Festspielbesetzung im Opernensemble Stuttgart: „Der Rosenkavalier“ mit Cornelius Meister

Staatsoper Stuttgart / DER ROSENKAVALIER/C. Meister, Staatsorchester Stuttgart/ Foto @ Martin Sigmund

Der Antritt von Cornelius Meister in seiner Position als Generalmusikdirektor an der Oper Stuttgart ist schon knapp drei Jahre her. Die musikalische Leitung der großen romantischen Opern wie auch den Werken des 20. Jahrhunderts war ihm pandemiebedingt jedoch bislang weitestgehend vergönnt. Einzig zu seinem Amtsantritt konnte er mit der Wiederaufnahme des „Lohengrin“ für überregionales Aufsehen sorgen. (Rezension der besuchten Vorstellung am 30. Oktober 2021

 

Als Reifeprüfung für jeden Generalmusikdirektor gilt Richard Strauss „Der Rosenkavalier“. Ein im Opernrepertoire etabliertes Werk, das aber nie so richtig Teil des Repertoires werden kann — zu komplex ist die Partitur, zu diffizil auch eine adäquate Besetzung des Damentrios. Kurzfristig oder ohne ausreichende Orchesterproben lässt sich dieses Werk trotz seiner Beliebtheit nicht auf den Opernspielplan setzen. Und gerade Stefan Herheims aufwändige Stuttgarter Kultinszenierung, in welcher die Handlung im Kleid der Feldmarschallin spielt, bedarf einer peniblen szenischen Einstudierung, die aufgrund der pandemischen Lage aussichtslos erscheint.

Und deshalb setzte der GMD der Oper Stuttgart anstatt szenischer, kurzerhand auf orchestrale Opulenz. Die Aufführungsserie des „Rosenkavaliers“ fand in konzertanter Form statt, dafür ohne die üblichen von Richard Strauss persönlich autorisierten Kürzungen. Ein „Rosenkavalier“ ohne Bett im ersten Aufzug und unter Verzicht des Wiener Rokokos, dafür mit Öffnung sämtlicher Striche? Was für manch Opernpublikum abschreckend sein mag, lässt die Herzen der Richard Strauss Liebhaber umso höherschlagen! Wann hat es zuletzt auf einer Opernbühne den „Rosenkavalier“ ohne einen einzigen Strich gegeben? Zwar geben die Wiener Staatsoper oder die Semperoper Dresden immer mal die herablassende Mägde-Erzählung des Ochs auf Lerchenau in ihrer Ausführlichkeit, aber ansonsten haben auch diese Opernhäuser die Obszönitäten des Barons auf das Notwendigste gekürzt. Cornelius Meister scheint es sportlich zu nehmen. Wenn sein Kurpfälzer Kollege Alexander Soddy sogar „Die Frau ohne Schatten“ ohne Strich auf die Bühne des Nationaltheater Mannheim stellen kann, scheint es für ihn Ehrensache zu sein, dass die Oper Stuttgart — wenn sie schon auf Herheims Inszenierung verzichten muss — keinen Ton der Partitur auslassen wird.

Staatsoper Stuttgart / DER ROSENKAVALIER/S. Schneider, D. Haller/ Foto @ Martin Sigmund

Es ist allgemein bekannt, dass die Oper Stuttgart eine vorbildliche Ensemblepolitik prägt. Und doch ist es eine Sensation, dass sie einen „Rosenkavalier“ mit hauseigenen Sänger*innen besetzen kann. Vollkommen rollendeckend und mustergültig könnte man das Damentrio dieser Aufführung direkt als Festspielbesetzung nach Salzburg befördern: Allen voran die Feldmarschallin der Simone Schneider. Sie trug ihr aus der Herheim-Inszenierung bekanntes Kleid und weckte so Assoziationen zum damaligen Eröffnungsbild: Als Marschallin zerschlug sie während des aufbrausenden Orchestervorspiels in Verzweiflung über ihre eigene Vergänglichkeit mit der Faust ihren Garderobenspiegel. Gleichermaßen ob Operetten, Mozart-Opern oder die dramatischen Partien der Salome und Sieglinde — Simone Schneider ist eine der flexibelsten Sopranistinnen aus dem Ensemble der Oper Stuttgart und verleiht jeder Rolle ihre unverkennbare Note. Sie arbeitete versiert in allen Facetten mit dem Text Hugo von Hofmannsthals, interpretierte diesen und füllte die Partie der Marschallin mit Leben. Sämtliche Emotionen, ob kokettiert, aufbrausend und charmant, stellte sie glaubhaft dar und führe ihre voluminöse Stimme gekonnt und differenziert im Strauss-Parlando bis ins Kleinste Pianissimo. Mit einzelnen festsitzenden Spitzentönen verlieh sie ihren Ansagen an den Baron den nötigen Nachdruck und gab ihrer Rolle die gebührende Autorität.

Mit einer zumindest adäquaten Besetzung der Partie des Octavians tun sich die Opernhäuser auf der ganzen Welt immer wieder schwer. Denn es gibt nur wenige Mezzosopranistinnen, die dieser Partie wirklich vollumfänglich gerecht werden. Und dann hat die Oper Stuttgart in ihrem Ensemble eine Diana Haller, welche sogleich, von erstem Ton an bis zum Schlussterzett, einen Octavian verkörperte, der nicht nur szenisch mustergültig geriet, sondern der dank Hallers angenehm couragierter Stimme direkt als Referenz auf CD eingespielt werden könnte. Sie hat schon so manche packende Rolleninterpretation an der Oper Stuttgart abgeliefert, aber die Partie des Octavian schien ihr Richard Strauss direkt auf den Leib geschrieben zu haben. Das war wirklich ganz große Oper!

Staatsoper Stuttgart / DER ROSENKAVALIER/B. Ritter, D. Haller/ Foto @ Martin Sigmund

Beate Ritter komplementierte in der Rolle der Sophie mit ihrer insbesondere in den Höhen sinnlich-anregenden, wohlklingenden und raumausfüllenden Sopranstimme das Damentrio. Sie bildete mit ihrer bedachten Interpretation den gebührenden stimmlichen Kontrast zu den beiden anderen Frauenstimmen, die sich im Schlussterzett angenehm intonierend zusammenfügten.

Die Partie des Ochs auf Lerchenau ist etwas undankbar für jeden Bass, denn gerade ungekürzt besticht diese durch schier unendlichen Textanteil und kaum einer Zeile, in welcher der Sänger wirklich brillieren kann. David Steffens zeigte, dass er all die stimmlichen Mittel und auch den Intellekt für den verflochtenen Text mitbrachte. Trotz seiner Ausdauer und exakter, pointierter Deklamation konnte man ihm die Rolle nicht ganz abnehmen. Steffens ist als junger, gutaussehender Basssänger das Gegenteil seiner Partie. Der Ochs, ein „Grobian auf Lerchenau“, sollte doch etwas schmieriger, obszöner und unbeholfener wirken! Bei der stimmlich kultivierten Darstellung Steffens, adrett gekleidet im dunklen Anzug, begriff man zuweilen gar nicht, weshalb Sophie ihm nicht direkt in die Arme gesprungen ist?

In der ansonsten stark gekürzten Partie der Annina zeigte Carole Wilson, dass man als versierte und erfahrene Sängerin auch eine Nebenrolle zur Kernfigur der Intrige stilisieren kann.

Am Pult des Staatsorchesters Stuttgart läutete Cornelius Meister, der den „Rosenkavalier“ über mehrere Monate akribisch einstudierte, gleich zu Spielzeitbeginn eine musikalische Sternstunde ein. Die ansonsten so diffizilen Fragen der Tempi dieser Oper beantwortete Meister ganz im Sinne von Richard Strauss. Durch seinen zügigen und direkten Zugang zur Musik vermied er starke Dehnungen und blieb exakt im Wortfluss der Dichtung Hugo von Hofmannsthal. Insbesondere im Monolog der Marschallin trug Meister seine Sopranistin auf Händen. Als Dirigent hing er an den Lippen Simone Schneiders und stellte sein Orchester in einer subtilen Begleitung ganz hinter die Deklamation der Solistin.

Zum Abschluss eine persönliche Frage an Cornelius Meister: Wird es an der Oper Stuttgart unter seiner Leitung auch einmal eine ungekürzte „Elektra“ geben?

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Stuttgart / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Stuttgart / DER ROSENKAVALIER/Beate Ritter / Foto @ Martin Sigmund
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