Eine Winterreise im Südbahnhotel am Semmering – Liederabend mit Günther Groissböck

Südbahnhotel / Foto © Philipp Hütter

Es muss ein Schloss aus dem Märchen sein, vielleicht aber auch ein Hotel wie das aus Stanley Kubricks Meisterwerk „Shining“  – das ist der erste Gedanke, wenn man das alte, seit Jahrzehnten leerstehende und schon in Teilen etwas verfallene, legendäre Südbahnhotel am Semmering zwischen den Bäumen auftauchen sieht. 

– Liederabend v. 05.09.2021 –

 

Wenn man von oben, von der Hochstraße her kommt, dann taucht es plötzlich zwischen den Baumwipfeln auf; wenn man von unten, vom Bahnhof Semmering auf der Südbahnstraße hoch kommt, dann steht man plötzlich vor der unteren Fassade des Hotels und liest Anschriften wie  „Telegraphenamt“; Putz bröckelt aus dem Mauerwerk. Balkone sind durchgebrochen. Das Südbahnhotel. Seit den 1960er Jahren ist es unbewohnt. Geht man unten ins Foyer hinein –  so steht man plötzlich in einem Bühnenbild einer Marthaler-Inszenierung. Nur echter. Es ist echt. Die Kälte auch. Ein ungeheiztes Haus, auch im Sommer kalt bis sehr kalt. Zwei Jacken und ein dicker Pullover; ich bin gut vorbereitet. Ich war schon einmal hier. Ich würde auch hier übernachten, auf einer Luftmatratze irgendwo, wenn man mich lassen würde. Kultursommer Semmering, es ist der letzte Abend. Der Pianist und Dirigent Florian Krumpöck ist Intendant dieses einzigartigen Festivals. Einen vergleichbaren Veranstaltungsort kenne ich nicht.

Günther Groissböck/ Foto © Dominik Stixenberger

Die Seitenstreifen an den Zufahrtsstraßen sind vollgeparkt, die meisten Autos kommen aus Wien. Schuberts Winterreise mit Günther Groissböck und Florian Krumpöck steht auf dem Programm. Günther Groissböck ist schon da, sein Auto mit Schweizer Kennzeichen parkt auf dem Künstlerparkplatz. Gestern Abend war er noch in Riga. „Fremd bin ich eingezogen, fremd ziehe ich wieder aus“ – Groissböcks dunkler Bass füllt den Raum sofort, brennt sich in die Ohren. Der Intensität des Gesangs und der Musik kann man sich nicht entziehen. Es ist keine Distanz möglich in diesem nicht allzu großen Saal im 2. Stock des Hauses. Stille zwischen den Liedern, man hört das Publikum nicht mehr. Der Flügel von Krumpöck steht an der Fensterfront zur Terrasse. Die meisten Besucher haben, zusätzlich zum Bühnenblick, einen Panoramablick in die dämmernde Landschaft. Es dämmert schnell, wird dunkel. „Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht ……. „, jedes Wort sitzt bei Günther Groissböck. Es kostet Kraft, Groissböck wischt sich mehrmals die Stirn. Die Dunkelheit bleibt, auch bei den „Nebensonnen“.

Am Ende des Abends Stille; es sind ein paar Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen. Grenzenloser Jubel. Viele male werden Groissböck und Krumpöck hervorgerufen, müssen wieder auf die Bühne. Zugabe kann es natürlich keine geben. Der innere Nachhall ist enorm; ein letztes Durchatmen auf der Terrasse des Saals, während die Besucher nach unten drängen.

Blick in die Nacht.

 

  • Artikel und Impressionen von Josef Fromholzer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: Kultur Sommer Semmering Südbahnhotel/ Foto © Christine Khom
  • Kultursommer Semmering Südbahnhotel

 

FOTOIMPRESSIONEN DES ABENDS/Südbahnhotel am Semmering
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