
INTERVIEW mit ENRIQUE MAZZOLA/DIRIGENT
Das Interview für DAS OPERNMAGAZIN führte Marco Stücklin am 29.5.2019 im Opernhaus Zürich
(DAS OPERNMAGAZIN/OM): Gerade stehen wir vor der letzten Vorstellung am Opernhaus Zürich wo Sie die Rossini Oper «IL TURCO IN ITALIA» dirigieren. Wie war die Arbeit am Opernhaus Zürich für diese herrliche Aufführung und was gefällt Ihnen an Zürich besonders?
(Enrique Mazzola /EM): Die Arbeit am Opernhaus Zürich ist immer eine große Freude. Ich habe eine sehr gute Beziehung mit dem Management und den Künstlern dieses Hauses. Man bietet mir hier immer die besten Voraussetzungen für eine optimale Arbeit und ein hervorragendes Resultat. Ich bin sehr dankbar, dass man mich hier immer wie in einer Familie willkommen heißt. Zürich gefällt mir als Stadt besonders gut, weil die Lage im Herzen von Europa optimal ist und obwohl es keine Großstadt ist, man eine sehr internationale Atmosphäre spürt. Wenn ich aus New York, Berlin oder Paris komme, schätze ich diese Stadt sehr, welche das Beste der Schweiz repräsentiert und so weltoffen ist.
(OM): Sie arbeiten an den größten Opernhäusern der Welt. Das Opernhaus Zürich ist räumlich gesehen ein eher kleineres Haus. Wie gehen Sie mit den total anderen Voraussetzungen des Raums und der Akustik, sowie Ihrem Kontakt zur Bühne um?
(EM): Das Arbeiten an kleineren Häusern erleichtert das Dirigieren. Der Abstand vom Podium zur Bühne ist geringer. Große Häuser wie die MET New York oder das Bolschoi in Moskau, haben eine Distanz von bis zu 15 Metern zur Bühne. In Zürich sind es 4-5 Meter, welche den Kontakt zu den Sängern vereinfachen. Die Gestik des Dirigenten ist eine sehr direkte Verbindung zum Sänger und hilft beim Anpassen der Tempi. Dies ist bei nahem Kontakt natürlicher. Wenn ich an der MET arbeite, verlangt dies eine stärkere Gestik, damit man die Einsätze besser sehen kann. Dort hat der Dirigent ganz klar zu dirigieren, da ist kein Platz für künstlerische Freiheit oder Improvisation. Was die großen Häuser von den Dirigenten verlangen ist Klarheit. In Zürich oder Glyndebourne kann ich mehr detaillierte Gesten machen und mehr expressiv dirigieren.
(OM): Nach dem großen Erfolg von IL TURCO IN ITALIA am Opernhaus Zürich, wo Sie mit einem perfekten Team, eine umjubelte Vorstellungsserie dirigiert haben, stehen im Juli und August zwei ganz unterschiedliche Premieren auf Ihrem Programm. Die Premiere von «RIGOLETTO» als Spiel auf dem See bei den Bregenzer Festspielen und die Neuinszenierung von Jacques Offenbach Opéra-bouffon «ORPHEE AUX ENFERS». Was ist die besondere Herausforderung bei Spiel auf dem See?

(EM): Dieses Interview findet ja vor dem Beginn der Proben am See statt und somit kann ich noch nicht groß was dazu sagen. Ich habe noch nie eine solche Produktion dirigiert, welche auf einer Seebühne stattfindet. Für mich ist die Herausforderung die Motivation. Eine sehr spezielle Situation. Man hat das Orchester im Festspielhaus und via Kamera wird dies zu den Sängern auf der Bühne übertragen. Das Orchester wird verknüpft mit den Sängern. Wir sind sehr weit von den Solisten und dem Chor. Für mich eine ganz neue Erfahrung und wir werden das bestmögliche daraus machen. Ich kenne das Konzept, aber die praktische Erfahrung kommt erst mit den Orchesterproben vor Ort.
(OM): In Bregenz besuchen viele Gäste die Oper auf dem See, welche sonst nicht unbedingt Operngänger sind. Hier ist oft das Gesamterlebnis in dieser speziellen Umgebung ausschlaggebend für einen Besuch. Ist das für Sie eine besondere Motivation, die Leute zu begeistern?
(EM): Dazu muss man wissen, dass ich sieben Jahre Music Director beim Orchestre National d’Ile de France war, welches die sehr wichtige Mission hat, Musik in alle Stadtteile und Regionen zu bringen, wo diese Art Musik üblicherweise nicht gespielt wird. Wir haben Konzerte vor tausenden Menschen gespielt, welche keinen speziellen Bezug zur klassischen Musik haben, aber wir konnten das Publikum mit unserer Message begeistern. Mein Anliegen ist es, die klassische Musik einem grösstmöglichen Publikum zu öffnen. Ich denke dass die Oper und die Klassische Musik keine Elitäre Form der Kunst ist. Und es ist sehr wichtig daran zu arbeiten, dass diese Kunstform für jedermann zugänglich ist.
Es ist eine Möglichkeit eine schöne Zeit auf andere Art zu verbringen. Oper bietet für einige Stunden ein entfliehen aus dem Alltag und den Problemen welche die Leute beschäftigen. Oper bietet aber auch die Möglichkeit, verschiedene Aspekte des Lebens zu reflektieren, sei es politisch, emotionell oder gar religiös. In der Oper sind diese Facetten immer ein Thema und somit auch jedermann betreffend.
Es ist nicht wichtig ob man im Smoking oder in Jeans in die Oper oder das Konzert geht. Wichtig ist die Freude an der Kunst. Natürlich gibt es Orte, wo es angebrachter ist im Abendkleid zu erscheinen, doch dies sollte nicht der Grund sein, die Oper zu besuchen.
Es ist jedermann selbst überlassen, auf seine Art zu genießen. Man kann für 15 Euro in Jeans ins Kino, aber auch für 15 Euro einen günstigen Platz in der Oper finden. Im Gegensatz zum Kino erlebt man in der Oper eine LIVESHOW. Das ist die Magie des Musiktheaters. Es ist immer der Moment der bestimmt. Auch wenn mal etwas nicht nach Plan läuft, immer ist es LIVE und echt. Jede Vorstellung wird von Menschen gemacht, die an diesem Tag die jeweilige Stimmung reflektiert, welche diese Menschen beschäftigt. Wir versuchen immer, das Beste zu geben und das Publikum teilt diese Stimmung des Moments, wo jederzeit etwas nicht nach Plan laufen könnte. Ich sage immer, die Oper ist das Königreich des Unperfekten. IL REGNO DEL INPERFECTIONE.
(OM): Gleich anschließend an die Serie in Bregenz erwarten Sie die Salzburger Festspiele, wo Sie mit Offenbachs «Orphée aux enfers» eine Neuinszenierung leiten werden. Wie lange vorher wird eine solche Produktion geplant.

(EM): Jedes Engagement für eine wichtige Produktion wird zwischen 2-5 Jahre im voraus geplant. Opernhäuser bis zu 5 Jahre, Festivals 2-3 Jahre.
(OM): Was fasziniert Sie an dieser Opéra-bouffon besonders, gerade weil Sie ja ein Spezialist für französische Musik sind?
(EM): Ich denke die Musik von Offenbachs Opéra- bouffon ist bis heute noch nicht richtig entdeckt. Sie wird immer noch wie eine Operette angesehen. Dies, weil nicht klar ist, was der Unterschied zwischen der Opéra-bouffon und der Operette ist. Offenbach lebte in einer Periode wo die Exzesse des Pariser Lebens und die Provokationen auf dem Höhepunkt waren. In der Operette erleben wir das schöne Leben und die Bourgoisie. In der Opéra-bouffon spielt alles in einer magischen und überraschenden Welt und die Musik ist extrem temporeich. Das ist die Welt von Offenbach und darum ist es keine Operette.
Ich denke es ist Zeit, diese Seite von Offenbach wieder zu entdecken. Ich nenne ihn den Komponisten der Extreme.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass 2019 das Offenbach Jahr ist. Sein 200 Geburtstag. Leider wird Offenbach nicht genügend gewürdigt in diesem Jubiläumsjahr. Deshalb ist es auch wichtig, ihn an großen Festivals zu präsentieren. Es ist ein großer Fehler, Offenbach als minderen Komponisten wahrzunehmen. Alles, was Offenbach komponiert hat, war notwendig für die Weiterentwicklung der Musikgeschichte. Wir sollten definitiv mehr Offenbach an den Opernhäusern spielen. Es gibt so viele Perlen zu entdecken, welche das Repertoire eines Hauses bereichern. Ich bin fasziniert von Offenbach und auch von Meyerbeer, welches ja beide europäische Komponisten waren. Offenbach französisch-deutsch und Meyerbeer deutsch-italienisch. Beides sehr einflussreiche Komponisten für die europäische Musikkultur.
(OM): Wie laufen hier die Vorbesprechungen und die Proben ab? Sie waren ja bereits einige Male in Berlin bei Barrie Kosky um die Vorbereitungen zu treffen.
(EM): Wir hatten im Mai eine Serie von Proben mit Barrie Kosky in Berlin. Das waren schon ganz spannende Proben mit den Sängern. Barrie Kosky ist aus meiner Sicht ein Genie. Er ist eine spontane Theaterseele. Theater ist für ihn kein Job, genauso wie das Dirigieren für mich nicht nur ein Job ist, sondern eine Berufung. Gerade deshalb ist die Zusammenarbeit mit ihm so spannend und bereichernd. Er kennt jedes Detail von der dramaturgischen Seite. Spontan und raffiniert. Es ist eine Freude mit Ihm zu arbeiten. Ich bin sicher, dass man von dieser Aufführung viel hören wird und dass sie einiges Aufsehen erregen wird.
(OM): Die Salzburger Festspiele sind eine Wunschdestination vieler Dirigenten und Sänger und wegen ihres weltweiten Rufs natürlich auch eine anspruchsvolle Aufgabe. Wie kam das Engagement in Salzburg zustande?

(EM): Es ist eine der größten Ehren, welche mir zuteil wird, dass ich eine Premiere mit den Wiener Philharmonikern in Salzburg leiten darf. Ich bin sehr privilegiert und glücklich eine solche Gelegenheit in dieser Phase meines Lebens zu bekommen. Ein Meilenstein in meiner Karriere.
(OM): Was sind Ihre weiteren Projekte anschließend an diesen intensiven Sommer?
(EM): Nach dem Sommer folgt in Chicago eine Serie von Verdi’s «Luisa Miller». Diese Aufführungen leiten einen Zyklus von frühen Verdi-Opern ein, den ich in den kommenden Jahren an diesem Haus dirigieren werde. Anschließend werde ich wieder in Zürich sein und die neue Produktion von «Don Pasquale» leiten. Dies ist auch der Beginn meiner Zusammenarbeit mit Regisseur Christof Loy. Ebenfalls dabei sein wird Julie Fuchs. Mit Ihr habe ich ja gerade die CD «Mademoiselle» aufgenommen. Es wird ein schönes Heimkehren s nach Zürich sein. Im Januar 2020 werde ich mit den Wiener Symphoniker im Musikverein Wien musizieren. Februar/März 2020 erwartet mich ein Projekt, welches mir sehr am Herzen liegt und mich stolz macht. Der Meyerbeer-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin., welcher in der kommenden Saison abgeschlossen wird. Ich werde «Le Prophète» und «Dinorah» dirigieren.
Die Deutsche Oper ist einer meiner Lieblingsorte und ich bin dort auch als erster Gastdirigent tätig. Es folgen Konzerte rund um die Welt und nach meiner Rückkehr nach Europa dann am Festival von Glyndebourne die Produktion von «L’elisir d’amore»
(OM): Sie sind ja wegen Ihrer unglaublichen Reisetätigkeit und Ihrer Energie sehr geschätzt. Wie halten Sie sich fit für all diese Aufgaben und Reisen?
(EM): Es ist mir immer sehr wichtig, dass ich Zeit finde um zu laufen, sei es anstelle eines Taxis oder der Tram und auch auf den Flughäfen, etc.. Diese Zeit muss sein. Das Laufen weckt den Körper und deshalb vermeide ich Taxis. Ich benutze die öffentlichen Transportmittel, da man oft sehr gute Verbindungen hat. Ganz wichtig ist auch das richtige Essen. Gesund und regelmäßig. Ein gutes Frühstück, einen feinen Lunch und eine Kleinigkeit bevor ich dirigiere. Wenn ich sehr müde bin, gehe ich am Nachmittag kurz schlafen. In der Freizeit studiere ich meine nächsten Projekte. Das ist meine Art, mich Fit zu halten. Auch das Dirigieren braucht viel Energie.
(OM): Gibt es bei Enrique Mazzola auch mal Ferien?
(EM): Was für Ferien? Man braucht Ferien wenn man Müde von der Arbeit ist. Ich arbeite stets gerne und schöpfe Kraft daraus. Meine Ferien sind die Tage, an denen ich zwischen zwei Aufführungen frei habe. Dann laufe ich und kann mich entspannen. Ich bin nicht der Typ für klassische Ferien, wo man einen Flug bucht und dann am Strand liegt. Wenn ich wirklich Ferien habe, dann vermeide ich das fliegen. Ich bin ja stets im Flugzeug. Meine besten Ferien sind wenn ich zuhause bin. Wenn man, wie ich nur etwa 15 Tage im Jahr daheim ist und das nicht mal am Stück, dann genießt man jede Stunde doppelt. Ich liebe es, dort zu sein. Das ist mein Refugium und mein sicherer Platz. Und wieder einmal im eigenen Bett zu schlafen, ist ebenfalls ein schönes Gefühl. Das ist die Qualität des Regenerierens.
(OM): Was sind Ihre liebsten Beschäftigungen wenn es mal nicht um die Musik geht?
(EM): Ich sammle Erstausgaben von Opern. Diese zu suchen, auf Auktionen, in Antiquariaten oder auf einem Flohmarkt, ist mir eine grosse Freude. Ich habe eine stattliche Kollektion solcher Ausgaben. Dann mag ich das Laufen in der Natur und von Zeit zu Zeit schaue ich mir Filme an. Jazz und Popmusik höre ich ebenfalls gerne. Als klassischer Musiker sollte man die Entwicklung der Popmusik mitverfolgen und auf dem aktuellen Stand sein.
(OM): Bei Ihnen ist die Farbe Rot immer vorhanden, was hat es damit auf sich?

(EM): Alles begann als ich eine neue Brille brauchte, weil kurz vor einem Konzert in Danzig (Polen) meine alte zerkratzt wurde. Ich war sehr jung und dirigierte das Baltic Symphony Orchestra am Abend. Da nur wenig Zeit war, ging ich zu einem Optiker und die einzig gute Brille, welche dieser in einer Stunde fertigmachen konnte, war rot. Das war zwar etwas speziell, aber warum nicht? Also dirigierte ich das Konzert und die Musiker waren amüsiert ob dieser Brille. Da kam der Konzertmeister zu mir und sagte etwas Entscheidendes. «Sie sehen mit dieser Brille sehr gut aus, warum machen Sie das nicht zu Ihrem Markenzeichen?». Das gab mir zu denken und ich fand die Idee sehr gut. Als dann noch in einer Kritik der «Financial Time» über Glyndebourne erwähnt war, dass der Dirigent Mazzola mit seinem Markenzeichen, einer roten Brille auftrat, bekam diese Farbe Ihren festen Platz. Ich nenne es «Rosso Mazzola». Das können Schuhe, Manschettenknöpfe, Socken oder ein Einstecktuch sein. Meine Musiker im Orchester in Paris trugen immer ein rotes Detail und im Programm war stets ein roter Punkt sichtbar. Auch die Freunde vom London Philharmonic Orchestra in Glyndebourne tragen ein rotes Symbol. Dieses «Rosso Mazzola» ist sehr wichtig.
Lieber Enrique Mazzola, herzlichen Dank für dieses Gespräch. Mit Freude werden wir Ihre Projekte mitverfolgen und über die Aufführungen in Bregenz und Salzburg berichten.
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- Titelfoto: Enrique Mazzola / Foto: Jean-Baptiste MILLOT
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