Foto @ Kiran West

Hamburg Ballett: John Neumeier – „Nijinsky- ein unerschöpfliches Thema. Wo beginnen wo enden?“

Aleix Martinez, Leslie Heylmann / Nijinski-Ballett/ Hamburg Ballett / Foto @ Kiran West
Aleix Martinez, Leslie Heylmann / Nijinski-Ballett/ Hamburg Ballett / Foto @ Kiran West

Fans, besonders jene aus den frühen Hamburger Jahren von Ballettdirektor John Neumeier, wissen um dessen Faszination von Ballettikone Vaslav Nijinsky. So ist doch der krönende Abschluss der alljährlichen Balletttage, die Gala nach ihm benannt.

Auch hat er bereits im Jahr 1979, für eben diese Gala ein kurzes Ballett mit dem Namen „Vaslav“ zu Musik von J. S. Bach kreiert. Erst 2000 entstand dann das jetzige, abendfüllende, Werk „Nijinsky“.  Heraus kam ein unübersehbar mit viel Empathie, Zuneigung und dem Hang zu Vielschichtigkeit, kreiertes Werk, das schwerverdaulich ist. Und dennoch, -ja, darum?-, schmeckt.
Nijinsky ist, so Neumeier, „kein Handlungsballett“, sondern „zwei Wege, zwei Ansätze ein Thema einzukreisen“. Der erste Ansatz, bzw. der erste Teil ist eine Retrospektive. Am Abend seines letzten Auftritts in einem Hotelballsaal in St. Moritz verfällt Nijinsky (Aleix Martinez) Erinnerungen an seinen einstigen Geliebten und Förderer Serge Diaghlev, seine Karriere beim Ballets Russes, seine Bemühungen, choreografisch neue Wege zu gehen. Sowie auch an seine erste Begegnung mit seiner Frau Romola Nijinsky (Silvia Azzoni), die der Grund für den endgültigen Bruch mit Diaghilev und dem Ballets Russes, war. Ausschnitte aus Nijinskys bedeutendsten Balletten, wie „Les Sylphides“, „Schehezerade“, „Jeux“, auch“L’Après-midi d’un faune“,verbildlichen diese Erinnerungen. Die Musik zu diesem Teil stammt von Chopin, Schumann Rimskij-Korsakow und Dmitri Schostakowitsch.

Thomas Stuhrmann / Nijinski Ballett/ Hamburg Ballett / Foto @ Kiran West
Thomas Stuhrmann / Nijinski Ballett/ Hamburg Ballett / Foto @ Kiran West

Der zweite Ansatz, der zweite Teil, beschäftigt sich mit Nijinskys Wahnsinn. Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr.11, „Das Jahr 1905“, zieht hier den Zuschauer ebenso hypnotisch-bedrückend in seinen Bann, wie das Geschehen auf der Bühne.

Nach Haus in die beruhigend bekannte Welt, der auch nicht immer schönen Normalität, entlassen wird das Publikum teilweise zwiegespalten. Auf der einen Seite ist da vielleicht der Wunsch, der überwältigenden Wirkung von Musik, Choreografie und Leistung der Tänzer „ zu entkommen“ und gleichzeitig möchte man begeistert, ja frenetisch, applaudieren.


Sicher, wie es immer ist, mögen sich die Geister scheiden, was Musik und Choreografie betrifft oder auch Neumeiers Art etwas zu erzählen und umzusetzen. Unumstritten sollte jedoch die Anerkennung für die Leistung seiner Tänzer sein.

Und das war sie an diesem Abend auch. Aleix Martinez in der Titelrolle, ist von eher drahtiger, als muskulös-männlicher Statur. Seine Ausstrahlung zieht er aus seinem Können und nicht aus dem südländischen Aussehen, das sein Name erwarten lässt. Auf den ersten Blick, und nur auf diesen, wirkt er wie der normale Junge von nebenan. Doch schnell wird er zu der Ikone, die er darstellt. Seine Sprünge sind kraftvoll, seine Körperbeherrschung und -balance sind voller Spannung, und zeigen das jede Bewegung aus dem Inneren kommt.

Silvia Azzoni, Xue Lin, Aleix Martinez, Patricia Friza, Ensemble/ Nijinski Ballett/ Ballett Hamburg/ Foto @ Kiran West
Silvia Azzoni, Xue Lin, Aleix Martinez, Patricia Friza, Ensemble/ Nijinski Ballett/ Ballett Hamburg/ Foto @ Kiran West

Martinez‘ Szenen mit Silvia Azzoni als Romola/die Frau in Rot sind von zarter, fast verzweifelter Sinnlichkeit, bis hin zur verzehrenden Selbstaufopferung auf ihrer Seite. Allein ihre Armbewegungen suchen ihres Gleichen in Weichheit,  ja Vollkommenheit. Doch auch der reine Tanz, dieser ätherisch alterslos wirkenden Tänzerin, zieht in ihren Bann. Besonders eindrucksvoll auch, wenn sich für Romola, die Bühnenfigur Nijinskys der Faun, exotisch geheimnisvoll und erotisch getanzt von Karen Azatyan, und der wahre Nijinsky vermischen. Azzoni die Sehnsucht, die sie für den Faun in Nijinsky verspürt auf den Menschen überträgt, und er (Martinez) sich verführen lässt.

Überhaupt hat der erste Teil viele subtil erotische und sinnliche Momente, ein weiterer ist der Rückblick auf Nijinskys Dartstellung als goldener Sklave in Schehezerade, wiederum getanzt von Karen Azatyan. Seine und Neumeiers Interpretation dieser sonst immer so vor Kraft strotzenden Rolle, besticht durch beinahe androgyne und daher umso faszinierendere Sinnlichkeit.

Ein weiteres Beispiel sind auch die Szenen Martinez, mit Carsten Jung als Diaghilev. Carsten Jung, der im Gegensatz zu Martinez männlich muskulös ist, strahlt auch hier eine gewisse Ruhe, Überlegenheit und Eleganz aus, bis auch er (Diaghilev) am Ende zerbricht. Als sich Nijinsky an sein Ballett „Jeux“ erinnert, gesellt sich als junger Mann Alexandr Trusch dazu und rundet das Trio mit den Aspekt jung und schön ab.

Im zweiten Teil dann weichen Leidenschaft, Schönheit und Sinnlichkeit, dann Chaos, Verzweiflung und Wahn. Erinnerungen an Gewesenes mischen sich mit Bildern aus dem Inneren, Kämpfen der Seele mit Trug und Wahrheit. Es ist Krieg, nicht nur in der Welt, sondern besonders in Nijinsky. Wenn Martinez in einer dieser Wahnvorstellungen auf einem Stuhl steht , immer lauter und hysterischer den Takt vorgibt, in einem Pas de deux mit Konstantin Tselikov einen Kampf mit sich selbst- oder ist es doch sein Bruder Stanislav?– ficht, Azzoni, als Romola immer wieder bemüht ist, ihren Gatten symbolisch wie auch wortwörtlich auf einem Schlitten, hinter sich herzu ziehen, ist Gänsehaut garantiert.

Aber auch andere wie zum Beispiel Leslie Heylmann, Xue Lin, Edvin Revazov, Patricia Friza und das gesamte Ensemble machen, durch ihre Fähigkeit nicht nur Tanz, sondern Tanztheater zu präsentieren, diesen Abend unvergesslich.

Vielleicht fühlte sich manch unerfahrener Ballettgänger stellenweise überfordert, da Neumeier doch ein wenig Interesse an, oder gar Vorwissen über die Person Vaslav Nijinsky voraussetzt. Doch ist es nicht gerade das, was uns auf nachvollziehbare Art zum Denken oder Fühlen auffordert, gutes – wahres- Theater? Ich finde schon, dass die Frage „Wo beginnen wo enden?“ auch im Nachklang ihren Reiz hat.

 

*Rezension der besuchten Vorstellung vom 30.5.2017 von Birgit Kleinfeld

*Homepage Hamburg Ballett

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert