Gärtnerplatztheater München: „Don Giovanni“ – Rückwärtssalto in den Wahnsinn

Gärtnerplatztheater/DON GIOVANNI/ Daniel Gutmann/ Foto: Anna Schnauss

Ob Herbert Föttinger wohl eine besonders zeitlose Don Giovanni-Interpretation vorschwebte? Das jedenfalls scheinen die zeigerlosen Uhren im Bühnenbild etwas zu symbolhaft zu verkünden. Der Vorsatz ist in jedem Fall gelungen, denn Föttingers Inszenierung kann auch knapp acht Jahre nach der Premiere noch überzeugen. Zu verdanken ist das einem großartigen, jungen Ensemble, das in der aktuellen Wiederaufnahme der Inszenierung über sich hinauswächst – allen voran Sophie Rennert als Donna Elvira. (Rezension der besuchten Vorstellung am 11.03.2025)

 

Worin der Charme des notorischen Schürzenjägers Don Giovanni eigentlich besteht, ist in Herbert Föttingers Inszenierung nicht ganz eindeutig. Abgesehen von den akuten Verführungssituationen (von denen Wolfgang Amadeus Mozarts und Lorenzo da Pontes Don Giovanni natürlich eine ganze Menge zu bieten hat) ist der nämlich von Anfang an denkbar wenig anziehend. Er raucht, kokst und trinkt sich derangiert und desinteressiert durch die Oper – und mindestens 2000 Liebhaberinnen finden ihn unwiderstehlich. Während seine Annäherungen an Donna Anna und das Bauernmädchen Zerlina in vielen anderen Lesarten auf der Skala von Verführung bis Vergewaltigung eher zu letzterem tendieren, bekommen hier beide erstaunlich lange nicht genug von ihm. Erst als das Libretto einen gewaltsamen Übergriff unmittelbar vorschreibt, zeigt Föttinger den auch in seiner Inszenierung.

Gärtnerplatztheater/DON GIOVANNI/ D. Gutmann, L.. Enoch Lemcke/ Foto: Anna Schnauss

Obwohl die Wiederaufnahme technisch nicht einwandfrei abläuft– der ein oder andere Szenenwechsel ist etwas holprig – gelingt eine sehr intensive und emotionale Vorstellung. Föttingers Inszenierung erweist sich dabei in der Tat als zeitlos, sie ist heute so überzeugend wie in den vorherigen Wiederaufnahmen. In erster Linie ist das optisch. Subtiler als die schon erwähnten zeigerlosen Uhren ist die ständige Präsenz von Himmel und Hölle: Immer wieder wird eine Christusstatue ins Bild gedreht, die am Ende zur Statue des Komturs umgedeutet wird, und in den weißen Wänden von Walter Vogelweiders ästhetisch ansprechendem Bühnenbild erscheinen schwarz die Schatten der Unterwelt. Dazwischen finden sich Designermöbel und ein glitzernder Kronleuchter, der über Giovannis Festmahl strahlt. Leider bleibt das alles stimmungsvolle Kulisse, denn der Schwerpunkt der Inszenierung liegt weder auf dem Verhältnis von Religion und Sexualität oder dem unterdrückten Bösen (so ließen sich die höllenerfüllten Wände jedenfalls deuten) sondern auf den Figuren und deren Entwicklung im Angesicht emotionaler Ausnahmesituationen. Und das ist dank der hervorragenden Besetzung ganz großes Theater.

Zum Publikumsliebling macht sich Bariton Daniel Gutmann als Don Giovanni. Nicht nur, dass sich der auch in der Countrymusik aktive Sänger teilweise selbst instrumental begleitet, er startet die Champagnerarie auch völlig selbstverständlich mit einem Rückwärtssalto. Dafür gibt es natürlich Szenenapplaus, das Publikum ist begeistert. Irgendwo bleibt trotzdem die Frage, ob derartige Kunststückchen in anderen Rollen oder Inszenierungen nicht besser aufgehoben wären. Salto hin oder her macht Gutmann, der in dieser Aufführungsserie sein Rollendebüt am Gärtnerplatztheater gibt, seine Sache großartig. Äußerst glaubwürdig spielt er Föttingers derangierten Don Giovanni, aus dessen Machohaftigkeit nach dem Mord am Komtur Depression, Wahn und schließlich Suizid wird. Sehr gelungen ist vor allem jener kleine Moment nach dem Mord, in dem man Gutmanns Figur anmerkt, dass seine Grausamkeit ihm eigentlich selbst zu viel wird. Eine Sekunde später ist er dann wieder sichtlich bemüht, alles zu verdrängen: für die Psyche seiner Figur der Anfang vom Ende. Auf diese Weise schafft es Gutmann, eine fesselnde Charakterentwicklung zu zeichnen, die er auch stimmlich hervorragend darstellt – wenn auch die Textverständlichkeit etwas zu wünschen übrig lässt. Mit seinem kernigem, dunkel gefärbten Bariton weiß er zu triumphieren, zu verführen und zuletzt zu verzweifeln.

Gärtnerplatztheater/DON GIOVANNI/ Sophie Rennert/ Foto: Anna Schnauss

Überstrahlt wird er nur von Sophie Rennert als Donna Elvira. In Föttingers Inszenierung ist auch die kurz vorm Wahnsinn – wie Don Giovanni, nur anders: Wo er echte Gefühle verweigert, hat sie zu viele, sie liebt einen Mörder, einen Serienverführer, jemanden, der zumindest in Föttingers Inszenierung nie auch nur einen Hauch Freundlichkeit zeigt. Und wie Sophie Rennerts Donna Elvira liebt! Mit feurigen Koloraturen, durchschlagender Höhe und kräftiger Tiefe, mit einer vokalen Sicherheit, die man an größeren Häusern manchmal vergeblich sucht. Darstellerisch ist sie sowieso eine Erscheinung. So präsent ist sie, so leidenschaftlich, und dann doch wieder so verletzlich und verzweifelt. Es ist dem Gärtnerplatztheater nur zu wünschen, dass ihm diese Ausnahme-Sängerdarstellerin noch lange erhalten bleibt.

Die zweite große Dame, die Donna Anna, gibt Sopranistin Sophia Brommer mit strahlender Soprankraft. Im ‚Non mi dir‘ schwebt ihre Stimme wie verloren durch den Saal, drückt die Einsamkeit einer Figur aus, die nicht verstanden wird – und in Föttingers Lesart auch nicht verstanden werden darf: Im Libretto erzählt Donna Anna ihrem Verlobten Don Ottavio von einem Übergriff durch Don Giovanni, in Föttingers Inszenierung lügt sie, ihre Erzählung passt nicht zu dem leidenschaftlichen, einvernehmlichen Geschehen, das zu Beginn noch auf der Bühne zu sehen war. Brommer gestaltet diese Lüge fast schon lustvoll; es ist eine der spannendsten Stellen dieses Don Giovanni. Insgesamt gelingt Brommer eine empathische Darstellung der zwischen Wut und Erotik, Trauer und Liebe zerrissenen Donna, vokal schafft sie mühelos den Spagat aus Zerbrechlichkeit und Entschlossenheit.

Mit der Intensität der drei Protagonist:innen kann das Orchester unter der Leitung von Felix Bender nicht ganz mithalten. Technisch ist das Dirigat von Anfang an gelungen, die Balance zwischen Orchester, Solisten und dem hervorragendem Chor stimmt. Doch Bender, für den es der erste Don Giovanni ist, kämpft mit der trockenen Akustik des Gärtnerplatztheaters. In der Ouvertüre und durch die erste Hälfte der Oper hinweg will sich die Ausdruckskraft der Musik nicht so recht entfalten. Erst im zweiten Aufzug stimmen die Nuancen und Benders Dirigat unterstreicht gebührend die Dramatik der Szene.

Bei aller Dramatik und Düsternis kommt an diesem Abend erfreulicherweise auch die Komik nicht zu kurz. Selten wird bei einem Don Giovanni so viel gelacht wie an diesem Abend. Föttinger hat sich viele humorvolle Kleinigkeiten einfallen lassen: Da sind Donna Anna und Donna Elvira mit einem sehr eigenen, spontanen Begrüßungsritual für Don Giovanni – Erst eine Ohrfeige, dann ein Kuss. Dann gibt es noch einmal Elvira, die aus einem Berg Rosen hervorspringt, um Giovannis Stelldichein mit Zerlina zu unterbrechen. Und natürlich ist da Leporello. Den singt und spielt an diesem Abend der junge Bass Lukas Enoch Lemcke in bester Buffo-Manier und dunklem, weichen Timbre. Im ersten Aufzug gerät seine sängerische Interpretation zugegebenermaßen noch etwas zaghaft, gerade die Katalogarie bietet eigentlich Platz für deutlich mehr vokale Spielereien. Schauspielerisch ist er aber von Anfang an voll präsent. Seine Figur ist in Föttingers Inszenierung als recht unscheinbar angelegt, in Kapuzenpulli und mit Laptoptasche statt im stylischen Anzug wie Giovanni (Kostüme: Alfred Mayerhofer), Lemcke spielt die Figur entsprechend, ohne als Darsteller selbst unscheinbar zu werden. Stimmlich traut er sich auch in jeder Szene mehr und macht im Finale Daniel Gutmann durchaus Konkurrenz.

Gärtnerplatztheater/DON GIOVANNI/ Ensemble/ Foto: Anna Schnauss

Zerlina, Don Giovannis drittes Verführungsopfer, und ihr Verlobter Masetto sind mit Anna Tetruashvili und Jeremy Boulton aus dem Opernstudio des Gärtnerplatztheaters großartig besetzt. Vor allem die Mezzosopranistin Tetruashvili zeigt eine beeindruckende Leistung, souverän meistert sie ihre Arien, und zeigt eine junge Frau zwischen Neugierde und Angst. Schade, dass jeglicher Konflikt in dieser jungen Ehe durch platte Erotik aufgelöst wird. Ständig steckt einer von beiden mit dem Kopf unter dem Rock des jeweils anderen. Auf Dauer wirkt das ermüdend. Hier zeigt sich eine der Schwächen von Föttingers Inszenierung: Nicht nur bei Masetto und Zerlina setzt er viel zu sehr auf plakative Nacktheit, anstatt wirklich tiefgründig zu arbeiten. Stichwort: Was, außer der Optik, macht eigentlich den Charme Don Giovannis aus?

Wie die Antwort auf diese Frage bleibt auch Donna Annas Verlobter Don Ottavio in Föttingers Inszenierung etwas blass. Tenor Gyula Rab gestaltet die Partie gewohnt stimmsicher und strahlend, aber der Rolle fehlt eine solide Grundlage für schauspielerische Details, wie sie die anderen Figuren haben. In deren Rollen ist scheinbar mehr Interpretations- und Regiearbeit geflossen. Ein ähnliches Schicksal ereilt Holger Ohlmann als Komtur. Seine Höllenrufe sind mehr als beeindruckend, da er aber währenddessen nicht auf der Bühne ist, liegt der Fokus der Szene auf Don Giovanni. Letzterer wird ja auch nicht geholt, sondern befördert sich höchstselbst ins Totenreich.

Der „Oper aller Opern“ wird der Abend trotz aller Regie-Schwächen voll und ganz gerecht. Die düster-emotionale Inszenierung amüsiert und fesselt gleichermaßen, die Sängerinnen und Sänger begeistern – und einer macht einen Salto.

 

  • Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Gärtnerplatztheater / Stückeseite
  • Titelfoto: Gärtnerplatztheater/DON GIOVANNI/Anna Tetruashvili (Zerlina), Sophie Rennert (Donna Elvira), Daniel Gutmann (Don Giovanni)/ Foto: Anna Schnauss
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