
Zwei Mal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, gastieren Teodor Currentzis und sein phänomenales Utopia Orchester in Berlin. Ihre Konzerte zählen neben denen der Berliner Staatskapelle unter Christian Thielemann zum Besten, was die Hauptstadt zu bieten hat. Der vielseitige 53-Jährige, der sich auf die Spätromantik ebenso gut versteht wie auf Mozart und Rameau im Gewand historischer Aufführungspraxis ist aktuell das größte Talent unter den Dirigenten noch jüngerer Generationen unter 60. Da beißt die Maus keinen Faden ab, mag man ihn mögen oder nicht. (Rezension des Konzerts v. 3. November 2025/Berliner Philharmonie)
Aber die medialen Aufregungen um seine Person wegen seiner behaupteten Nähe zu Putin reißen nicht ab, wiewohl Teodor Currentzis nie ein Wort über den russischen Präsidenten verloren hat. Und seine Interpretationen, zum Beispiel von Brittens „War Requiem“, stärker für den Frieden eintreten als Worte es könnten.
Dass kürzlich der österreichische Kulturminister Andreas Babler ankündigte, den genialen, vielfach ausgegrenzten Künstler mutig in die „Kurie der Kunst“ aufnehmen zu wollen, musste wohl all jene schocken, die den Dirigenten am liebsten ganz aus dem europäischen Musikleben verbannen würden. Nur scheinen sie zu übersehen, dass der von ihnen entfachte Aufruhr die Aufmerksamkeit für den Künstler erhöht. Jedenfalls war der Andrang zum jüngsten Konzert groß. Zu erleben galt es ein symphonisches, selten aufgeführtes Kondensat, Wagners „Ring ohne Worte“, eine Bearbeitung der Operntetralogie durch Lorin Maazel.
Ich muss bekennen, wiewohl ich mit dem Zyklus sehr vertraut bin, habe ich diesen Querschnitt noch nie gehört.
Ausschnitte aus Opern in symphonischen Fassungen waren durchaus ja schon zu Lebzeiten der Komponisten gebräuchlich, denkt man an Wagners Orchesterfassung von Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“ oder Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“-Suite. Das aber sind eigenständige durchkomponierte Werke unter Verwendung des vorhandenen motivischen Materials, und mithin in sich geschlossener als Maazels Montage, in der manche Übergänge wie vom „Rheingold“-Vorspiel zum Einzug der Götter etwas unvermittelt anmuten.

So wie sich in 80 Minuten jedoch die schönsten Melodien und dramatischen Höhepunkte verdichten, ist dies fraglos ein reizvolles Stück Programm-Musik, trefflich einstudiert von Utopia und seinem Dirigenten, der einen ähnlich vollen, satten, nur weniger dunklen Klang pflegt wie der geniale Wagnerdirigent Christian Thielemann. Und dafür mit einer imposanten Großbesetzung von 130 Musikern anrückt. Das ist schon einmal eine klare Ansage, zumal in Berlin, wo die Hörerschaft dank mehrerer auf Wagner versierter Spitzenorchester und Topdirigenten sehr verwöhnt ist .
Aber dieser starken Konkurrenz hält Utopia, von denen jeder Einzelne herausragende solistische Qualitäten mitbringt, stand; jede Sektion, jedes Instrument hat seinen großen Auftritt, von den tiefen Kontrabässen bis zu den fünf Harfen und dem Schlagwerk, das dann besonders im Rampenlicht steht, wenn ein riesengroßer Hammer als Donner nach unten saust.
Besonders stark gefordert sind freilich Hörner, Posaunen und Tuben, folgen ihre kraftvollen Soli doch Schlag auf Schlag in den Abschnitten „Wotans Wut“, „Walkürenritt“ und „Wotans Abschied“ mit nur wenigen Atempausen.
Currentzis‘ radikales Dynamisieren im Forte wie im Piano ist längst zu seinem Markenzeichen geworden. Aber wiewohl an diesem Abend die lauten, dramatischen Töne in Abstimmung mit der Partitur überwiegen, wirkt der Grieche – einst zu Beginn seiner Karriere extrem unruhig in seiner Körpersprache – noch reduzierter in seinen Bewegungen als bei seinen letzten Auftritten, auch wenn unübersehbar bleibt, wie jede Faser seines Körpers beteiligt ist. Seine Beine, von denen die Schwingungen nach oben zu erwachsen scheinen, ziehen fast mehr Blicke auf sich als seine Arme und Hände.
Lyrische Schönheit offenbart sich in dem schwärmerisch sehnsuchtsvollen Cellosolo, das die aussichtslose Liebe der Wälsungen einleitet oder in den melancholischen-, Brünnhildes Seele widerspiegelnden Melodien der Bassklarinette, musiziert aus tiefster Seele.
Und holt Currentzis im Trauermarsch zum ultimativen Höhepunkt mit großer Geste zum Einsatz aus, durchdringt die Philharmonie ein energetisches, schier überwältigendes Beben.

Eine Zugabe gab es diesmal nicht, dafür aber ein unangekündigtes zeitgenössisches Stück des Finnen Magnus Lindberg vorab, am Pult einstudiert von Giuseppe Mengoli. Die Förderung junger Komponisten und Dirigenten, Männern wie Frauen, ist Utopia ein besonderes Anliegen. Schon das sollte die Musikwelt ihnen danken, zumal hier nicht nur irgendein Stück anberaumt wird, sondern eines, das – absichtlich oder zufällig- auf Wagner Bezug nimmt. Denn über weite Strecken bestimmt „Arena“ eine ähnliche hastige Unruhe wie das Vorspiel zur „Walküre“ oder Passagen im Finale der Götterdämmerung. Und wie Wagner exponiert der Finne Posaune und Cello als Solinstrumente.
Ein klareres Votum für die verdient höchste österreichische Auszeichnung in einer erhitzten Debatte hätte sich nach dieser Sternstunde kaum denken lassen. Für Teodor Currentzis ist noch ein Platz frei im Wagner-Olymp.
- Rezension von Kirsten Liese / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Titelfoto: Konzert 3.11.2025-Berlin/T. Currentzis u. Utopia Orchester/Foto: ©Utopia Press Office.JPG (Oksana Gekk)
Zum Umgang mit Theodor Currentzis.
Currentzis ist einer der besten und talentiertesten Dirigenten unserer Zeit.
Er hat sich bisher nie offen zu seinen politischen Ansichten geäußert. Die Wahrheit ist jedoch, dass die finanzielle Unterstützung der russischen Regierung seinem Orchester überhaupt erst die musikalische Arbeit ermöglicht.
Die Frage ist aber: Muss ein Künstler in einem Land wie Russland unbedingt eine politische Stellungnahme abgeben – auch dann, wenn er und seine Musiker dadurch womöglich die Möglichkeit verlieren würden, ihre künstlerische Botschaft mit der Welt zu teilen?
Warum hat sich das Publikum und die ach so schlauen Kritiker damals nicht über Karajan, Schwarzkopf aufgeregt? Das Publikum hat sie gefeiert. Es gibt heute sogar ein Karajan-Museum, das keineswegs verpönt ist.
Ein UTOPIA Currentzis Konzert ist imm er wieder einEreignis !!!!!